von Klaus Täubert
Im nun öffentlich gemachten Adreßbuch Walter Benjamins findet sich auch ihr Name eingetragen: Heidi Herzog.
Gleich zwei Straßen in Paris sind vermerkt. Nichts weiter. In Benjamins Briefschaften sucht man vergebens nähere Informationen über die Frau, die der Exilant Benjamin im Süden Frankreichs, möglicherweise aber auch erst im Inneren, der Metropole Paris, kennengelernt hatte. Dort in Emigranten-Zirkeln oder schon Jahre zuvor in Marseille, wo in den Galeries Modernes die junge Schweizer Malerin ihre erste Ausstellung vorbereitete.
Denn auch Walter Benjamin hält sich im Jahr 1926 an der Côte d´Azur auf, ist in Aix-en-Provence und schließlich im September in Marseille. Er kennt die Malerin Linda Oppenheimer, Ernst Blochs erste Gattin, und mit der Plastikerin Jula Radt-Cohn verbindet ihn eine nicht unkomplizierte Liebe. Dem an Kunst immer Interessierten mag Heidi Herzog so schon aufgefallen und über den Weg gelaufen sein.
Am 7. Dezember 1905 in Basel geboren, hatte sie Mitte der zwanziger Jahre zu malen begonnen. In Italien zuerst, dort in Torro del Greco und dann schon in Sanary-sur-Mer, dem von Malern bevorzugten und nach 1933 von Ludwig Marcuse zur »Hauptstadt der deutschen Literatur« erhobenen Fischerdorf. Vorbilder und Lehrer, denen sie sich verpflichtet fühlte, waren André Derain, André Dunoyer de Segonzac und Professor Breune von der Münchner Akademie.
Frankreich sollte für Heidi Herzog schicksalbestimmend werden. Nach Marseille erlebte sie im Musée de Arles-sur-Rhone ihre zweite Personalausstellung. Ihr Eintauchen in die französische Malerei-Szene schien sich auszuzahlen, ihre künstlerischen Partnerschaften schienen sie voranzubringen. Sie malt jetzt in Öl die Landschaften ihrer Umgebung und verbringt dann, wie sie äußerte, gemeinsam mit Marcel Dyl, eine »entscheidende Phase« ihres künstlerischen Lebens in Le Tholonet, nahe Aix-en-Provence«, in den Ruinen des Chateau Noir, die auf immer mit dem Namen Paul Cézannes verbunden bleiben.
Solchen ersten Höhepunkten folgt der tragische, künstlerisch gesehen gleichwohl nicht untypische Akt der Selbstvernichtung ihres bisherigen Œvres. Allein eines davon, das Bildnis eines kleinen Mädchens, hatte den Weg ins städtische Basler Kunstmuseum gefunden. Solcher Legitimation zum Trotz ist sie in ihrer Heimatstadt unbekannt geblieben.
Heidi Herzog zieht nach Paris und lebt mit und unter führenden Malern ihrer Zeit; es sind die Jahre nach 1933, und ihre Bekanntschaft mit Walter Benjamin mag hier ihren Anfang genommen haben. Die in der Schweiz als Chemikerin promovierte Malerin heiratet einen Franzosen, wird Mutter zweier Kinder – und verliert beides, den jüdischen Ehemann und die Kinder, in dem erbarmungslosen Eroberungsfeldzug des nationalsozialistischen deutschen Nachbarstaates gegen die französische Republik. Heidi Herzog macht die destruktivsten Erfahrungen, mit denen ein Krieg Menschen überhaupt zu konfrontieren vermag.
1951 kommt sie, auftrags einer Schweizer Firma, nach Johannesburg, Südafrika. Psychisch und physisch instabil, entsagt sie dort schnell der Regelmäßigkeit mechanischer Arbeitsabläufe. In einem armseligen kleinen Zimmer in Braamfontein, an der Zentrumsperipherie Johannesburgs lebend und nurmehr malend die eigene Existenz ertragend, lernt sie dort der Kunstmäzen Gerrit Bakker kennen. Der Büchermensch und Kunsthändler wird zu ihrer letzten und wichtigsten, der sicherlich menschlichsten Begegnung, die ihr im Apartheidstaat widerfährt.
Bakker verbessert ihre soziale Lage und kehrt ihr Talent neu heraus. Sie verläßt die erbärmlichen, unkomfortablen Hinterräume der schwarzen Dienstangestellten und beginnt manisch-hastig mit Öl zu arbeiten. Die bis dahin ausschließliche Pastell-Malerin bringt nun leuchtende und nahezu explosive Blumenbilder hervor, die an den französischen Impressionisten Odilon Redon erinnern, sich aber doch fern irgendwelcher Stilisierungen darstellen. Die Kunst, die nun entstand, war das Fazit ihres Lebens. Sie war, nach bitteren Jahren, ein Destillat geistigen Schmerzes und physischen Leids, relativiert durch eine seltsame Verzauberung, wie sie eigentlich nur Menschen ihres Lebenshintergrundes hervorzubringen vermögen.
1965, in ihrem Todesjahr, gelang ihr in Pretoria der eigentliche Durchbruch. Mit einem Minimum an Werbung wurde sie plötzlich über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Sie kam ins Gespräch. Sie konnte plötzlich die Preise ihrer Bilder bestimmen. Sie schien es geschafft zu haben, die Schweizer Blumen-Malerin. Nichtsdestoweniger war sie kein eklektisches Talent. Ihre Bilder zeigen, insgesamt gedeutet, die Kraft des eigenen Könnens. Bald erschienen Skizzen von ihr in CONTRAST, der von Nadine Gordimer und Alan Paton geleiteten Zeitschrift, und Gerrit Bakker stabilisierte den Erfolg schließlich noch mit dem Verkauf eines Bildes an Kapstadts Nationalgalerie.
In Hillbrow, dem von Deutschen bevorzugten Stadtteil Johannesburgs, gab es damals ein kleines Restaurant namens Continental. Das mochte auch Heidi Herzog. Sie bewegte sich dort gern, eine zierliche kleine Person in Cordstoffen und unter einem bunten Hütchen, von welchen sie Dutzende besessen haben mochte.
Sie sprach nie über Vergangenes; sie ließ Fragen unbeantwortet, selbst aber stellte sie solche ganz unmittelbar. Heidi Herzog sprach unvermittelt von Wedekinds Büchse der Pandora, und vielleicht hatte das mit Gerrit Bakker zu tun, der ihr, wie aus jener Zauberbüchse, immer wieder neue, schier unbegrenzte Möglichkeiten geschaffen hatte: Ausstellungen in Kimberley und Pretoria, Kapstadt und Johannesburg. Schemenhaft und scheu blieb sie denen, die sie beobachten konnten, in Erinnerung, konträr zur Anzahl von Blumenbildern, in deren Intensität und Vibration sie das Leben selbst noch zu übertreffen gesucht hatte.
Heidi Herzog starb, noch nicht sechzig Jahre alt, am 25. Februar 1965. Dem medizinischen Terminus nach an einer »offenen Herzoperation«, literarisch verstanden aber doch wohl an »gebrochenem Herzen«.
Schlagwörter: Heidi Herzog, Klaus Täubert