27. Jahrgang | Nummer 14 | 1. Juli 2024

Feminismus – die älteste Menschenrechtsbewegung der Welt

von Viola Schubert-Lehnhardt

Wir müssen nicht erst die Welt retten, ehe wir unsere Rechte einfordern dürfen“, so lautet eine der zentralen Thesen von Agnes Imhof in ihrem gerade erschienenen Buch über Feminismus. Die Autorin räumt auf mit den vielfältigen Begründungen, warum andere Probleme und Widersprüche „wichtiger“ seien, „zuerst gelöst werden müssten“ et cetera. Für sie ist Feminismus „die älteste Menschenrechtsbewegung der Welt“ und dies untermauert sie mit vielen historischen Belegen und Analysen.

Dazu begibt sie sich auf die Spuren vieler kluger und mutiger Frauen, deren Texte in der Wissenschaft systematisch dem Vergessen anheimgegeben wurden. Sie beschreibt und zitiert ausführlich die Vertreterinnen der vier Wellen des Feminismus und seine verschiedenen Formen und Themen. Dies wäre noch nicht unbedingt neu – obwohl schon dies im vorliegendem Buch ausführlicher passiert als vielfach anderenorts. Insbesondere geht Imhof detailliert auf historische Konfrontationen ein (so die Auseinandersetzung von Hedwig Dohm mit Schriftstellerinnen wie Laura Marholm, Ellen Key und Lou Andreas-Salomé während der ersten Frauenbewegung oder das berühmte Streitgespräch zwischen Esther Vilar und Alice Schwarzer in der dritten) und analysiert die jeweils vorgebrachten Argumente und deren Nachwirkungen. Ein Autorinnenverzeichnis wäre hier wünschenswert gewesen, aber auch so sind die Debatten für spätere Generationen hier gut nachvollziehbar.

Das eigentlich Besondere dieser historischen Betrachtungen ist jedoch, dass Imhof sich nicht auf Europa oder den angelsächsischen Raum beschränkt, sondern auch auf die Protagonistinnen und deren Positionen in Asien, Afrika und Indien eingeht – hier ebenfalls nicht nur auf die modernen, sondern gleichfalls auf die historischen. Dies hebt das Buch aus einer Vielzahl anderweitiger Literatur – fast schon möchte ich sagen Kompendien – zu Geschichte und Inhalten von Feminismus heraus. Gleichfalls aufgezeigt wird deren Wirkmächtigkeit in den heutigen Bürgerbewegungen dieser Länder und Kontinente.

Der dritte große Teil des vorliegenden Werkes befasst sich mit aktuellen Herausforderungen: mit rape culture und patriarchalische Protestbewegungen, mit care Arbeit als Ausbeutung und Abhängigkeit, mit der Rückeroberung von Intelligenz und Ideenklau durch Männer sowie mit der Reproduktionsmedizin. Auch in diesem Teil geht sie wieder weit über andere Analysen zu diesen Themen hinaus: ausführlich beschreibt sie etwa, in welche Hinsicht Medizin in der Vergangenheit frauenfeindliche Aspekte gehabt und noch heute teilweise hat. Sie beginnt mit den Vorstellungen zur Zeugung von Kindern allein durch den Samen des Mannes seit der Antike bis ins 18. Jahrhundert – selbst nach Entdeckung der weiblichen Eizelle 1827 habe man noch immer geglaubt, diese diene nur als Nahrung für den Fötus. Vor allem aber: das Recht, sich fortzupflanzen wurde stets durch diejenigen vergeben, die die Macht hatten – und haben möchte ich ergänzen, wenn ich an Auflagen westlich dominierter internationaler Organisationen denke, bestimmte ökonomische Unterstützungsprogramme für afrikanische Länder an reproduktionsmedizinische Auflagen zu knüpfen …

Bei ihrer Analyse patri- und matrilinearer Gesellschaften zeigt Imhof, wie bestimmte Vorstellungen vor allem durch das Christentum gestützt wurden und wie die natürliche Gebärfähigkeit durch Mythen wie von der mutterlosen Geburt der Göttin Athene oder der jungfräulichen Empfängnis im Falle von Jesus Christus ersetzt werden sollten. Realiter war es aber immer so, dass ein Mann der sich fortpflanzen wollte, eine Frau von sich überzeugen musste – oder er zwang sie, sich zu verkaufen wie ein Stück Vieh, respektive tat ihr Gewalt an. Hier schlägt Imhof den Bogen bis in unsere Tage und benennt Eizellspende oder Leihmutterschaft mit der amerikanischen Schriftstellerin Andrea Dworkin als „Fortpflanzungsbordell“.

Auch geht die Autorin auf Forschungen und Empfehlungen ein, die scheinbar im Sinne der Frauen sind, jedoch hinterfragt werden sollten: So werde Frauen empfohlen sich die Brüste abnehmen zu lassen, um Krebs vorzubeugen, nie jedoch Männern Ähnliches mit Hinblick auf die Prostata. Und um die Unterstützung des Kinderwunsches von behinderten Frauen kümmere sich die Forschung ebenfalls kaum.

Imhofs Buch endet mit einem leidenschaftlichen Plädoyer dafür, dass sich Frauen nicht gegeneinander ausspielen lassen dürfen und mit dem Satz: Feministinnen aller Länder vereinigt euch!

 

Agnes Imhof: Feminismus – Die älteste Menschenrechtsbewegung der Welt. Von den Anfängen bis heute, Dumont Verlag, Köln 2024, 384 Seiten, 26,00 Euro.