13. Jahrgang | Nummer 2 | 1. Februar 2010

BEMERKUNGEN

Gedämpfte Stimmung

Die Stimmung im Kanzleramt war gedrückt zu Beginn des neuen Jahres. Nicht etwa wegen der Krise oder bedrohlicher Arbeitslosenzahlen, diese Themen interessierten hier nur noch die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. Nein, Weihnachten war’s. Schiefgelaufen! Komplett. Und zwar wegen der Geschenke. Was hatten sie sich nicht alles ausgemalt, was die Kanzlerin in den großen Sack oder unter den Baum packen würde. Geld vor allem, ja, Bargeld sollte es sein und zwar möglichst viel. Orden, Ehrenzeichen, Dienstwagen, goldene Kugelschreiber, die zu den goldenen Füllern passten, die sie alle schon hatten. Und dann kamen nur so komische Computerausdrucke. Die Kanzlerin hatte in aller Stille Gutscheine für ihre Minister gedruckt. Guido wusste noch nicht, was in seinem stand, er war auf Englisch. Ein Sprachkurs an der Volkshochschule war es, erfuhr man unter der Hand. Von Guttenberg verkündete noch bevor er seinen eigenen, geschweige denn einen fremden Gutschein gesehen hatte, er halte das Vorgehen der Kanzlerin für karitativ absolut angemessen. Etwas irritiert war er dann aber über seinen Gutschein für einen Korrekturroller, mit dem er Reden, Informationen und Stellungnahmen schnell und unauffällig korrigieren könnte. „Wenigstens ein Benzingutschein“ hätte es sein können“, maulte er. Schäuble bekam einen Gutschein für ein Beratungsgespräch bei der Schuldnerberatung, von der Leyen einen für Kinderbetreuung während eines Praktikums (unbezahlt) bei der ARGE, Kristina Köhler einen für ein blind Date oder einen Kochkurs, Ramsauer einen für PKW-Maut, Schavan einen Bildungsgutschein, Aigner einen für die Verbraucherberatung, Brüderle einen für ein Schwesterle oder auch ein Vetterle, mit dem er irgendeine Wirtschaft machen könnte, Leutheusser-Schnarrenberger einen für eine Namensänderung, Philipp Rösler einen für eine Kolloskopie, weil die Kanzlerin schon immer wissen wollte, was in dem Arsch wirklich vorgeht, Röttgers einen Emissionsgutschein, wen er emittiert, wird er erst sagen wenn er weiß, was dieses Wort bedeutet, Niebels Gutschein muss sich erst entwickeln, de Maiziére erhielt einen Gutschein für eine externe Festplatte mit ganz viel Speicher und Pofalla einen für zweimal absoluten Blödsinn quatschen, mit dem er wahrscheinlich keinen halben Tag hinkommen würde. Angesichts dieser Geschenke kann man verstehen, dass das Kabinett mit gedämpfter Stimmung aus den Feiertagen kam. Aber alles wäre nur halb so schlimm gewesen, hätte die Kanzlerin nicht alle Gutscheine auch noch unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.

Ihr eigener sehnlichster Wunsch war aber auch nicht erfüllt worden: Eine Wellness-Woche. In der Akademie der Wissenschaften der DDR. So wie früher!

Ove Lieh

Unvollzogener Einsatz

Eine Gedenktafel an der Wand, einen Menschen ehrend, der hier am 15. April 1841 „die philosophische Doktorwürde” erhielt.

Ein Mensch in Uniform samt Kamera betritt mit einem zweiten die Räumlichkeit. Sie sondieren das Terrain, Blaulicht: „Was ist hier los?”

„Nur ein Krankenwagen.”

„Ich frage wegen der Kamera!”

„Wir haben halt unsere Kamera dabei.”

Gespräch beendet.

Durch den Eingang kommen weitere Uniformierte, einer schwingt grinsend Plastikbänder, die bei fachmännischer Handhabung so wunderbar schmerzen. Die üblichen Sprüche: „Dann gibt’s …“ und „dann wird …“ Nichts zu reden, das Gebäude beschützen vor Demonstranten, Umstürzlern, Radikalen etc. pp.

Den Beamten fällt eine Tasche auf: „Ist das Ihre?”

Nein, die meine nicht.

Vier Männer machen sich drüber her, ziehen Kleidungsstück um Kleidungsstück hervor, inspizieren Beutel, grinsend, wissend nichts Relevantes zu suchen, nichts Relevantes finden zu werden.

Die Besitzerin kommt um die Ecke, schaut verdutzt: „Das ist meine Tasche.”

