Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 18. August 2008, Heft 17

Die Weltbühne im Netz

von Katja Dallibor

Germanicus nimmt Abschied‹, mit diesem Artikel vom 5. Dezember 1918 verabschiedete er sich von seinem wichtigsten Pseudonym und gleichzeitig vom Herausgeber Siegfried Jacobsohn – allerdings nur als »Germanicus«. Als Robert Breuer hielt er bis 1931 dem Blatt die Treue. Für mich war dieser Artikel der Einstieg in die Welt der »Weltbühne«. Ich schlug ganz zufällig diese Seite auf, und mir erschloß sich die Faszination, die Bedeutung dieses ›Blättchens‹.«
Mit diesen Worten beginnt Joachim Bergmann (59) seinen Brief an Eric Bourne, den in Großbritannien lebenden Sohn des langjährigen Schaubühne-Leitartiklers und Weltbühne-Autors Robert Breuer.
Seit rund 28 Jahren beschäftigt sich der Berliner, zu DDR-Zeiten Vertriebsleiter beim Berliner Akademieverlag, mit der Schau- und Weltbühne. Gemeinsam mit der russischen Film- und Literaturexpertin Irina Rudneva und seiner Tochter Karoline Bergmann, gründete er den Verein »das … Blättchen e. V.« mit dem Ziel, die wohl einmalige journalistische Leistung des Herausgebers Siegfried Jacobsohn, aber auch der rund 2680 Autoren durch Digitalisierung zu neuem Leben zu erwecken. »Hier werden insbesondere auch heute vergessene Personen betrachtet, deren Lebenswege häufig im Konzentrationslager oder in der Emigration endeten. Wir wollen ihnen ihre Gesichter zurückgeben und einen Beitrag zur Exilgeschichte leisten«, erklärt er die Motive für seinen jahrzehntelangen Einsatz.
Die Artikel der Jahre 1905 und 1933 – es sind die am wenigsten umfangreichen des »Blättchens« – werden demnächst im Internet zu lesen sein. Alle weiteren Jahrgänge sollen folgen und ein genaues Abbild der Originalzeitschrift wiedergeben. Über die Produktion einer DVD wird zur Zeit noch mit zwei Verlagen verhandelt. Grundlage dafür ist das von Bergmann 1991 im Saur Verlag München herausgegebene Register, in dem sämtliche Artikel verzeichnet sind, die jemals in der Weltbühne erschienen sind. Es enthält außerdem auch eine Bibliographie mit Annotationen.
Insgesamt 16 Mitarbeiter arbeiten mittlerweile an dem Mammutprojekt. Diese Personalintensität ist auch notwendig, gilt es doch, rund 44000 Seiten Korrektur zu lesen und von Schreib- und Rechtschreibfehlern zu befreien. Bei der Frakturschrift, die in Antiqua umgewandelt wurde, gab es durch die altdeutsche Schreibweise etliche Buchstabenverwechselungen, zum Beispiel beim kleinen s und f oder dem großen S und G, die sich sehr ähnlich sehen. Außerdem wurden die Artikelinhalte nach bestimmten Kriterien gefiltert.
Bergmann, für den die »Blättchen« bis heute nichts von ihrer Faszination verloren haben, kann auf tatkräftige Unterstützung durch seine Stellvertreterin Beate Sander bauen. Sander ist unter anderem verantwortlich für die Organisation des Projektes. »Die Thematik dieser Texte ist hoch interessant. Ich bin nach wie vor von unserer Arbeit überzeugt«, sagt sie.
Nicht zuletzt durch die mühsame Recherche nach den Erben der Autoren, Stichwort: Urheberrecht, ist das Projekt ein schwerer Tanker geworden. Der Grund dafür: Nick Jacobsohn, dem in den USA lebenden Enkel von Siegfried Jacobsohn, ist es nicht gelungen, die Zeitschrift weiter herauszugeben. Im Jahre 2003 lief das Urheberrecht an dem Blatt ab und alle Rechte an den Beiträgen gingen damit an die Autoren zurück, beziehungsweise an deren Erben, da inzwischen alle der ehemaligen »Edelfedern« verstorben sind.
Bei der Recherche nach den Erben kam es zum Teil zu ausgesprochen interessanten Kontakten, so etwa zu Miki Marcu, der in New York ansässigen Tochter von Valeriu Marcu, der einer der bekanntesten Sachbuchautoren der Weimarer Republik war. Marcu, ein gebürtiger Rumäne und zweisprachig aufgewachsen, hatte sich frühen Ruhm durch eine Biographie über Lenin erworben, den er persönlich gut kannte. Wegen seiner Eleganz hatte er übrigens den Spitznamen »Dandy der Revolution«.
Die Weltbühne erweist sich zunehmend als eine Brücke zwischen Deutschen und Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Denn zwei der Mitarbeiterinnen sind Türkinnen, eine Kroatin ist darunter und auch eine Russin, bei denen die Texte gut ankommen. Eine solche Kooperation wäre vermutlich ganz im Sinne von Siegfried Jacobsohn gewesen, meint Joachim Bergmann.
Ein Unterfangen wie dieses ist ohne Förderung nicht durchführbar. Bisher traten die Deutsche Literaturstiftung, die Bundesregierung und die Friedrich-Ebert-Stiftung als großzügige Finanziers auf. Da aber das Geld nach wie vor knapp ist, sind Spenden sehr willkommen.
Ende des Jahres soll das Projekt beendet und damit dem charismatischen Verleger Siegfried Jacobsohn und seinen zahlreichen, zum Teil sehr mutigen Mitstreitern, ein Denkmal gegen das Vergessen gesetzt worden sein. Fragen beantworten gern Joachim Bergmann und Beate Sander unter 030/23 45 79 84 zur Verfügung. Website: www.das-blaettchen-ev.de