Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 16. März 2009, Heft 6

Bemerkungen

Offenes Geheimnis

Eine renommierte Zeitschrift läßt einen renommierten Professor über das Thema »Geheimnis der Machtmenschen« fabulieren, »wieso Politiker nicht die Klügsten sind«. Da denkt man sofort an Platons Bemerkung: »Diejenigen, die zu klug sind, um in der Politik tätig zu sein, werden dadurch bestraft, daß sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst«, und weiß, daß die Erkenntnis des renommierten Professors schon in der Antike vorhanden war. Dennoch sind des Professors Ausführungen lehrreich und lesenswert. Nach ihnen »erweist es sich … (auf dem Gipfel) … überdies als Vorteil, nicht über die Maßen klug zu sein«, weil »Skrupel und Reflexionswut (das politische Führungsleben) erheblich beschweren«. »Erfreuliche Momente für die Kraftnaturen sind Krisen und Katastrophen, denn dann weitet sich … das politische Spielfeld … Die sonst sperrigen Institutionen dürfen zwischenzeitlich übergangen werden«.

Dürfen die denn das? Die dürfen. Jedenfalls machen sie es. Denn »der Typus des Aufsteigers … konnte sich aufs seinem harten Weg nach oben überflüssige Sentimentalitäten und übermäßiges Fairplay nicht leisten; er hatte die Ellbogen rüde auszufahren«.
»In der Politik geht es nicht um Glaubwürdigkeit«. »Ein Politiker, der ein grundehrlicher Kerl sein möchte, wäre eine katastrophale Fehlbesetzung«. Politiker »müssen als kühl kalkulierende Strategen überzeugen … Ein Stratege … operiert geheim; er täuscht, legt falsche Spuren, hebt Fallgruben aus, lauert hinter Hekken …«, muß aber bemüht sein, sein »Tun moralisch zu verbrämen«.

Nach dem renommierten Professor muß also ein Politiker ein gewisses Maß an Dummheit aufbringen, lügen und heucheln können, brutal sein, kurzum: einen durch und durch schlechten Charakter haben, wenn er den Ansprüchen seines Amtes gewachsen sein will.

Platon hätte es so ausgedrückt: Machtmenschen sind eine Art umgekehrte Kentauren, also menschliche Körper mit Pferdeköpfen.

Günter Krone

Ehrenmord und Zwangsheirat

Daß die Moralauffassung, die den sogenannten Ehrenmorden in vorwiegend orientalischen Kulturkreisen zugrundeliegt, menschenfeindlich ist, ist selbst dann wohl zweifelsfrei, wenn man an die Betrachtung der Welt keine eurozentrierten Maßstäbe als Maß der Dinge für kulturellen Fortschritt oder Rückständigkeit anlegt. Den in dieser Hinsicht allzu gern erhaben Ur- und Verurteilenden sei empfohlen, sich die Neuverfilmung von Fontanes »Effi Briest« im Kino anzusehen. Mit dem – selbst seinerzeit schon mehrheitlich als sinnlos verurteilten – Ritual eines der Duelle zwecks »Wiederherstellung verletzter Ehre« samt Todesfolge für einen der Beteiligten ist höchst anschaulich dargestellt, welche Rolle dieses Denken mindestens noch bis zum Ertsen Weltkrieg in unseren Breiten gespielt hat.

Daß auf diese Weise auch ein aufgeklärter Mann wie Ferdinand Lassalle sein Leben verlor, sei hier ebenso nur angemerkt wie der Umstand, daß diese mehr oder weniger offiziellen Mordrituale seinerzeit keineswegs beim unaufgeklärten Pöbel, sondern bei den »Kulturträgern der Nation«, dem Adel und dem höheren Bürgertum zu Hause waren.

Weiter angemerkt sei, daß auch in Südeuropa – in Albanien, auf Sizilien und Kreta etwa – bei in der Regel »guten Christenmenschen« also, noch heute Menschen einander einer »verletzten Ehre« halber umbringen.