Sie wird gescholten, von ehrlichen und unehrlichen Menschen, gar von Bomben ist die Rede: Diese Tasche war eine ehrliche Nichtbombe.

Beschämt packt die Frau ihre Sachen wieder ein.

Die Spannung steigt, die Sprüche fliegen, Funkgeräte dröhnen, drei gehen auf die Rückseite, zwei vor die Tür, einer pinkeln.

Der Kameramann bleibt am Fenster zurück, Blaulicht, wenige Demonstranten ziehen durch Kälte und Schnee, das zu schützende Gebäude nicht achtend, wieder Blaulicht: „Einsatz Ende.“

Gefasst verlassen die am Vollzug verhinderten Beamten das Feld.

Zurück bleiben die Gedenktafeln für Professoren und Studenten, die von einer großen zum Teil unbequemen Vergangenheit zeugen, einer träumte sogar von einer klassenlosen Gesellschaft.

Besinnliche Stille schwebt durch den befriedeten Raum.

Paul

Hinz und Kunz, Kunz und Hinz

Hinz und Kunz

Hinz
Was doch die Großen alles essen!
Gar Vogelnester; eins zehn Taler wert.
Kunz
Was? Nester? Hab’ ich doch gehört,
Daß manche Land und Leute fressen.
Hinz
Kann sein! kann sein, Gevattersmann!
Bei Nestern fangen die denn an.

*

Kunz und Hinz

Kunz
Hinz, weißt du, wer das Pulver hat erfunden?
Der leid`ge böse Geist.
Hinz
Wer hat dir, Kunz, das aufgebunden?
Ein Pfaffe war`s, der Berthold heißt.
Kunz
Sei drum! So ward mir doch nichts aufgebunden.
Denn sieh! Pfaff` oder böser Geist
Ist Maus wie Mutter, wie man`s heißt.

Gotthold Ephraim Lessing

Du Jane, ich Goethe

Noch vor kurzem war völlig klar, was das Wort „zeitgleich“ im Deutschen bedeutet: nämlich „genauso schnell“ oder „genauso lange dauernd“. Doch neuerdings verwenden immer mehr Leute das Wort „zeitgleich“ exakt in der Bedeutung, die bisher mit dem Wort „gleichzeitig“ zum Ausdruck gebracht worden ist. Man könnte versucht sein, hierin nur ein weiteres Indiz für die von Kulturpessimisten beklagte Verlotterung der deutschen Sprache zu sehen. Heute können allerdings die allermeisten Linguisten mit Sprachverfalls-Prophezeiungen nichts mehr anfangen, und sie halten jede Kritik am alltäglichen Sprachgebrauch von vornherein für verfehlt, weil sie willkürlich vorgehen und keine wissenschaftliche Grundlage haben würde. Genauso sieht es auch der israelische Linguist Guy Deutscher, der gegenwärtig an der Universität Leiden lehrt. Nach seiner Auffassung wird jede Sprache unaufhörlich umgebaut – wobei immer wieder einige Teile zerstört werden, andere Teile hingegen erweitert oder vollständig erneuert werden. Diesem permanenten Wandel liegen laut Deutscher drei Triebkräfte zugrunde. Erstens gibt es die ökonomische Neigung, beim Sprechen möglichst wenig Zeit und Energie aufzuwenden – weshalb übermäßig komplexe grammatische Formen früher oder später simplifizierten weichen müssen. Zweitens haben alle Sprechenden das Bedürfnis nach einer geordneten Sprache, und diese Ordnung bringen sie selbst hervor, indem sie zwischen sprachlichen Elementen Analogiebeziehungen herstellen. Und drittens gibt es die Neigung der Sprechenden, die Wirkung ihrer Worte durch sprachliche Extravaganzen und Innovationen zu verstärken – so dass den sprachökonomisch bedingten Schlampereien und Vergröberungen von Anfang an entgegengearbeitet wird.

Gestützt auf diese Grundannahmen erklärt Guy Deutscher anhand einer ungeheuren Menge von Fallbeispielen, wie und warum sich Sprachen ständig wandeln. Darüber hinaus rekonstruiert er wesentliche Etappen der Grammatik-Geschichte von der Antike bis heute. Und er stellt Mutmaßungen über Ursprung und Evolution des menschlichen Sprachvermögens an.

Etwas kommt bei Deutscher allerdings zu kurz: der Umstand, daß immer auch um Macht, Prestige und Anerkennung gekämpft wird, wenn gesprochen wird. Aus diesem Grund ist Sprachkritik nach wie vor unerläßlich. Aber was Deutscher hier schreibt, gehört zum Originellsten und Aufschlußreichsten, was in den letzten Jahren über das Phänomen Sprache geschrieben worden ist.

