von Peter Braune
Zum Protest gegen einen Aufmarsch junger Neonazis neulich in Karlshorst fuhr ich mit der S-Bahn. Vom Bahnhof Zoo an hatte ich eine Fahnenstange mit verhüllter Flagge zwischen den Beinen, und wo sonst vier Personen sitzen, quetschten sich nun sechs zusammen. Drei junge Mädchen in schwarzen Jeans, Bomberjacken und Baseballkappen und zwei Jungen mit Gürtelgehängen an gleicher Kleidung. Das waren keine Gegendemonstranten wie ich, sondern eine – von der Polizei, ebenfalls in schwarzen lockeren Kampfuniformen steckend, auf dem Bahnhof in die letzten beiden Waggons gedrängte – Gruppe Autonomer Nationalisten. So stand es silbergrau hinten auf einigen Jacken.
Die Mädchen nagten an ihren Lippen und sahen auf den Boden, auch die Jungen wichen meinen Blicken aus. Aus dem Waggon befahl eine etwas ältere Stimme, Ruhe zu bewahren: »Wir werden denen unsere Forderungen später um die Ohren knallen!« Als der Reichstag in Sicht kam, prustete mein Gegenüber hervor: »Dän nähma uns och näbenbei, nor Gameraden!«
»Wofür wollt ihr denn demonstrieren?«, fragte ich beiläufig, uninformiert. »Für ein Jugendzentrum!«, einer, ein anderer: »Ein Nationales Jugendzentrum!« »Hier in Berlin?« »Na, wo denn sonst als in der Reichshauptstadt.« Die Mädchen nagten weiter an ihren Lippen. »Vielleicht verstehe ich etwas falsch«, sagte ich, » aber es gibt, wie ich weiß, bisher kein ›Nationales Erwachsenenzentrum‹, Frauen, Männer, Kinder oder Senioren haben auch keines. Wer soll denn den Bau bezahlen und dann betreuen?« »Na die nationalen Kräfte, die wissen, wie man den Volkstod verhindern kann!« »Welchen Volkstod?«, fragte ich ungläubig. »Na unser deutsches Volk wird doch von den Führern dieses Systems an die Nichtdeutschen ausgeliefert, ja, die holen nichtnational gesinnte Typen immer weiter ins Land.« Argumentieren ließ ich bleiben, wollte noch mehr aus den jungen Menschen herausfragen. »Wo kommt ihr denn her?« »Wir sind die Kameradschaft Sachsen, und die anderen da hinten kommen von Rügen. Das sehen wir gleich. Die meisten haben Anstecker und Aufnäher. Hier die Südstaatenflagge, das Southern Cross, wir haben das Keltenkreuz, die Kameradschaft da vorne hat Hammer und Schwert.«
»Jetzt hör mal auf damit!« Unter dem Befehlston der Stimme aus dem Waggon, die vorhin schon Disziplin angemahnt hatte, wich der Junge vor meinem Blick aus. Er verstummte. »Wer so viel fragt, ist sicher von der Presse!«, bläkte noch einmal die Stimme zu uns herüber. Die Mädchen und Jungen um mich herum sahen mich jetzt mit haßerfüllten Augen an. »Wir sagen nichts mehr, Sie ziehen ja doch alles in den Dreck, was wir sagen!«
Bis Karlshorst blieb es still. Erst als die schwarze Polizei die Gruppe der angereisten Neonazis umstellte und jeden einzeln nach Waffen durchsuchte, brüllte die Masse auf: »Wir wollen hier raus!« Jeder mußte dann allein die Treppe hinuntergehen.
Später pfiff und sang ich mit den Gegendemonstranten gegen die Hetzreden von ›Fritz aus Harz‹ und dem Versammlungsleiter ohne Namen an, brüllte auch auf die jungen Menschen ein, die jetzt mit dreihundert anderen Mädchen und Jungen stramm marschierten und vorher zum Schweigen durch einen ihrer Führer verdammt worden waren. Ob das so richtig ist? Hätte ich in der Bahn den »Führer« der Kameradschaft zusammenstauchen sollen? »Es gibt deine Gevolkschaft nicht in diesem Land! Hier wird miteinander gesprochen!« Diese Frage beschäftigt mich noch heute, drei Tage nach dem Spuk in Lichtenberg.
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