Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 21. August 2006, Heft 17

Klartext

Die schönsten Texte werden heute nicht mehr geschrieben, sondern gesprochen. Das ist ungefährlicher – für die Autoren. Am 3. August führte Claus Kleber im »heute journal« des ZDF ein Interview. Wir verzichten bewußt auf einen Kommentar, weil wir nicht verniedlichen wollen. Statt dessen dokumentieren wir den Mitschnitt.

Claus Kleber: Professor Norbert Walter ist Chefvolkswirt der Deutschen Bank, auch das ein Unternehmen, das in Zeiten steigender Gewinne Jobs gestrichen und Dienstleistungen ausgelagert hat. Professor Walter, wie lang kann sich Deutschland als Volkswirtschaft eine solche Entwicklung noch leisten, wenn den deutschen Produzenten die deutschen Konsumenten weghungern?
Norbert Walter: Die deutschen Konsumenten sollten natürlich auch endlich wieder höhere Einkommen haben. Aber wenn wir das auf eine Weise versuchen, durch die die Lohnkosten in Deutschland steigen, dann wird die Auslagerung von Jobs sich fortsetzen und dann wird das Ziel, höhere Einkommen nachhaltig in Deutschland zu erzielen, nicht erreichbar sein. Um gleichzeitig Kosten in Schach zu halten u n d Einkommen für Inländer zu erhöhen, gibt’s in meinem Urteil nur zwei Methoden. Die eine, die Königsmethode, ist, tüchtiger werden, mehr lernen, produktiver sein. Wenn das aber nicht geht, und das wird kurzfristig sehr sehr schwer sein, dann heißt die Devise: Wir müssen für das gleiche Gehalt mehr arbeiten, und wenn wir mehr verdienen wollen, müssen wir noch eins drauflegen bei der Vermehrung der Arbeitszeit. Und das bedeutet nicht nur Wochenarbeitszeit, das bedeutet auch, daß wir beispielsweise die Lebensarbeitszeit wirklich verlängern müssen. Insofern hat Müntefering recht, daß er in diese Richtung geht.

Kleber: Nun kann natürlich ein Arbeitnehmer im Moment sehr schwer verstehen, daß er in der eigenen Tasche spürt, daß das Nettoeinkommen, das reale Nettoeinkommen, eher schrumpft als steigt, und jeden Abend berichtet das heute journal in seinen Börsenberichten darüber, daß die Gewinne der Unternehmen Rekordhöhen erreichen. Wie paßt das zusammen?
Walter: Wenn die deutschen Arbeitnehmer den entscheidenden Beitrag zur Erhöhung der Gewinne der deutschen Unternehmen leisten, dann wird es relativ schwer sein für deutsche Unternehmen, diesen Kurs fortzusetzen. Vielfach – für DAX-Unternehmen insbesondere – sind aber die erhöhten Gewinne Ergebnisse von einerseits der Einbringung von Arbeitskräften aus Tschechien, aus Ungarn, die preiswerter sind, und zweitens von großen Erfolgen, großen Absatzerfolgen, die deutsche Unternehmen, kleine, mittlere und große, auf dem internationalen Markt, der dynamischer ist, erzielen. Und aus diesem Grund kann man natürlich das, was man auf anderen Märkten verdient und durch Kostensenkung an anderer Stelle überhaupt erst erwirtschaftet, das kann man nicht zu Hause verteilen, denn sonst würde man das Übel vermehren, nämlich die Arbeitslosigkeit in Deutschland.

Kleber: Das scheint die Zwickmühle der Globalisierung zu sein: Die großen Unternehmen können sich aussuchen, in sehr vieler Beziehung inzwischen, wo sie produzieren und arbeiten lassen, der deutsche Arbeitnehmer, die meisten von ihnen, sitzen in Deutschland fest und damit in der Zwickmühle und sehen, wie im Zeitalter der Globalisierung die Jobs sonstwohin gehen. Wie kommen wir da wieder raus?
Walter: Auch für den einzelnen gilt, daß er die Frage stellen muß, ob er aus dieser Situation entkommen kann, indem er mehr lernt, neue Fähigkeiten, die heute in Deutschland nachgefragt sind, sich erarbeitet, um auf diese Weise seinen Beitrag zu leisten. Und die Deutschen können sehr sehr vieles besser als andere Länder. Wir können vieles systematisch besser angehen als die Mitarbeiter in anderen Ländern. Wir haben eine andere, eine gründlichere Grundausbildung. Das sollten wir öfter ausnutzen. Aber ich würde auch meinen, junge deutsche Arbeitnehmer sollten in der Tat viel öfter, als es bislang gedacht und getan wird, sich der Chance, für eine gewisse Zeit im internationalen Markt, in anderen Ländern, in Nachbarländern und weiter entfernten Ländern, ihre Sporen zu verdienen, denn damit würden sie unsere wirklichen künftigen Kunden und unsere wirklichen künftigen Herausforderer persönlich kennenlernen und für sich einen Erfahrungsgewinn machen, und wahrscheinlich, zwischenzeitlich, auch Einkommen verdienen können.

Kleber: Sicher ein guter Rat. Sie kennen aber auch die Vorstände und Aufsichtsräte von innen. Wenn da so besprochen wird, wie die Gewinnentwicklung geht und was man andererseits in den Lohn- und Gehaltsverhandlungen fordern muß von der anderen Seite, ist es dann manchmal auch peinlich?
Walter: Das kann peinlich sein, es kann aber auch ökonomisch falsch sein. Manches wird über einen Kamm geschoren, was man nicht über einen Kamm scheren kann. In Deutschland sind Qualifizierte heute schon knapp und werden angesichts der demographischen Entwicklung, des Ausscheidens großer qualifizierter Gruppen und des Eintritts nur sehr kleiner qualifizierter Gruppen zu Knappheiten kommen. Und wer als Untermnehmer dann solchen knapp werdenden deutschen Arbeitnehmer (im Original: Unternehmer), die qualifiziert sind und mobil sind, keine entsprechenden Löhne zahlt, der wird sich die Augen reiben müssen. Der wird nämlich feststellen, daß diese jungen Menschen dann ins Ausland gehen und daß deutsche Unternehmen in Deutschland genau die Leute, die sie dringend brauchen, nicht haben würden. Also: Der Markt wird es an dieser Stelle nach meiner Einschätzung bald richten, daß Einkommen für diese Gruppe, der jungen Qualifizierten, bald steigt.

Bleibt für das Blättchen die Frage: Was macht der »Rest«?