Frank Ufen

Guy Deutscher, Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache, C.H. Beck, München, 382 Seiten, 24,90 Euro

Traumstädte mit Strom und Wasser

Mein neues Zuhause liegt im English Village, im englischen Dorf, eines der unzähligen Neubauviertel, die im nordirakischen Erbil derzeit wie Pilze aus dem Boden wachsen. Während Dream City, das amerikanische Dorf, die New Zealand City oder wie sie sonst alle heißen noch mehr einer Baustelle gleichen, ist das English Village bis auf einige Häuser fast fertig. Wie Stadtvillen sehen die eng aneinander stehenden Gebäude aus. Innen sind sie geräumig, nach oben offen, einstöckig. Ein von der Hitze des Herbstes ausgebrannter Rasen zieht sich wie ein Handtuch um jede Villa. Eine englische Baufirma war hier federführend und hat dem Ensemble einen Vorstadtcharakter gegeben. Doch mit der gewohnten britischen Vorstadtidylle hat das British Village in Erbil nicht viel gemein. Hinter der Umzäunung wachsen wilde Müllkippen, die ein vermehrtes Fliegen- und Mückenaufkommen hervorbringen. Es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten im Dorf, nicht einmal ein Pub. Trotzdem zieht es immer Menschen hierher, denn der ausschlaggebende Punkt hier zu wohnen, ist ein in Europa zur Selbstverständlichkeit gewordenes Phänomen: Es gibt 24 Stunden Strom und ausreichend Wasser.

Wer in den letzten Jahren im Irak gelebt hat, weiß dies zu schätzen. Mehrere Stunden werden täglich nur damit verbracht, Generatoren in Gang zu halten, das zuweilen rare Diesel auf dem Schwarzmarkt zu besorgen, Ersatzteile für die verschleißten Maschinen zu beschaffen und jemanden aufzutreiben, der den Generator zum fünfundzwanzigsten Mal repariert, bevor man sich einen neuen leistet. Nirgendwo im Irak gibt es derzeit eine lückenlose Stromversorgung. Mit Wasser sieht es nicht besser aus. Erbil, die Hauptstadt der drei nordöstlichen Provinzen, die schlechthin als Irak-Kurdistan gelten und weitgehende Autonomie genießen, ist seit dem Sturz Saddam Husseins um fast das Doppelte gewachsen. Heute wohnen hier 1,3 Millionen Menschen. Der rasante Zuzug vor allem aus dem vom Terror geplagten Bagdad und den an die Hauptstadt angrenzenden Provinzen, hat die Stadtplaner vor schier unlösbare Probleme gestellt. Strom und Wasser wurden aufgeteilt und in einigen Vierteln so knapp, daß eine Welle des Protestes über die Stadtväter hereinbrach. Inzwischen ist ein neuer, privater Stromerzeuger aufgetreten und ans Netz gegangen. Doch die technischen Voraussetzungen für die alten Stadtviertel müssen erst noch geschaffen werden, um die Zufuhr zu gewährleisten. Für die neu entstehenden „Traumstädte“ ist dies schneller wahr zu machen.

Birgit Svensson, Erbil

Wirsing

Wenn man das Fernsehprogramm aufmerksam verfolgt, kann man den ausgefallensten Berufen begegnen. In einem Magazinbeitrag des MDR-Fernsehens wurde vor einiger Zeit ein „Bockwindmühlenmüller“ vorgestellt. Um zu erforschen, worum es sich handelt, nehmen wir den Begriff auseinander und schlagen den Bock in den Wind. Dann bleibt ein Mühlenmüller übrig. Und das ist ein alter Handwerksberuf aus der Zeit, als es noch Schuhschuster, Gebäckbäcker und Fleischfleischer gab. Aber der Bock hat auch damals vorrangig Mist gemacht.

In einem Filmbericht des NDR-Fernsehens sah man einen Herrn in mittleren Jahren, dessen Profession „Krankengymnasiast“ war. Da er augenscheinlich der Schulzeit bereits entwachsen, stellt sich die Frage: Geht er zum Gymnasium, um vielleicht so wie ein Schulpsychologe kranke Gymnasiasten zu heilen? Oder war er ein während der Schulpflicht stets kranker Gymnasiast, der jetzt doch noch das Abitur nachholt? Wenn dem älteren Herrn auf der Schulbank seine Sitzfläche Schmerzen bereitet, kann er sich vielleicht mit einem Gymnastiker beraten.

Fabian Ärmel