von Gerd Kaiser
Ryszard Nazarewicz (Jahrgang 1921) erschloß bislang unveröffentlichte Quellen in rußländischen, belorussischen und polnischen, aber auch in deutschen und tschechischen Archiven, und er nutzte Quelleneditionen jeglicher Provenienz sowie die umfangreiche polnische Memoirenliteratur.
Eine Auseinandersetzung um die Politik der polnischen Kommunisten entzündete sich bereits 1924 auf dem V. Kongreß der Komintern: Stalin beschuldigte damals Maria Koszutska (»Wera« Kostrzewa), Edward Próchniak, Henryk Walecki und Adolf Warski des Opportunismus sowie der Unterstützung jener Kräfte in der KPD, die gegen den Linksradikalismus von Ruth Fischer und ihrer Anhänger ankämpften. Auch Richtungskämpfe in der bolschewistischen Partei Räterußlands standen dabei zur Debatte.
In direkter Konfrontation mit Stalin widersprach »Wera« Kostrzewa und verteidigte sich und die Politik ihrer Genossen. Auch mit Grigorij Sinowjew legte sie sich an, der daraufhin drohte, den polnischen Kommunisten »die Knochen zu brechen«, sollten sie die Kritik und die Kritiker zurückweisen. »Genossen«, warnte Maria Koszutska, »in unserer Kommunistischen Internationale können gebrochene Knochen wieder zusammenwachsen. Ich befürchte jedoch etwas anderes, nämlich daß infolge Eurer besonderen Privilegien nicht jene gefährlich sind, denen man aus gleichen Gründen wie uns die Knochen brechen kann, sondern jene, die kein Rückgrat haben.«
In diesem Ton hatte in der Komintern noch niemand mit Stalin gesprochen – ein Stalin vergaß so etwas nicht: Mitte der dreißiger Jahre fielen sowohl die Anhänger der einen wie der anderen Richtung als auch die überwiegende Mehrheit polnischer Polit-Emigranten dem Großen Terror zum Opfer.
Nazarewicz dokumentiert das Zusammenwirken von Kominternfunktionären wie Dimitroff und Manuilski mit dem NKWD. So schlug Manuilski am 9. Januar 1936 Nikolai Jeshow die gemeinsame Absprache von Maßnahmen vor, weil die »KP Polens der Hauptlieferant von Personen« sei, »die Spionage und Provokationen in der UdSSR« betrieben. Von 3817 polnischen Kommunisten, die sich in der UdSSR befanden, überlebten nicht mehr als hundert den Terror, von den Funktionären nicht ein einziger. (Boleslaw Bierut, nach dem Krieg Stalins rechte Hand in Polen, überlebte wie Alfred Lampe in einem polnischen Gefängnis, wurde jedoch – als einer der Vertreter polnischer Kommunisten in der Komintern – 1936 aus der KPP ausgeschlossen.)
1938 ordnete Stalin die Auflösung der KPP an. Der Auflösungsbeschluß trägt die Unterschriften von Dimitroff, Manuilski, Michail Moskwin, Otto Kuusinen, Wilhelm Florin und Ercoli (Palmiro Togliatti).
Ryszard Nazarewicz untersucht auch das ambivalente Verhältnis (und Verhalten!) der UdSSR zu Polen und den polnischen Kommunisten nach dem Überfall Deutschlands auf Polen und nach dem Einmarsch der Roten Armee. Polnische Kommunisten wie zum Beispiel Edward Próchniak hatten bereits 1920, also unter anderen weltpolitischen Konstellationen, vor einem Einmarsch der Roten Armee gewarnt. Das würde »einen neuen Sturm des Nationalismus in Polen« entfachen, »der nicht nur Bourgeoisie und Bauernschaft erfaßt, sondern auch einen großen Teil der Arbeiterklasse«. Ungeachtet solcher inneren und äußerer Schwierigkeiten formierte sich 1939/40 ein antifaschistischer Widerstand auch von kommunistischer Seite.
Die Entstehung der kommunistischen Polnischen Arbeiterpartei (PPR) 1942 war von tragischen Ereignissen wie den bis heute nicht endgültig aufgeklärten Morden an deren Führern Marceli Nowotko, Pawel Finder und Boleslaw Molojec begleitet. Hinzu kamen »erneute strategische Kehrtwendungen der Komintern« (Nazarewicz) und der UdSSR in der Beurteilung des Charakters des Kriegsgeschehens in den Jahren 1939 bis 1941 sowie 1941 bis 1943.
Im Zuge wechselnder »Interessenlagen« der UdSSR unterband die sowjetische Zensur zeitweise zum Beispiel jedweden Hinweis auf die Existenz und die Tätigkeit des von polnischen Kommunisten in Polen initiierten Landesnationalrates (KRN), verhinderte Kontakte zwischen Vertretern der KRN und polnischen Kommunisten in der UdSSR. Die sowjetische Seite bereitete auch Schwierigkeiten bei der Ausrüstung der in Polen operierenden Volksarmee (Armia Ludowa) und versuchte auch, die polnische linke Partisanenbewegung dem Kommando des sowjetischen Stabes zur Partisanenkriegsführung unterzuordnen.
Auch zur Problematik der neuen Nachkriegsgrenzen Polens sowie zu konzeptionellen Vorstellungen des Zentralbüros Polnischer Kommunisten in Moskau hinsichtlich der Installierung militärischer und politisch-administrativer Organe in befreiten polnischen Landesteilen bietet das Buch neue Informationen und neue Sichten.
Man darf gespannt sein, ob dieses Buch – mit Unterstützung der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung entstanden – auch auf deutsch erscheinen wird. Hielten sich doch nicht wenige überlebende deutsche Kommunisten immer für Stalins Musterknaben und wußten folglich meist immer – und zum Teil immer noch –, was von »den Polen« und den polnischen Angelegenheiten zu halten ist.
Ryszard Nazarewicz: Komintern a lewica polska. Wybrane problemy. (Die Komintern und die polnische Linke. Ausgewählte Probleme), Instytut Wydawniczy »Ksiazka i Prasa« Warszawa 2008, 263 Seiten, 18 PLN
Schlagwörter: Gerd Kaiser, Komintern, Polen, Ryszard Nazarewicz