von Jens Knorr
Geld macht sinnlich, davon können die subventionierten Opernhäuser ein Lied singen – und Kurt Weills Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny auf den Spielplan setzen.
Nun ist Berlins Komische Oper unter ihrem Intendanten Andreas Homoki längst zu einer Bude wohlfeiler Gesellschaftskritik im Gewande biederer Theaterprovokationen verkommen, die sich an den wirklichen Problemen ihres Publikums elegant vorbeimogeln – an den Glutkernen der benutzten wie unbenutzt ausgestellten Stücke ohnehin.
Zum künstlerischen Offenbarungseid gerät nun aber ausgerechnet eine Inszenierung jener Oper, die über eine Kapitalismuskritik auf dem Stand der Endzwanziger hinaus eine Kritik der Kapitalismuskritik leistet, indem sie eine Gesellschaft beschreibt, die selbst noch die Produktion von Kritik in das zu Kritisierende integriert. Wo alles zur Ware wird, ob materiell oder immateriell, dort hat selbstverständlich auch Warenkritik Warencharakter.
Weills Oper nach dem Text von Bertolt Brecht – das Verschweigen der Mitarbeiter Elisabeth Hauptmann, Caspar Neher und Weill selbst auf dem Besetzungszettel ist ein peinliches Versäumnis der Dramaturgie! – hat eben jene Problematik zum Vorwurf, an der das subventionierte Operntheater herumlaboriert; die neue Aufführung der Komischen Oper Berlin streift sie nicht einmal. Geriet die Inszenierung von 1977, mit der Joachim Herz seine glücklose Intendanz eröffnet hatte, zu einem barokken Report über Uraufführung und Uraufführungszeit, so verharrt im Jahr 2006 die Regie ratlos und interessenlos vor dem Stück, im zweiten und dritten Akt glänzt sie über weite Passagen durch Abwesenheit.
Den Bühnenraum versperrt ein großer Würfel (Bühne: Hartmut Meyer), auf dessen Packpapierwände die interessierten Techniker des Hauses Szenentitel und Key words malen oder Regieanweisungen projiziert werden, die die Sängerdarsteller erstaunt betrachten und buchstabieren dürfen, als läsen sie zum ersten Mal, was sie da lesen. Regisseur Andreas Homoki hält das vermutlich für Verfremdung. Vom Packpapier befreit, zeigt sich der Würfel im zweiten Akt als Rahmen mit bunten Lamellen aus Plastikfolie; sind die abgefallen, senkt sich zum dritten Akt der leere Rahmen herab, entschwindet später dann in den Bühnenturm, und die interessierte Technik beseitigt die Überreste des Abends. Mahagonny, die Netzestadt, von Leokadja Begbick und ihren Kumpanen auf der Flucht vor den Konstablern gegründet, um den Goldgräbern ihr Gold abzujagen, bevölkert von Haifischen, den Prostituierten, ist vor der Pause staatsmonopolistisches Stadtidyll, in dem alles verboten ist, was Ruhe und Eintracht stören könnte, und nach der Pause marktkapitalistischer Moloch, wo man alles dürfen darf – wenn man Geld hat. Also trägt man vor der Pause kollektiv Overalls, nach der Pause Individuelles von der Stange (Kostüme: Mechthild Seipel), stapft durch anwachsende Berge von Papiergeld – als ausgegebenes wertlos? – oder steigt auf Leitern hinauf und von Leitern herunter.
Wenn auch die einfältigen Regieeinfälle selten neu und noch seltener Regisseur Andreas Homoki selbst eingefallen sind, so ist es doch immerhin ihre Reihenfolge. Die recycelten Mittel des realistischen Theaters Felsensteinscher Prägung und des epischen Theaters Brechts und seiner Werkstatt, unverstanden gebraucht die einen wie die anderen, parodieren sich unfreiwillig gegenseitig. Zumal die sängerischen Leistungen prekär sind: Tatjana Gazdiks lyrischer Koloratursopran ist über weite Passagen kaum zu hören. Sie findet für die Partie der Jenny ebensowenig einen adäquaten Gestus wie Kor-Jan Dusseljee, ein jugendlich-dramatischer Tenor, für die seine des Jim Mahoney. Dusseljee liefert sie fast schon routiniert ab, und zu besserem wurde er von der Regie auch nicht gebeten, die beispielsweise seine große Arie im dritten Akt lediglich dazu nutzt, zwei Theaterleichen elegant von der offenen Bühne zu expedieren. Nicht nur an der von ihm dargestellten Figur, Leokadja Begbick, sondern auch an der Stimme Christiane Oertels ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Unter Kirill Petrenko rattern Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper durch die Partitur, als gelte es, das Auge über das Ohr zu korrumpieren, den Abend doch noch zu einem wie auch immer gearteten Ganzen zu stemmen.
An der Komischen Oper hat man es nicht vermocht, Weills Oper mit großem Orchester in drei Akten aus dem fordistischen in das postfordistische Zeitalter herüberzubringen. Vielmehr ist das Kunststück gelungen, den Zuschauer glauben zu machen, daß ihn die Totenfeier der Weimarer Republik heute eigentlich gar nichts mehr anginge. Die Theaterleute bleiben, vom Prinzip Mahagonny unbelehrt, in jedem Moment der Welt des Tauschwerts verhaftet, die durchschaubar zu machen sie doch immer so wortreich behaupten: Die Inszenierung erzählt nicht Mahagonny, sie ist Mahagonny! Mit den Insassen des Hotels Zum reichen Mann, das auf Caspar Nehers Zeichnung ein Proletarier in Flammen setzt, das Messer zwischen den Zähnen, den Revolver im Gürtel, die Knarre in der Rechten, die Brandfackel in der Linken, ist nicht gut episches Theater zu machen. Wie uns die Erfahrung lehrt. Wenn sie es denn tut.
Nächste Vorstellungen: 18. und 29. Dezember.
Schlagwörter: Andreas Homoki, Bertolt Brecht, Jens Knorr, Kurt Weill