von Erhard Crome
Eigenartige Unschärfen verschatten das Bild. Was war die diesjährige „Sicherheitskonferenz“ in München? Früher war die Sache klar: Sie hieß „Wehrkundetagung“, und es ging gegen den Russen und den Bolschewismus. Nach der Wende wandelten sich die Teilnehmerkreise und die Themen. Es schien eine Art Clearing-Stelle europäischer und globaler Sicherheitsdebatten entstanden zu sein. Im Kern aber ging es immer – wie Anno dunnemals – um die Selbstverständigung des Westens.
Offiziell ist es eine private Veranstaltung, praktisch aber erhält sie nicht nur Geld von Sponsoren, wie von BMW und vom europäischen Rüstungskonzern EADS, sondern auch aus den Töpfen des Bundespresseamtes und des Ministeriums, das dem Worte nach für Verteidigung zuständig ist. Und zur Eröffnung redeten der für dieses Ministerium zuständige Freiherr sowie der Chef des deutschen Industriellenverbandes. Man sieht: Militär und Wirtschaft haben auch heute miteinander zu tun.
Etliche Außenminister haben geredet, darunter der deutsche, der russische, der chinesische und die nach dem Lissabon-Vertrag neue „Außenministerin“ der EU sowie der Sicherheitsberater des US-Präsidenten. Glaubt man den Zeitungen, war nicht viel Neues.
Einzig China. Nach der Rede des chinesischen Ministerpräsidenten auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hatte der Berliner Tagesspiegel geschrieben: „Früher hieß Globalisierung, daß Kapital, Arbeit und Kunden auf der ganzen Welt immer enger zusammenrückten. Heute, nach dem 40. Weltwirtschaftsforum, muß man den Begriff neu definieren. Heute heißt Globalisierung eigentlich nur eins: China, China, China.“
Auf der Münchner Tagung hatte der Außenminister Chinas als erster nach der Eröffnung gesprochen. Er hinterließ einen ähnlichen Eindruck, wie sein Chef in Davos. Ein entwickelteres China, sagte er, werde eine Chance sein für die Welt, nicht eine Gefahr, und es werde mehr internationale Verantwortung übernehmen, aber seine Interessen nicht auf Kosten anderer durchsetzen. Es gehe um Frieden und Entwicklungschancen für alle, um eine „Win-Win-Zusammenarbeit“. China wolle „im Konzert mit anderen Ländern gemeinsame Sicherheit“ erreichen. Vielleicht war dies die wichtigste Aussage in München und Ausdruck dessen, daß der Zenit der Macht der USA überschritten ist. An die Stelle von deren einst selbsternannter imperialer Führung tritt aber nicht eine andere Macht, sondern ein „Konzert der Mächte“, eingebettet in eine breitere internationale Kooperation. Als der chinesische Außenminister gefragt wurde, ob China neue Stärke fühle, hatte er einfach „Ja“ gesagt.
Über Afghanistan wurde natürlich auch geredet – nichts Neues nach der Londoner Konferenz: Der Westen will sein Scheitern nicht zugeben und die Taliban kaufen, was vergleichbar schon vor über zwanzig Jahren die Russen versucht hatten, und der vom Westen eingesetzte Präsident erklärte, bald alles allein in den Griff zu bekommen, wenn er nur mehr Geld, Soldaten und Polizisten hätte, auch das wie damals. Außerdem ging es wieder einmal um den Iran. Dessen Außenminister wollte in der Atomfrage abwiegeln, der Westen erklärte ostentativ Unglauben, ein US-Senator drohte mit Krieg. Wahrscheinlich hatte der chinesische Außenminister den Satz mit Win-Win auch auf diesen Fall gemünzt, nur der Westen hatte ihn falsch dechiffriert. Im übrigen ging es um Geld. Die NATO hätte nicht genug, und trotz Krise müßte man, und außerdem seien neue Waffen nötig … Man kennt das.
