von Thomas Dudek
Der Élysée-Palast hätte die deutsche Bundeskanzlerin sicherlich gerne am 11. November bei den offiziellen Feierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkrieges in Frankreich gesehen. Neben dem britischen Thronfolger Prince Charles und dem EU-Kommissionspräsidenten Jose-Manuel Barroso wäre sie für Nicolas Sarkozy ein weiterer wichtiger Gast bei dem Festakt zum 90. Jahrestag des Kriegsendes in Douaumont gewesen. Doch in dem lothringischen Städtchen, in dem der Opfer der Schlacht von Verdun gedacht wird, wurde Deutschland lediglich von dem Saarländer und aktuellen Bundesratspräsidenten Peter Müller vertreten.
Denn Angela Merkel wohnte an dem Tag lieber einer anderen Gedenkfeier bei. Gemeinsam mit Viktor Juschtschenko, Michail Saakaschwili und 13 weiteren Staats- und Regierungschefs sowie Abgesandten acht weiterer Staaten und der Europäischen Union weilte sie in Warschau, wo dem 90. Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit gedacht wurde. »Es ist mir eine sehr große Freude, heute an den Feierlichkeiten auf dem Pilsudski-Platz teilzunehmen« schrieb Angela Merkel in einem Grußwort, das am Feiertag in der meistverkauften polnischen Zeitung, dem Springer-Blatt »Fakt« erschien. Eine Bild-Dublette, die sich mit ihrer Schlagzeile »Es lebe Polen« an dem Tag besonders patriotisch gab.
Der sonst so deutschfeindliche Lech Kaczynski muß sowohl diese Schlagzeile als auch Merkels Grußwort mit großer Befriedigung gelesen haben. Schon Ende August kündigte er die Feierlichkeiten an, deren Höhepunkt ein von der Präsidialkanzlei veranstalteter Ball sein sollte, mit 55 eingeladenen Staatsoberhäuptern und insgesamt 1800 Gästen. »Wir wollen die Rolle Polens in der Welt unterstreichen. Wir wollen Polens Bedeutung als ein Symbol des Freiheitskampfes hervorheben«, erklärte der Kanzleiminister Kaczynskis, Michal Kaminski, der Presse.
Doch besonders große Lust, Polens besondere Bedeutung in der Welt hervorzuheben, haben die meisten eingeladenen Staatsoberhäupter, darunter die Präsidenten George Bush, Dimitrij Medwedew und Frankreichs Nicolas Sarkozy, nicht gehabt. Am 3. November mußte die Präsidialkanzlei zugeben, daß ein großer Teil der Staatsoberhäupter noch gar nicht auf die Einladung aus Warschau reagiert hatte. Klar war zu dem Zeitpunkt nur, daß sowohl Dimitrij Medwedew als auch alle anderen Mitglieder der russischen Regierung die Feierlichkeiten in der polnischen Hauptstadt boykottieren werden. Als am 6. November dann die offizielle Gästeliste bekanntgegeben wurde, war endgültig klar, daß nur 16 Staats- und Regierungschefs nach Warschau kommen würden und Angela Merkel die einzige hochrangige Vertreterin eines westeuropäischen Staates bei den Feierlichkeiten sein würde.
Lech Kaczynski ließ sich trotz der »zweiten Garnitur«, wie die Tageszeitung »Dziennik« stichelte, dennoch nicht den Spaß an seiner Veranstaltung nehmen. Ende Oktober machte die Präsidialkanzlei aufgrund der ausbleibenden internationalen Gäste aus dem Ball eine feierliche Gala mit landestypischen Spezialitäten und verschiedensten alkoholischen Getränken. Um, wie einer der Sponsoren schon vor der Gala verlauten ließ, der Welt zu beweisen, daß die Polen die Erfinder des Wodkas und bis heute dessen weltbesten Produzenten sind. Durch die Nichteinladung des ehemaligen Staatspräsidenten und Intimfeinds Kaczynskis, Lech Walesa, wurde die Gala, die bis dahin von der polnischen Presse teilweise belächelt wurde, zu einem Politikum.
»Ich wurde mehrmals von Walesa beleidigt«, sagte Lech Kaczynski. »Zuerst soll er sich bei mir entschuldigen und sich zudem kritisch mit seiner Präsidentschaft befassen, in der viele wichtige Positionen mit ehemaligen Geheimdienstleuten besetzt wurden«, sagte der Staatspräsident weiter und spielte damit auch auf die angebliche IM-Tätigkeit seines Vor-Vorgängers an. Dabei hatte sich dieser selbst schon sehr auf die Gala gefreut. »Ich hatte Lust, mit Frau Kaczynski zu tanzen«, kommentierte Lech Walesa seine Nichteinladung, die nur ein weiterer Höhepunkt in einem schon seit 1991 währenden Streit zwischen den einstigen Kampfgefährten ist. Ein Streit übrigens, der sobald auch nicht beigelegt werden dürfte. »Ich sehe nicht ein, warum ich mich bei ihm entschuldigen sollte«, erklärte Lech Walesa in einem Fernsehinterview. »Hätte ich die Kaczynskis eher rausgeschmissen, wäre Polen viel Unglück erspart geblieben«, fügte er vor laufenden Kameras hinzu und zeigte damit, daß er durchaus in seiner Eitelkeit verletzt ist.
