von Wolfram Adolphi
Die Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« (HFF) will sich zur Filmuniversität mausern. Und weil alles neu werden soll – und natürlich auch viel größer und viel bedeutender und viel »standortgemäßer« –, soll der alte Name weg. Hochschulpräsident Dieter Wiedemann hat das verkündet. Babelsberger Filmuniversität, meint der Präsident, sei der Name, mit dem man jetzt weltweit um Studenten werben wolle. Konrad Wolf störe da nur. Es sei, ließ Wiedemann in der Berliner Morgenpost wissen, »immer schwieriger, jungen Leuten begreiflich zu machen, wer Konrad Wolf eigentlich war«.
Schon bald nach dieser Mitteilung hagelte es Protest. Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, meldete sich zu Wort, Ex-Rektor Lothar Bisky, heute Vorsitzender der Partei DIE LINKE, warnte davor, den traditionsreichen Namen aufzugeben, weitere Filmschaffende folgten.
Und Wiedemann, in Leipzig und Potsdam schließlich höchstselbst am Werk von Konrad Wolf geschult, ruderte ein Stück zurück. Noch sei ja nichts entschieden, hieß es, eventuell könne man den Namen ja in Klammern setzen. Und vielleicht auch – könnte man mutmaßen – ist dem Präsidenten außerdem aufgefallen, daß seine Begründungen fast schon etwas Putziges hatten. »Im Vergleich zum langen Namen«, wurde er in der besagten Morgenpost zitiert, lasse sich »der Begriff ›Babelsberger Filmuniversität‹ leichter vermarkten«.
Aber seltsam: Worüber die HFF »Konrad Wolf« am allerwenigsten zu klagen hat, ist ein Mangel an Bewerbern. Man reißt sich förmlich um die Plätze. Und auch ein weiteres Argument kann nicht wirklich ernst gemeint gewesen sein. »Eigentlich«, meinte Wiedemann, seien es »nur Hochschulen in Deutschland, die Namen tragen« – will sagen: Universitäten nicht. Schönen Gruß, möchte man da nach Babelsberg hinüberrufen, zum Beispiel aus Halle und Wittenberg von der Martin-Luther-Universität, aus Jena von der Friedrich-Schiller-Universität, aus München von der Ludwig-Maximilians-Universität, aus Frankfurt am Main von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, aus Bamberg von der Otto-Friedrich-Universität, und beste Grüße erst recht aus Düsseldorf, wo man lange um die Heinrich-Heine-Universität gekämpft hat, und aus Oldenburg, wo man stolz ist auf seine Carl-von-Ossietzky-Universität.
In der Öffentlichkeit also setzte Nachdenken ein, und da trat Wolfram Weimer auf den Plan, der Cicero-Chefredakteur, der ausgezogen ist, endlich Kultur in den Osten zu bringen (im Blättchen, 22/2007 war davon schon zu berichten). Eine »kluge Entscheidung« attestierte er in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 10. November dem Präsidenten, »obwohl«, fuhr er fort, »die Alt-Kader-Linken für ihre Ikone aus stählerner Zeit nun einen Namensstreit vom Zaun brechen«. Das ist Weimer, wie er leibt und lebt: Zwar ist es Wiedemann, der den Namen in Frage stellt, aber Streit suchen selbstverständlich die »Alt-Kader-Linken«. Kein Wort davon, daß schon siebzehn Nach-Wende-Jahre lang hunderte Studentinnen und Studenten aus aller Welt in der HFF »Konrad Wolf« studierten und arbeiteten und irgendwie doch auch gewußt haben müssen, daß sie dies unter dem Namenszug und im Erbe eines humanistischen und international weithin geachteten Filmemachers taten: In Weimers grob gemeißelter Sprache, die nur Schwarz und Weiß kennt und nichts dazwischen, gehört er weg, der Konrad Wolf, und sonst gar nichts. Und im Unterschied zu den für dumm verkauften Studierenden weiß Weimer natürlich, »wer Konrad Wolf eigentlich war«. Immer, poltert er, habe Wolf Zensur und Repression in der DDR gerechtfertigt. Sein »schlechtes Gewissen darüber« habe ihn dann zwar »zu seinem letzten – endlich halbwegs kritischen – Kinofilm ›Solo Sunny‹« getrieben – aber »seine große Zeit« habe er »in der engen Diktatur des 20. Jahrhunderts« gehabt, und somit wäre er »in der weltoffenen Demokratie des 21. Jahrhunderts« als »Bannerträger künstlerischer Freiheit geradezu grotesk«.
