27. Jahrgang | Nummer 14 | 1. Juli 2024

Unterwegs in Usbekistan – lückenhafte Depeschen*

von Alfons Markuske, notiert in Buchara

Im klimatisierten Reisebus werden die immerhin 450 Kilometer von Chiwa nach Buchara bewältigt. Dabei geht es zunächst über Straßen, die in Sachen Schlaglöcher im Vergleich zu den notorisch schlechten Berliner Verkehrswegen spielend als Sieger vom Platz gehen.

Gleich zu Beginn neben der Straße landestypische Friedhöfe, dicht an dicht angefüllt mit aus Ziegelsteinen gemauerten oberirdischen Bestattungskammern. Ihrerseits mit halbkreisförmigen oder auch walmdachähnlichem Querschnitt. Darin werden die Toten mit Blick nach Mekka gebettet, bevor die Kammer wieder zugemauert wird. Feuerbestattungen sind in Usbekistan ebenso unüblich wie Erdbegräbnisse.

Als Erklärung für Letzteres verweist Akmal, unser einheimischer Reiseleiter, auf die religiösen Lehren Zarathustras aus dem ersten oder zweiten Jahrtausend vor Christus. Dem habe der Erdboden als eines von vier heiligen Elementen gegolten, das nicht durch Verwesung verunreinigt werden sollte. Der Religionsstifter habe im Übrigen aus dem Gebiet des heutigen Usbekistan gestammt, so Akmal weiter. (Ähnliches hatte er zuvor schon bezüglich der Amazonen und des Goldenen Vlieses reklamiert – mit dem Verweis darauf, dass anders lautende Darstellungen der Europäer unzutreffend und typisch für deren kulturelle Aneignung seien …)

Bald verläuft die Fahrtstrecke neben einer eingleisigen Eisenbahntrasse ohne Oberleitung. An einer Stelle, wo Straße und Trasse den größten Fluss des Landes, den Amudarja, kreuzen, quert eine bemerkenswerte einspurige Brücke – die Bahngleise verlaufen in der Mitte der Fahrbahn – das sedimentbraune, träge Wasser. Von beiden Seiten gefahren wird wechselweise, mit Ampelregelung; Schiene hat grundsätzlich Vorfahrt. Das Brückengelände ist weiträumig durch Zäune samt Stacheldrahtbewehrung abgeriegelt; bewaffnete Soldaten schieben Wache. Akmal nennt die Brücke einen strategischen Punkt und verweist auf die 400 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Afghanistan. Zugleich hatte er bei früherer Gelegenheit gut entwickelte Wirtschaftsbeziehungen zwischen Taschkent und den Taliban in Kabul erwähnt.

Noch bevor sich wegen der Schlaglöcher Befürchtungen im Hinblick auf die Dauer der heutigen Fahrt so recht breitmachen können, erreicht unser Bus eine Autobahn, völlig intakt – gebaut von einer deutschen Firma (Akmal) –, was die Reisegeschwindigkeit erfreulich erhöht.

Außerhalb von Ortschaften immer wieder Baumwollfelder. Die Pflanze ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor; in guten Jahren, so Akmal, habe die Ernte schon bis zu 12 Millionen Tonnen betragen. Aussaat, Bearbeitung und Einbringung erfolgen nahezu ausschließlich in Handarbeit. Jetzt, Anfang Mai, werden die noch winzigen Pflänzchen – Samen kommen jeweils drei, vier zusammen in den Boden – von Hand pikiert. Sicher ein Knochenjob …

Bald führt unsere Fahrt stundenlang schnurgerade durch die Wüste Kysylkum, die sich über etwa 200.000 Quadratkilometer erstreckt und in die sich Usbekistan mit seinen Nachbarländern Turkmenistan und Kasachstan teilt. Das ist mitnichten eine reine Sandwüste, sondern reichlich mit Strauchwerk und „Bodendeckern“ wie dem Kameldorn, dessen Wurzeln bis 25 Meter in den Boden reichen, ausgestattet. So dass zum Beispiel nomadisierende Hirten mit ihren Karakumschafen ausreichend Futter finden. In dieser gleichwohl Ödnis bis zum Horizont, erzählt Akmal, lebten sogar Schildkröten, die sich ausschließlich vom Grün der Wüstenvegetation ernährten, ohne je Wasser zu sich zu nehmen.

Um Autobahnraststätten und bei einem Halt auf freier Strecke ist die örtliche Sauberkeit mit der von Taschkent und Chiwa allerdings nicht zu vergleichen: verstreuter Müll, in Sonderheit Plastikflaschen und –verpackungen, zeugen davon, dass in Sachen Umweltbewusstsein noch deutlich Luft nach oben besteht.

