von Eckhard Mieder
Ich weiß ja, meine Sicht auf die Dinge ist naiv, aber … wenn ich Al Qaida wäre, ich würde den Amerikanern den Gefallen tun. Ich würde demnächst einen Anschlag verüben und damit den Geheim- und Abwehrdiensten der USA Recht geben. Die haben eben, lese ich, bei einer Anhörung des Geheimdienstausschusses des Senats dargelegt, daß mit einem nächsten Anschlagsversuch auf US-amerikanischem Territorium in den nächsten sechs Monaten gerechnet werden müsse. Ich nehme an, daß solche Vermutungen natürlich von Recherchen gespeist sind. So wie es seinerzeit war, als General Powell vor der UNO Fotos der irakischen Gefährlichkeit präsentierte. Das war, war das nicht, als es dann diesen Krieg gab?
Ich nehme an, daß Geheimdienste das tun, was jedes Amt tut: Mit dem Verweis auf seine Wichtigkeit eine Erhöhung seines Etats zu verlangen. Ich nehme an, daß es Bestandteil der weltweit fungierenden Debattiermaschine ist, von Zeit zu Zeit Feindbilder neu nachzutuschen, Bösewichter aufleben zu lassen und schrecklichste Gefahren für die Welt heraufzubeschwören. Für den Teil der Welt, der sich einer freiheitlichen Grundordnung erfreut. Oder für den Teil der Welt, den Informationen über die Welt erreichen. Und ich finde die Aussagen, von denen ich lese, von erfrischender Konkretheit. Etwa, daß ein Angriff auf die USA schon deshalb nicht ausgeschlossen werden könne, weil sich Osama bin Laden und Ayman al Zawahiri noch immer auf freiem Fuß befänden. Sofort entweicht der leeren Weinflasche von gestern Abend der Geist und baut sich vor mir auf: bärtig, stechäugig, Turban auf dem Kopp.
Und ich nehme an, daß es sich bei den führenden Köpfen der Geheim- und Abwehrdienste denn doch um ziemliche Dummköpfe handelt. Oder Betonköpfe. Ich nehme das deshalb an, weil ich a) etliche Jahre meines Lebens unter der Ägide von Beton- bzw. Dummköpfen verbracht habe; in etwa kenne ich ihre Unbeirrbarkeit, Unbelehrbarkeit, ich kenne auch in etwa den Bodensatz aus Opportunismus und Fatalismus, aus dem heraus sie gedeihen, beigemischt immer eine Zentner-Prise Machtherrlichkeit, und b) zeichnen sich Dummköpfe durch eine gewisse Schlauheit aus. Etwa wissen sie, daß es in einer Welt des Scheins genügt, kräftig genug aufzutreten, um das Parkett zum Beben zu bringen und einem nicht minder dummen Publikum das Maul aufstehen zu lassen. Hochstapelei, Gleisnerei, Bigotterie sind, schätze ich, ein Milliarden-Markt.
Will sagen: Erzählt den Kindern lange und eindringlich genug vom schwarzen Mann, und sie schlafen unruhig und werden später nicht müde, auch ihren Kindern vom schwarzen Mann zu warnen.
Ich würde, wäre ich Al Qaida, einen Anschlag verüben. Ich würde dafür sorgen, daß sämtliche Ängste der so genannten westlichen Welt bestätigt werden. Wie würde die reagieren? Noch mehr Geld in die geheimen Ämter pumpen, noch mehr Geld in das Militär stecken, noch mehr Geld, um die Debattiermaschine zu schmieren. Noch weniger – proportinal gesehen – Geld für das Soziale, noch weniger Geld für die Bildung, noch weniger Geld – für das Gemeinwesen.
Vielleicht würde ich, wäre ich Al Qaida, auf einen Anschlag doch verzichten. Ich könnte in meiner Berghöhle oder in meinem Wüstencamp weiterhin an der Wasserpfeife saugen, die Bäuche von Mädchen in durchsichtigen Seidengewändern tanzen lassen und auf meiner Kalaschnikow Klarinette spielen. Als Al Qaida wüßte ich, daß die Geheim- und Abwehrdienste der so genannten westlichen Welt meinen Job erledigen: an sich selbst irrer zu werden als es die kräftigste Finanzkrise vermag.
Die so genannte westliche Welt ist ein Durchlauferhitzer, von dem sie selbst nicht weiß, was da durchläuft. Sind’s Fakes oder Fakten? Sind’s nur noch Abbilder oder Wirklichkeiten? Sind’s historische Gewißheiten oder Fälschungen? Und dreht sich die so genannte westliche Welt nur noch im Kreise, wie der Brummkreisel? Auch der muß aufgezogen werden, dreht sich schnell und schneller, um immer träger werdend nach einer Weile umzufallen.
Ich weiß ja, meine Sicht auf die Dinge ist naiv.
Schlagwörter: Al-Qaida, Eckhard Mieder, Geheimdienst, USA