Die Friedensbewegung hat protestiert, mit Erklärungen, Konferenzen und auf der Straße. An der Protestkundgebung haben etwa 2 500 Menschen teilgenommen, begleitet von wohl 3 700 Polizisten. Vor Jahren waren es noch über 10 000 Demonstranten, es gab Polizeikessel, die Demonstranten stundenlang festhielten, und Verhaftungen. Jetzt scheinen es eher ritualisierte Abläufe zu sein, auf allen Seiten. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Die Kritik daran, daß diese Konferenz Teil der militarisierten Außenpolitik Deutschlands und des Westens ist, ist berechtigt. In konzeptioneller Hinsicht zeugt sie davon, daß den Herrschenden nichts Neues einfällt. In Bezug auf die Hauptthemen Afghanistan, Iran, Nahost, NATO war die Tagung bemerkenswert einfallslos. Das zu kritisieren scheint spiegelverkehrt aber auch nur die Wiederholung von schon tausendmal Gesagtem – wir stehen dennoch vor der Verantwortung, es trotzdem immer wieder zu tun …
Zur Rede Westerwelles hieß es in Kommentaren, sie sei aus Platitüden zusammengeschraubt gewesen. Es wurde zugleich gefragt, ob dies an den Redenschreibern gelegen habe oder daran, daß der Herr Minister diesen einen solchen Auftrag gegeben hatte, um ja nichts falsch zu machen. Ich fürchte, dies war die Kehrseite der wirklichen Außenpolitik dieser Bundesregierung. Man kann ja schlecht offen sagen: Wir wollen den Platz als Weltexportmacht zurück, offene Märkte für unsere Exporte und Kapitalanlagen und die Entwicklungshilfe wird zum Instrument dieser Interessenwahrnehmung gemacht. Das ist nicht Win-Win und klingt schlecht. Besser hört sich an: „deutsche Außenpolitik ist wertegeleitet“ oder „Kooperation statt Konfrontation“.
Der Freiherr redete offener. Es gehe um die Anpassung der NATO an die „Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, die „Neuformulierung“ ihres strategischen Konzepts und die Ausweitung von „Out-of-Area“-Einsätzen. „Wir müssen unsere Streitkräfte noch viel stärker an den Erfordernissen des Einsatzes orientieren. Dies gilt auch für die deutsche Bundeswehr“, sagte er. Ein paar Absätze weiter hieß es dann: „Wir brauchen eine Antwort darauf, wie wir das Verhältnis der Allianz zu China gestalten wollen.“ Und weiter: „Es bedarf einer einvernehmlichen strategischen Bedrohungsanalyse.“
Wieso soll es eine Aufgabe der NATO – als eines Militärbündnisses – sein, das Verhältnis zu China zu gestalten? Und warum kommt dann gleich der Verweis auf „Bedrohungsanalyse“? Das ergibt nur eine Logik, wenn China bereits als der eigentliche Feind angesehen wird, gegen den sich diese Allianz richtet.
Zudem sagte zu Guttenberg, es gelte zu „erreichen, daß die Einsätze des Bündnisses in noch größerem Maße als bisher zu Katalysatoren eines Verständnisses von gemeinsamer Sicherheit werden“. Hier ist der gegensätzliche Sinn einer gleichen Wortwahl von größter Bedeutung. Wenn der chinesische Minister von „gemeinsamer Sicherheit“ redet, meint er alle Beteiligten, alle Länder gemeinsam. Das ist ein ähnliches Konzept, wie es am Ende des Kalten Krieges in Europa diskutiert wurde. Wenn der deutsche Militärminister von „gemeinsamer Sicherheit“ spricht, meint er die der NATO-Länder, gegen die anderen.
Bleibt nur die Hoffnung, daß die wirtschaftliche Kraft des Westens nicht mehr ausreicht, eine solche Militäranstrengung zur Vorbereitung des großen Krieges gegen China zu tragen. Der US-Präsident hat zwischenzeitlich das Weltraum-Programm zur Eroberung des Mondes auf Eis gelegt, wegen Geldmangels. Die Chinesen haben nichts Vergleichbares in Bezug auf ihr Mondprogramm verlauten lassen.
Schlagwörter: Afghanistan, China, Erhard Crome, Guido Westerwelle, Karl-Theodor zu Guttenberg, Sicherheitskonferenz