von Mathias Iven
Als Joseph Roth 1939, noch nicht 45jährig, starb – an delirium tremens, aber vor allem an unheilbarer Entmutigung –, waren seine Freunde sich nicht einig, wen man da zu Grabe trug. Seine Herkunft hatte er immer in den Nebel von Legenden getaucht, seine Ansichten waren heftig und schwankend. Er besaß nichts, außer sich selbst …
Geboren wurde Roth am 2. September 1894 im galizischen Brody, der wohl jüdischsten Stadt der österreichischen Vielvölkermonarchie. In jungen Jahren kam er nach Wien. Dort setzte er sein in Lemberg begonnenes Studium der deutschsprachigen Literatur und Philosophie fort, ohne es jedoch zu Ende zu bringen. Vom Militärdienst befreit, meldete er sich 1916 freiwillig an die Front. Roth wollte dabeigewesen sein, um darüber zu schreiben. Der Krieg verwandelte ihn – das Erlebnis des Untergangs der habsburgischen k. u. k. Monarchie prägte seine politische Haltung. Ab 1918 in Wien, dann in Berlin, war Roth Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen, so beim Vorwärts, der Neuen Berliner Zeitung und beim Berliner Börsen-Courier. Journalismus und erzählende Prosa standen in den rund zwei Jahrzehnten seiner Schaffenszeit in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis zueinander.
Das Spinnennetz, der erste Roman, erschien 1923. Schon hier war der »Atem der Revolution« zu spüren, wurde die Rebellion zu einem zentralen Motiv seiner Prosa. Politische Systeme und bürgerliche Gesellschaftsidole betrachtete Joseph Roth zeit seines Lebens mit Skepsis; schon früh erkannte er die Gefahren einer ideologischen Radikalisierung und einer Wende nach rechts.
Seit 1925 nahmen Resignation und Zweifel zu, jenes rastlose Unterwegs ins Nirgendshin begann. Vor 75 Jahren, nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, ging er in die Emigration nach Frankreich. Die letzten sechs Jahre seines Lebens bestanden aus einer Verbindung äußerer und innerer Not. Schreiben wurde für ihn in dieser Zeit zur einzig möglichen Form des Überlebens: »Ich schreibe jeden Tag, nur, um mich zu verlieren in erfundenen Schicksalen.« Seine Isolation wuchs, trotzdem erschien Buch um Buch.
Rebellieren war für Roth geistige Lebensform und blieb bis zum Schluß Motivation für seine Literatur. Immer wieder hat er in seinem Werk das Auseinanderbrechen von Individuen in viele Teilexistenzen dargestellt. In diesen zerbrechenden Ordnungen suchte er nach neuen Wertsystemen. Die Aufgabe des Schriftstellers sah er darin, »Stellung zu nehmen […] zu der Grausamkeit, zu der Niedertracht, zu der Unmenschlichkeit der Welt von heute«.
Es war schwer für ihn, durch die finanziell schwachen Emigrantenverlage ein Auskommen zu finden. Der Alkohol und die Verzweiflung trieben ihn schließlich in den Tod. Am 27. Mai 1939 starb der Verfasser des Hiob und des 1932 erschienenen Radetzkymarsches, des wohl bekanntesten Werkes, im Pariser Hospital Neckar.
Auf seiner schlichten Grabplatte stehen die Worte »Mort a Paris en Exil« (»Gestorben in Paris im Exil«) – bezeichnend für das Leben eines Schriftstellers, der sich von den verlorenen Plätzen seiner ostjüdischen Kindheit zu einer menschlicheren Ordnung aufgemacht hatte, die er jedoch nicht fand.
Heinz Lunzer, Vicoria Lunzer-Talos: Joseph Roth im Exil in Paris 1933– 1939, Zirkular Sondernummer (Literaturhaus Wien) 224 Seiten, 16 Euro (zuzüglich Porto). Die gleichnamige Ausstellung im Literaturhaus Wien ist noch bis zum 11. Juni geöffnet.
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