Und, bei Lichte besehen: Was anderes liegt jenen Massenmorden zugrunde wie denen, die wir erst vor wenigen Jahren auf dem Balkan erlebt haben, wo es – jedenfalls vorgeblich – um die Wiederherstellung der lange durch die Serben verletzten nationalen Ehre und Würde der anderen Ethnien Ex-Jugoslawiens gegangen sein soll.

Und selbst in Nordirland hat die Ehrverletzung von Katholiken und/oder Protestanten, im hohen Norden also unseres Kontinents, alle Nase lang Tote gefordert. Zurückhaltung also ist geboten, wenn man ideelle Vorsintflutlichkeit heute meint, allein an der Archaik orthodox-moslemischen Denkens festzumachen gedenkt.

»Effi Briest« hat übrigens gleich eine weitere Erinnerung an eine noch keineswegs lang vergangene Vergangenheit hierzulande parat, über die heute ebenso gern diskutiert wird, als handele es sich um eine morgenländische Erfindung: die Zwangsheirat, jene Fremdbestimmung von Kindern durch ihre Eltern also, mit der Effi Briests Lebenselend dereinst seinen Anfang nahm.

Heidi Jülich

Aufstieg

Der X, der will Karriere machen
und kraucht dem Y wo rein
Und wenn man Y jetzt tritt,
dann bricht sich X das Nasenbein.
Wo fangen die Karrieren an?
Im Hintendrin vom Vordermann.

Das denkt sich X:
Laß die man rackern!
Laß die man ackern!
Das ändert nix
am Los der geistig Armen –
Ich sitze schön im Warmen.

Dann kommt er raus und ist jetzt wer.
Noch gestern Jahrgangsletzter,
dann zwischendurch kurz abgetaucht
und heute Vorgesetzter.
… und mit viel Glück
und Schmeichelein
kraucht ihm der Z
klammheimlich rein …

Das denkt sich Z:
Laß die man schwitzen!
Laß die man flitzen!
Hier drin ist es recht nett.
Ein Platz zum Überwintern –
Die Zukunft wächst im Hintern.

Bernhard Spring

»Eulenspiegel«-Leserbrief

»Das Ende naht, wie Sie so schön schreiben. Die Wirtschaft kriselt, und die Banken fallen um. Ich habe allerdings noch Hoffnung, daß es für den Normalbürger nicht ganz so schlimm wird. Wenn mich z.B. 2009 die Krise genau so hart trifft, wie der Aufschwung 2008 bei mir angekommen ist, dann wird das ein wunderschönes Jahr.«

Dr. Walter Broermeyer, Erfurt

Medien-Mosaik

Natürlich fehlen einige Takte Musik auf einer Mozart-CD nicht, aber die Hauptrolle spielt in der Edition »Mir ist so federleicht ums Herz« das Wort. Horst Hiemer liest Anekdoten aus dem Leben des frühvollendeten »Wunderkindes«, auch Zeugnisse seiner Zeitgenossen und Ausschnitte aus Briefen. Anders als vor wenigen Jahren Klaus Maria Brandauer, dessen altersbrüchiges Organ nicht so recht zum jugendlichen Überschwang des Amadeus passen wollte, trägt Hiemer mit seiner warmen, modulationsfähigen Stimme die von Margarethe Drachenberg zusammengestellten Anekdoten als Erzähler vor, der sich gelegentlich in den jungen Mozart hineinversetzt. Das ist ein Genuß, der Schmunzeln mit Bildung verbindet.
Mir ist so federleicht ums Herz. Anekdoten über Mozart, CD, Ohreule Berlin 2008, 12,90  Euro