Solo Sunny ist der einzige Film, den Weimer nennt. Da zeigt sich, wessen Denken wirklich in der Enge verkommt. Denn in der Weite des Spektrums von Jahrhundertfragen, mit dem sich Konrad Wolf in weithin anerkannter künstlerischer Qualität und mit dem hohen Anspruch, die große Tradition des kritisch-realistischen Films aufhebend weiterzuführen, auseinandergesetzt hat, steht er im gesamten deutschen Film einzigartig da. Mit Lissy hat es 1956 begonnen. Schon 1959 hat er mit Sterne – einem beim Festival in Cannes (!) preisgekrönten Streifen – und 1961 mit Professor Mamlock die Judenverfolgung im faschistischen Deutschland thematisiert; im westdeutschen Film jener Jahre sucht man ähnliches vergeblich. Sonnensucher von 1958, der spannungsreiche Blick in die Tiefen der Wismut, wurde verboten, weil er ja eben gerade nicht platt und linientreu war. Die Teilung Deutschlands in Der geteilte Himmel (1964); das Schicksal junger Deutscher an der Ostfront in Ich war neunzehn (1968) und Mama, ich lebe (1976); die immerwährenden Fragen künstlerischen Schaffens in Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis (1971), Der nackte Mann auf dem Sportplatz (1974) und eben auch Solo Sunny (1979) – Konrad Wolf hat zu all diesen großen Themen Haltung bezogen in weit über die DDR hinausgreifenden Debatten, hat Anerkennung gefunden bei den Festspielen nicht nur in Cannes, sondern auch in Moskau, Karlovy Vary und New Delhi.
Aber das ficht Weimer nicht an – und das ist ja auch verständlich. Denn föchte es ihn an, käme er vielleicht dahinter, daß Konrad Wolf einer war, der mit seinen Filmen dazu beigetragen hat, daß die Menschen hellsichtig wurden – so hellsichtig, daß sie die Revolution des Jahres 1989 zu jener friedlichen werden ließen, die sie dann war; so hellsichtig, daß niemand in den Wahnwitz des Zu-den-Waffen-Greifens verfiel; so hellsichtig, daß auch die, die doch immer zu ihm gestanden hatten, begreifen mußten, daß er nicht mehr verteidigenswert war: dieser »Realsozialismus«.
Und sähe man Konrad Wolf als einen solchen, der Hellsichtigkeit beförderte, käme man zu anderen auch, und man müßte einen neuen Blick werfen auf den 9. November 1989 und die Tage davor und danach und also viel mehr Fragen stellen zur DDR-Geschichte als nur die nach Mauer und Staatssicherheit und schließlich sogar endlich beginnen, die DDR als Teil gemeinsamer deutscher Geschichte zu sehen – und genau das, wir wissen es, ist nicht beabsichtigt. »Deutsche Einheit« ist für die Weimer und Co. ein Zustand, in dem die DDR in Einheit und Geschlossenheit in die Hölle getreten wird. Und zwar mit jedem Jahr, das seit ihrem Untergang vergangen ist, noch einheitlicher und geschlossener.
Auf solchem Weg der Einheit und Geschlossenheit muß man jeden Fehltritt vermeiden. Und vor Konrad Wolf Angst haben. Das hat der Künstler in der DDR oft genug erlebt.
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