13. Jahrgang | Nummer 4 | 1. März 2010

Gerechte Kriege, sozusagen

von Helmut Höge

Wie kann man die Bösen (Partisanen) von den Guten (friedliche Bevölkerung) trennen? Diese Frage stellte sich den Franzosen in Algerien, den Engländern in Malaysia, den Amis in Vietnam und nun den Alliierten in Afghanistan. Sie alle scheiterten bisher bei ihrer (soziochirurgischen) Trennungsarbeit daran, daß die Guerilla im Laufe ihres Kampfes mit dem Volk nahezu identisch wurde. Diese ganze Trennungs-Arbeit/Forschung wurde schon einmal geleistet – und zwar sehr viel klüger: von den Sowjets, aber was kam dabei raus?

„Afghanistan – was für ein Zauber” (Sowjetischer Schlager aus den Achtzigern). Auch in Afghanistan wurde die Idee eines gerechten Krieges, einst schon von Lenin begründet, aufrechterhalten. Die dort stationierten Soldaten nannte man „Inter-Kämpfer”, ihr Einsatz war eine „internationalistische Pflicht”. Eine dort eingesetzte russische Krankenschwester erinnert sich: „Uns wurde gesagt, wir helfen dem afghanischen Volk, den Feudalismus zu beseitigen und eine helle sozialistische Zukunft aufzubauen.”

Das Gegenteil war dann aber eher der Fall: Ein hochgerüstetes Okkupationsheer kämpfte gegen Partisanen, die sich auf ihrem Territorium und im Volk wie Fische im Wasser bewegten. Auch die russische Krankenschwester wollte diesem Volk dienen. In der Hauptstadt hingen überall Transparente „Kabul – Stadt des Friedens”, als sie ankam. Aber dann stachen die Partisanen in zwei sowjetischen Lazarett-Zelten alle Verwundeten ab, und die Krankenschwester meint nun rückblickend: „Wir haben dort vom Haß gelebt, der Haß hat uns geholfen, zu überleben.”

Ein in Afghanistan schwer verwundeter Panzerschütze erinnert sich: „Wir wollten doch hin, um Revolution zu machen! Wir haben uns das richtig romantisch vorgestellt.” Aber dann tötete er jeden, den man ihm dort befahl zu erschießen: „Ich habe geschossen und niemanden geschont. Gegen uns haben ja alle gekämpft: Männer, Frauen, Alte, Kinder… Nirgends waren wir so lebenshungrig wie da. Ich habe nie so viel gelacht. Auch die ältesten Witze kamen an. Über Geld wurde viel geredet. Mehr, als über den Tod.”

Ein in Afghanistan tätig gewesener sowjetischer Militärberater mußte dort einmal einen zur Erschießung bestimmten Partisanen abholen: „Im Gefängnis zeigte man mir einen Bandenführer, wie wir sie damals nannten.” Umgekehrt nannten die Deutschen die sowjetischen und jugoslawischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg ebenfalls Banden – die die Bevölkerung terrorisierten und ausbeuteten. Der afghanische Partisanenführer „lag auf einem Metallbett und las. Bekannter Bucheinband: Lenin: Staat und Revolution. ‘Schade,’ sagte er, ‘jetzt schaff ich’s nicht mehr durch. Aber vielleicht lesen es meine Kinder´.“

Ein Kanonier hatte einmal früher in der Schule auf die Frage seiner Russischlehrerin, wer sein Lieblingsheld sei – Tschapajew (ein berühmter Partisan gegen die Weißen) oder Pawel Kortschagin, geantwortet: „Huckleberry Finn.”

Die obigen Zitate und sehr viele andere stammen alle aus Swetlana Alexijewitschs Interviewband „Zinkjungs”, ferner möchte ich Ihnen Anatoli Rybakows Reportagebuch „Afganzy” nennen.

Schon lange vor der Revolution versuchten die Russen eine Trennung zwischen Partisanen und Volk vorzunehmen:

Im Tschetschenienkrieg

“Ich habe keine Ruhe, so lange noch ein einziger Tschetschene am Leben ist!” (General A. P. Jermolow)

Zum Symbol der Jermolow-Expeditionen gegen die Tschetschenen wurde 1819 das „Massaker von Dadi-Jurt”, wo die russischen Soldaten und Kosaken sämtliche Männer töteten und 140 junge Mädchen gefangen nahmen, von denen sich dann 46 beim Abtransport mitsamt ihren Bewachern von der Brücke über den Grenzfluß Terek stürzten. Alexander Puschkin nahm in seinem zwei Jahre später in Odessa entstandenen Poem „Der Gefangene im Kaukasus” darauf bezug:

“Nun beug dein schneeig Haupt im Nu,/ O Kaukasus – Jermolow schreitet!/ Besiegt von russischer Gewalt,/ Verstummten schon des Krieges Töne./ Es kämpften und verdarben bald/ Kaukasiens stolze Heldensöhne;/…/Und nur noch dunkele Legenden/ Erzählen, wie das Ende war.”

