von Kai Agthe
Rüdiger Bernhardt, Professor emeritus und Autor des in dritter Auflage erschienenen Buches Gerhart Hauptmanns Hiddensee (zuerst 1996), hat eine neue Publikation über den Dichter und sein Eiland vorgelegt.
Da es sich den Jahren zwischen 1933 und 1945 zuwendet, kann hier von Insel-Idylle so wenig die Rede sein wie von innerer Emigration, von denen in älteren Hauptmann-Biographien zu lesen ist. Um so weniger, als Rüdiger Bernhardt für seine Arbeit Hauptmanns inzwischen transkribierte Tagebücher aus dieser Zeit zu Rate ziehen konnte. Die persönlichen Aufzeichnungen geben leider unzweideutig zu erkennen, daß der Dichter der Hitler-Diktatur bis zu deren Ende im Geiste eng verbunden blieb.
Dies auf eine Art, die Rüdiger Bernhardt treffend als Hauptmanns »prinzipielle Unentschiedenheit« bezeichnet. Das entsprechende Motto, das über des Dichters Dasein im NS gestellt werden kann, lieferte der Dramatiker selbst, in dem er Ansorge in den Webern sagen läßt: »Nu ja ja! Nu nee nee!« Dieser Ausruf der Unentschlossenheit ist auch der Kehrreim in Rüdiger Bernhardts Studie.
Hauptmann beeindruckten die politisch Mächtigen, vor allem die neuen Diktatoren. So sah der Dichter erst zu Mussolini, dann zu Hitler auf. Unentschiedenheit auch hier, denn er verehrte Hitler, ohne ihm persönlich nahezukommen. »Noch Hitlers Tod 1945 war ihm eine Eintragung ins Tagebuch wert, die mehr einen Märtyrer denn einen Verbrecher meinte«, so Rüdiger Bernhardt.
Keine Hitler-Rede im Rundfunk ließ sich das Ehepaar Hauptmann entgehen. Der Sprachkünstler nannte die widerlichen Salbadereien Hitlers »Meisterwerke«. Goebbels – der Hauptmann wegen seines Erfolgs in der »Systemzeit« genannten Weimarer Republik nicht sonderlich schätzte – wußte ihn doch weihevoll als Goethe des Dritten Reichs propagandistisch auszubeuten. Und der Greis, nu ja ja, nu nee nee, ließ es mit sich geschehen.
Sein Bekenntnis zum NS hatte Hauptmann schon 1933 mit dem Drama Die goldene Harfe abgelegt, obwohl es thematisch – »Nu ja ja! Nu nee nee!« – keine explizite Huldigung des Regimes darstellte. In den vierziger Jahren gestaltete Hauptmann dann ein Alterswerk, das als dramatisches Pendant zu Richard Wagners Ring des Nibelungen bezeichnet werden darf und dem, auf Grund seines literarischen Gewichts, das besondere Augenmerk des Autors gilt: die Atriden-Tetralogie, an der er von 1940 bis 1945 in der vom Krieg unbehelligten, aber dumpfen Stille Hiddensees arbeitete. Es ist eine die Orestie der griechischen Mythologie aufgreifende Dramenfolge, bestehend aus den Stücken Iphigenie in Aulis, Agamemnons Tod, Elektra und Iphigenie in Delphi.
Im NS wurde diese Tetralogie als Apologie auf das Dritte Reich verstanden, aber nach 1945 – auch in der DDR – ganz anders interpretiert. Mythisches Geschehen, das ist die Crux, läßt derlei zu. Es gilt aber Rüdiger Bernhardts Wort: »Die Atriden-Tetralogie ist, wie auch immer man sie lesen und deuten mag, ein großer Text.«
Das Leben des Dichters zwischen 1933 und 1945 von Mutmaßungen und Legenden befreien zu wollen – wie es der Vorstand der Gerhart-Hauptmann-Stiftung in Kloster auf Hiddensee mit diesem Buch beabsichtigte – ist Rüdiger Bernhardt in seinem vorzüglichen Werk, das vor allem die dunklen Kapitel dieses Lebens ausleuchtet, gelungen. Kein Nu ja ja, nu nee nee.
Rüdiger Bernhardt: »… geschehen ist der Götter Ratschluss«. Gerhart Hauptmanns Delphi lag auf Hiddensee. Der Dichter in der Zeit von 1933 bis 1945, Projekte Verlag Halle 2006, 178 Seiten, 9,75 Euro
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