Die lange Wüstenfahrt nutzt Akmal für kleine Exkurse:

  • Zum Beispiel über die einheimische Wirtschaft: Usbekistan sei einer der größten Goldproduzenten der Welt und erwirtschafte damit vier bis fünf Milliarden US-Dollar Exporterlöse jährlich. Ein Tagebau, in dem ein erheblicher Teil der Erzgewinnung stattfinde, suche mit inzwischen über 1000 Metern Tiefe international seinesgleichen. (Da mag man sich die Wunde in der Landschaft und die ökologischen Folgen jedoch besser gar nicht vorstellen.) – Auch über Natururan verfüge das Land reichlich. In der Exploration sei Frankreich stark engagiert. (Kein Wunder, bei derzeit knapp 60 kommerziell genutzten französischen Reaktoren. Usbekistan selbst verfügt über keinen einzigen.) – Darüber hinaus sei das Land der global zweitgrößte Produzent von Kirschen. (Die werden wir demnächst genauso probieren wie die ebenfalls bereits reifen Aprikosen. Die weit über die Landesgrenzen hinaus geschätzten usbekischen Honigmelonen werden leider erst im Herbst geerntet.)
  • Und über ein geografisches Alleinstellungsmerkmal: Usbekistan sei nicht nur ein Binnenland ohne Zugang zu einem offenen Meer, es sei vielmehr seinerseits ebenfalls nur von Binnenländern umgeben. Man müsse aus dem Lande heraus also mindestens zwei Staatsgrenzen überqueren, um eine Küste zu erreichen. Geografen sprächen in solchen Fällen von einem doppelten Binnenland. Solche gebe es weltweit überhaupt nur zwei. Das andere sei Liechtenstein.

Entlang der Einfahrt zur Oase von Buchara säumen besonders hohe Gewächshäuser die Straße. Hier werden Bananen für den einheimischen Bedarf angebaut.

Über Buchara, wie über dem gesamten Land, scheint an 300 Tagen im Jahr die Sonne. Regen fällt so gut wie nie. Wenn aber doch, wie am Morgen vor unserem ersten Stadtrundgang, und bei wolkenverhangenem Himmel dann klettert die Quecksilbersäule nicht auf durchaus mögliche 33 Grad (Wetterprognose in Berlin, vor unserer Abreise), sondern lediglich auf sehr angenehme 22.

Gelegen an einem Knotenpunkt alter Handelsstraßen war Buchara schon von alters her ein Umschlagplatz von Waren aus allen Himmelsrichtungen und entsprechend wohlhabend.

Im Jahre 1220 wurde die Stadt von den Mongolen unter Dschingis Khan erobert. Es soll, so Akmal, an einem Freitag gewesen sein, an dem sich Muslime traditionell zum Hauptgebet der Woche zusammenzufinden pflegen. Die Hauptmoschee der Stadt war damals eine hölzerne. Dort ließ der Eroberer die Bevölkerung zusammentreiben und den Bau dann anzünden. Die Stadt selbst wurde dem Erdboden gleich gemacht – bis auf das neben dem abgefackelten Gotteshaus stehende, 46 Meter hohe Minarett. Dessen architektonischer Reiz, so schönt die Legende, hätte es dem Khan angetan. Die Wahrheit dürfte prosaischer gewesen sein. Das Minarett war wohl eher ein nützlicher, weil weithin sichtbarer Orientierungspunkt für künftige Annäherungen an den Ort durch die umgebenden Wüstengebiete.

Heute bildet das Minarett neben der in Backstein samt prachtvoller Majolika-Fassade und islamgrüner Kuppel errichteten Kalon-Moschee (der zweitgrößten Zentralasiens) und zusammen mit der dieser gegenüberliegenden Mir-e Arab, der 1536 eröffneten, heute größten und noch aktiven Medrese am Ort, das prägende Ensemble des zentralen Platzes der Altstadt von Buchara. Im abendlichen Dunkel illuminiert entbietet dieser Platz einen wahrlich märchenhaften Anblick. Der Tourist verweilt staunend, gern auch mit offenem Munde, und ist überzeugt: So hatte er sich das Ambiente von 1001 Nacht schon immer vorgestellt …

Im bis zu 8500 Gläubige fassenden Innenhof der Moschee wird in einem gemauerten Schrein die Asche der von Dschingis Khan Ermordeten aufbewahrt.

Die Medrese wiederum – eine deutsche Übersetzung als (bloße) Koranschule würde dem hochschulartigen Anspruch der Einrichtung nicht genügen – war zu Zeiten der Sowjetunion, als die Herrschenden sich die Abschaffung aller Religionen („Opium für das Volk“, Lenin in Abwandlung von Marx) auf die Fahnen geschrieben hatten, ab 1945 die unionsweit einzige, in der muslimische Geistliche, Imame, ausgebildet werden durften.

Wird fortgesetzt.

Bisher erschienen: Taschkent – Blättchen 12/2024; Chiwa – Blättchen 13/2024.