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Die Knef war immer eine Schlagzeile wert. Oft genug hat sie selbst dafür gesorgt, um im Gespräch zu bleiben. Dazu war sie auch gezwungen, denn mit Geld konnte sie nicht umgehen. Vom Schicksal gebeutelt, kompensierte sie ihr Unheil im Schreiben, Bücher und Chansontexte aus ihrer Feder künden von ihrer sprachlichen Kraft. Der Film, der jetzt über ihr Leben in die Kinos kommt, zeigt von ihrer Persönlichkeit nur einen Abglanz. Man entschied sich, die Jahre ihres Aufstiegs bis zum Höhepunkt ihrer Karriere als Diseuse zu schildern. Sicherlich war es ein Auf und Ab, aber der tiefe Fall, den ihr die siebziger und weiteren Jahre bescherten, wird ausgespart. Das bietet eigentlich nicht genug Spannung. Hinzu kommen Ungenauigkeiten wie bei den Umständen ihres Durchbruchs in »Die Mörder sind unter uns« oder aber die Schilderung ihrer Liebesbeziehung zum  Nazi-Funktionär Demandowsky. Die historischen Personen sind unterschiedlich treffend gezeichnet. Während man Willi Forst bei Hary Prinz nicht wiedererkennt, ist Boleslaw Barlog bei Sylvester Groth gut aufgehoben. Auch Heike Makatsch überrascht als Hilde mit Porträtähnlichkeit (auch Kamera und Maske zu verdanken). Allerdings merkt man ihr die Mühe an, gelegentlich »bellt« sie zu viel, singt ordentlich, aber ohne das gewisse Etwas die von Martin Todsharow für sie neu arrangierten Knef-Lieder.
Hilde, derzeit in zahlreichen Kinos

bebe

Sprachwissenschaft

Wann und wo das menschliche Sprachvermögen entstanden ist, ist immer noch ein großes Mysterium. Bis vor kurzem schien es sogar, als sollten sämtliche Versuche, der Sache wissenschaftlich auf den Grund zu kommen, scheitern und nichts anderes als Spekulationen hervorbringen.
Doch mittlerweile hat sich die Forschungssituation erheblich verändert. Heute gibt es im wesentlichen zwei, einander allerdings widersprechende Erklärungen für den Ursprung der menschlichen Redebegabung.
Zum einen ist das die Auffassung, daß erst eine plötzliche genetische Veränderung, die nicht früher als vor 200000 bis 100000 Jahren stattgefunden hat, den stummen Homo sapiens zum Sprechen gebracht habe.
Zum anderen gibt es die Auffassung, daß die Entwicklung der menschlichen Sprachfähigkeit von Anfang an mit der Evolution zum Menschen verzahnt gewesen wäre und mehrere Millionen Jahre in Anspruch genommen habe.
Dieser Ansicht ist auch die Biologin und Linguistin Ruth Berger. In ihrem Buch analysiert sie eingehend die anatomischen und neuronalen Voraussetzungen des Sprechens und kommt zu dem Ergebnis, daß bereits der Homo ergaster über eine Protosprache verfügt haben dürfte. Berger setzt sich außerdem ausführlich mit den vielen Versuchen  auseinander, den Ursprung der Sprache darwinistisch zu erklären. Doch ob es sich nun um die Manipulation und Täuschung anderer, das Klassifizieren und Schlußfolgern, das kulturelle Lernen, die Nahrungssuche, das Herstellen von Werkzeugen und Waffen oder den sexuellen Wettbewerb handelt – die Fähigkeit, artikulierte Laute zu erzeugen, ist für eine derartige Vielfalt von Aufgaben nützlich, daß es ein Überangebot an einigermaßen schlüssigen Hypothesen gibt. Ruth Berger verknüpft souverän Erkenntnisse der Natur- und Sozialwissenschaften, und sie schreibt noch dazu witzig und elegant. Ein brillantes Buch.

Frank Ufen

Ruth Berger: Warum der Mensch spricht. Eine Naturgeschichte der Sprache, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008, 304 Seiten, 19,95 Euro

Wirsing

Unser Leser H. Christian fand in der Koblenzer Rhein-Zeitung eine Meldung über den Publikumsliebling Heiko Reissig: »Am Flügel begleitet wird der Künstler dabei wieder von dem jungen Koblenzer Pianisten Florian Fries und der Sopranistin Lilia Milek aus St. Petersburg.« Herr Christian bedauert, daß er das Konzert nicht besuchen konnte, denn einen Sänger, der sich am Flügel von einem Pianisten und einer Sopranistin begleiten läßt, hört man nicht oft!

Fabian Ärmel