Sein Poem hatte Puschkin General N.N. Rajewskij gewidmet, der sich weigerte, an Jermolows Feldzug gegen die Tschetschenen teil zu nehmen: „Ich sehe mich gezwungen, dieses Gebiet zu verlassen. Unser Vorgehen erinnert mich an die Katastrophe der Eroberung Amerikas durch die Spanier“, schrieb er an den Kriegsminister.

Wenig später rühmte Michail Lermontow den Heldenmut der freiheitsliebenden Tschetschenen. Schon als Elfjähriger hatte er mit seiner Großmutter den Kaukasus bereist. Die Zeilen aus seinem Kindergedicht „Der ruchlose Tschetschene kriecht weiter zum Fluß/ Und wetzt sein Messer” kennt noch heute jeder Russe.

Die russisch-sowjetische Forschung geht trotz mangelhafter Beweise davon aus, daß sowohl Puschkin als auch Lermontow einer von der zaristischen Geheimpolizei initiierten „Verschwörung” zum Opfer fielen. Von Lermontow erschien nach seinem Tod unter anderem noch ein kurzer Prosatext mit dem Titel „Der Kaukasier”. Der Philosoph Michail Ryklin schreibt, daß er zeigt, „wie schon damals die im Kaukasus dienenden russischen Offiziere nach und nach die kaukasischen Sitten zu verstehen begannen, die Sprache erlernten und stolz waren auf ihre Freundschaft mit den berittenen kaukasischen Kriegern, den Dschigiten.”

Und heute? Die Äußerungen der früheren russischen Präsidenten ähnelten unterdes denen des einstigen Jermolow: „Dieser Krieg ist die Endlösung des tschetschenischen Problems,” meinte Boris Jelzin, und Wladimir Putin fügte später hinzu: „Man muß sie wie Ungeziefer vernichten!”

Es gibt jedoch auch zwei russische Autoren, die sich um eine differenziertere Darstellung des Krieges bemühten: Einmal handelt es sich um einen Film von Sergej Bodrow, der wurde schon 1996 gedreht, kurz vor Ende des Ersten Tschetschenienkrieges (der Zweite begann 1999). In Bodrows Film geht es um zwei gefangene russische Soldaten, die der Patriarch eines tschetschenisches Dorfes gegen seinen von den Russen gefangengehaltenen Sohn eintauschen will, aber seine jüngste Tochter verliebt sich in einen der Soldaten und befreit sie. Ihr Fluchtversuch scheitert jedoch, zur Vergeltung wird einer der beiden umgebracht, dem anderen droht das gleiche Schicksal, aber die Tochter bittet für ihn um Gnade: „Der Kreislauf der Rache wird für einen Moment durchbrochen, aber der Krieg geht weiter,” heißt es dazu in einer Rezension.

Bei der zweiten Anspielung auf Puschkins „Der Gefangene im Kaukasus” handelt es sich um eine 2004 veröffentlichte Novelle von Wladimir Makanin: Hier nehmen die Russen neun Tschetschenen gefangen, wobei einer der Bewacher sich in den jüngsten verliebt. Beim Versuch, ihn auszutauschen gerät sein Bewacher in einen Hinterhalt. Um auf sich aufmerksam zu machen, fängt der junge Tschetschene an zu schreien. Aus Angst, entdeckt zu werden, erwürgt ihn daraufhin der Soldat, was ihm später Alpträume beschert. …

Somalia

Somalia wird schon seit langem kolonialisiert: Erst kamen die Araber, dann die Italiener, die Russen und schließlich die Amerikaner. 1992 auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs wurde der Diktator Siad Barre vertrieben, woraufhin der Staat im Krieg zwischen verschiedenen „Kriegsherren” (als „Kräfte des freien Marktes”) unterging. Die wirkliche Zerstörung des Landes bewirkten jedoch die neoliberalen Erpressungsaktionen von IWF und Weltbank: Bis in die 70er Jahre hinein war Somalia eine ländliche Tauschwirtschaft von Hirtennomaden und Kleinbauern. Aber dann wurde die Viehhaltung kommerzialisiert und Brunnen sowie Weideland privatisiert. Die Hirtennomaden sollten verschwinden – sie verarmten; auf dem besten Land wurden Agrarprodukte für den Export angebaut, dem Staat wurde ein strenges Sparprogramm auferlegt. Er mußte jedoch immer mehr Getreide importieren, der auf den Märkten billig verkauft wurde, was die lokalen Erzeuger verdrängte und die Ernährungsgewohnheiten veränderte. Bald schwand auch die Kaufkraft der Stadtbevölkerung und die Infrastruktur brach zusammen. Gesundheits- und Erziehungsprogramme wurden eingestellt. Zugleich strömten weitere Nahrungsmittel-„Hilfen” ins Land, und weil der Staat die Küste nicht mehr schützen konnte, fischten Trawler aus Europa und Japan die Gewässer vor der somalischen Küste leer. …

Und nun wieder …

Afghanistan

sh. oben (und nur die Russen durch Amerikaner, Deutsche und etliche andere kriegsbereite Völkerschaften ersetzen).