Doch dies scheint man Lech Walesa nicht besonders übelzunehmen, ganz im Gegenteil zu Lech Kaczynski. »90 Jahre seit der Erlangung der Unabhängigkeit durch Polen. Dies ist ein Ereignis, das wir gemeinsam begehen sollten, unabhängig von Sympathie, Antipathie oder politischen Ansichten. Lech Walesa ist eine wichtige Persönlichkeit der polnischen Geschichte, und er sollte eingeladen werden«, sagte der ehemalige Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, der selber eine Einladung zu der Gala erhielt, auf dieser aber nicht offiziell begrüßt wurde. »Ich bitte drum, endlich unsere provinzielle Politik, unseren Streit um die Amtssessel zu beenden, um sich wichtigeren Dingen zuzuwenden: Seit 90 Jahren existiert Polen in diesem Teil der Welt und will eine wichtige Rolle spielen. Wenn diese Botschaft aus Warschau gesandt wird, dann haben wir gewonnen«, appellierte der Vorgänger Kaczynskis, mit Blick auf das außenpolitische Ansehen Polens, in der Presse.
Sorgen um das außenpolitische Bild des Landes mußte sich auch Außenminister Radoslaw Sikorksi gemacht haben. »Meine Aufgabe wird es sein, anwesend zu sein und dem Präsidenten bei den ausländischen Gästen zu assistieren«, sagte Sikorski im Vorfeld der Gala. »Aber ich werde ein Unbehagen verspüren, wenn ich nach dem Grund für die Abwesenheit Walesas gefragt werde.« Unbehagen verspürte der polnische Chefdiplomat jedoch nicht nur bei der Frage nach Walesa. Den ausländischen Gästen mußte Sikorski auch erklären, warum er auf der für Polen so wichtigen Gala der einzige Vertreter der Regierung war.
Bereits wenige Tage vor der Gala tauchten in der Presse Berichte über einen Boykott der Veranstaltung durch Premierminister Tusk und seinen Stellvertreter Waldemar Pawlak auf – Berichte, die von der Regierung nur halbherzig dementiert wurden. »Dies ist kein Boykott seitens der Regierung. Die Abwesenheit hat mit anderen Verpflichtungen zu tun«, erklärte Innenminister Grzegorz Schetyna am 10. November.
Doch wie Donald Tusk am Nationalfeiertag zeigte, hatte sich die polnische Presse mit ihren Mutmaßungen über einen Boykott nicht geirrt. Erst kurz vor Beginn der Festgala gab der Premierminister endgültig bekannt, nicht ins »Teatr Wielki« zu kommen. Ein Nichterscheinen, das er nicht mit anderen Verpflichtungen, sondern mit seinem persönlichen Widerwillen gegen solche Veranstaltungen begründete. Einen Kommentar zu dem Fall Walesa konnte sich der Premierminister aber dennoch nicht verkneifen. »Wenn wir schon den 90. Jahrestag der Unabhängigkeit feiern, dann dürfen wir nicht vergessen, daß viele Jahre später ein bescheidener Elektriker in das Pantheon der größten historischen Persönlichkeiten gelangte, solchen wie Józef Pilsudski.«
Doch Lech Kaczynski ließ sich bis zum Schluß von solchen Einwänden nicht beeinflussen. Noch kurz nach der Gala bedauerte der Präsident nicht die Abwesenheit des Friedensnobelpreisträgers von 1983, der am 6. Dezember im Beisein von Nicolas Sarkozy, Donald Tusk und dem Dalai Lama den 25. Jahrestag der Preisverleihung feiern wird, dafür aber die von Tusk. Zu diesem Zeitpunkt schien er Begriffe wie »Liebe« und »Freudentag«, die er wenige Stunden zuvor in seiner Festrede vor dem Mahnmal für den unbekannten Soldaten noch verwendet hatte, schon vergessen zu haben. »Dies ist eine aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Regierung. Ich frage mich nur, ob die Polen wußten, zwischen wem sie wählten. Ich glaube, daß dies ein ganz großes Mißverständnis war«, sagte das Staatsoberhaupt dem polnischen Staatsfernsehen am Rande der Gala.
Daß aber Liebe und Freude den Polen an ihrem Nationalfeiertag nicht fremd ist, bewiesen an diesem 11. November die Anarchisten. Am Plac Bankowy im Warschauer Stadtzentrum, unweit der präsidialen Gala, veranstalteten sie einen »Konterball«, der allen frei zugänglich war. Etwa 400 junge Warschauer nutzten diese Gelegenheit, um bei Musik und Bier den 90. Jahrestag der Unabhängigkeit zu feiern – ohne jeglichen Zwischenfall. Es war also ein friedlicheres Fest als die offizielle Gala des Präsidenten, wo trotz Abwesenheit jeder mit jedem stritt.
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