27. Jahrgang | Nummer 10 | 6. Mai 2024

Mein Name ist Eugen, Prinz Eugen!

von Detlef Jena

Gehört dieser Spruch nicht zu James Bond, dem königlichen Schlapphut, dem alles erlaubt ist, wenn er nur seine Pseudowelt retten kann? Richtig! „Mein Name ist Bond …“ Die Abwandlung ist mit Bedacht gewählt worden. Die Spionage zählt zu den ältesten Leidenschaften und Lastern der Spezies Mensch, ähnlich der Korruption und der Prostitution. Und sie war stets den Arrivierten vorbehalten, die sich lediglich vieler armer Würstchen für die Schmutzarbeit bedienten. Wir sehen das gerade heuer, da zum fürchterlichen Kriegslärm unserer Tage auch noch die Spionagewelle aus den Großreichen Russland und China über unser armes, wehrloses deutsches Vaterland gerollt kommt. Gewiss: Jedes politische oder historische Bild ist letztlich eine Fiktion, besonders, wenn es sich dem „Zeitgeist“ verpflichtend ausliefert. Wir erleben, wie die modernsten militärtechnischen Möglichkeiten auf verhängnisvolle Weise mit einem Rückfall in militärpolitische Verhaltensmuster des 19. Jahrhunderts zwangsverkoppelt werden. Clausewitz ist retour – der Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, obwohl die Gefahr eines Atom-Infernos immer größer wird. Ein Heer von beratenden „Experten“ findet sich bereit, dem Krieg wider alle historischen Erfahrungen das Wort zu reden. Sie schwadronieren, was das Zeug hält – Hauptsache es bringt den Medien gute Quote und der Rüstungsindustrie einen hübschen Gewinn.

Eine besonders makabre Begleiterscheinung sind eben die Geschichten über eine der ältesten Praktiken in der Kriegsgeschichte – die Spionage. Wie war das doch gleich im 17. Jahrhundert? Prinz Eugen, der edle Ritter! Der 1663 in Paris geborene Eugen Franz, Prinz von Savoyen-Carignan, wird gemeinhin als einer der bedeutendsten Kriegsherren, Diplomaten, Politiker und Mäzene seiner Zeit betrachtet. Gegner und Neider zitterten gleichermaßen vor ihm. Er war ein mit allen Wassern gewaschener, skrupelloser Autokrat, der vor keinem Verbrechen zurückschreckte, um sich selbst ein glänzendes Bild in der Geschichte zu verschaffen.

Der wackere Ritter schloss ein perfekt organisiertes System von geheimen Diensten, Intrigen und Erpressungen in den Kosmos seines staatsmännischen Genies ein. Niemals wäre das Haus Habsburg in die Spitze der europäischen Mächte aufgestiegen, wenn dieses System durch trunkenen Populismus an die Öffentlichkeit gelangt wäre. Alle europäischen Monarchien hätten ganz dumm am Pranger gestanden. Eugens Informanten drangen bis an die schönsten Throne vor. Den Nutzen aus der Blamage hätten allenfalls die muslimischen Osmanen gezogen, die von einem europäischen Heer 1683 zumindest vorerst von den Toren Wiens vertrieben worden waren. Da steckte man lieber gelegentliche Schlappen ein, opferte den einen oder anderen Zuträger, als das System selbst der neugierigen Öffentlichkeit preiszugeben.

Eugens große Zeit begann, nachdem er die Türken 1717 mit Waffengewalt aus Ungarn vertrieben hatte Er avancierte zum Symbol für das goldene Zeitalter der fürstlichen Bestechung. Eugen warb an allen europäischen Höfen hohe Offiziere, Beamte und Aristokraten zur Informationsbeschaffung und nutzte dabei seine praktischen Erfahrungen aus den militärischen Feldzügen. Die Habsburger Gesandten an den europäischen Höfen schickten ohne Wissen ihres Außenministers, dafür aber gegen klingende Münze Geheimberichte direkt an Eugen. So ein Gesandter war natürlich nicht billig und weil die Habgier die Quelle von Intrigen, Gemeinheiten und allen Völkerhasses ist, machte das Beispiel Schule, ohne Unterlass bis in die Gegenwart.

Ein besonders hübsches und zugleich effizientes Beispiel lieferte der Habsburger Gesandte Friedrich Reichsgraf von Seckendorff (1673-1763) am Berliner Hof. Durch ein raffiniertes Doppelspiel mit dem preußischen Minister und Feldmarschall Friedrich Wilhelm von Grumbkow (1778-1739) gelang es Seckendorff, die preußisch-österreichischen Beziehungen zu torpedieren und gleichzeitig die Spannungen zwischen König Friedrich Wilhelm I. und dem Kronprinzen Friedrich (später als preußischer König „der Große“) zu verschärfen.

Über Grumbkow engagierte Seckendorff den Kastellan des Berliner Schlosses und sogar eine Kammerfrau der Königin. Die steckten ihm, dass Kronprinz Friedrich in finanziellen Schwierigkeiten war – Eugen half ihm gerne aus der Klemme. Seckendorff blieb ja am Ort und knüpfte weiter die Fäden.

Der Gesandte schaffte gut an und Eugen griff tief in die Tasche. 1730 bekam Seckendorff beispielsweise 2000 Dukaten und 688 Gulden als geheimes Jahresgeld, damit er seine Sub-Agenten bezahlen konnte. Seckendorff selbst hielt die Beträge allerdings für zu gering und bezifferte seine Forderungen auf 5100 Dukaten und 8160 Gulden. Sein respektables Palais im thüringischen Altenburg musste schließlich auch beglichen werden. Eugen zahlte in diesem Falle, denn sein Top-Agent lieferte im Gegenzug den preußischen Residenten in London Friedrich von Reichenbach (1697-1750) sowie Ernst von Manteuffel (1676-1749), einen der einflussreichsten Adeligen am Dresdener Hof August des Starken, an Eugens Informationsdienst aus.

Bedenkt man, dass Seckendorffs Informationen nur einen Bruchteil des Aufkommens ausmachten, das Eugens Apparat sammelte, dass jede Nachricht mit der Hand geschrieben, chiffriert und dechiffriert werden musste, dass noch kein Rechner die Daten von Kontinent zu Kontinent jagte, kann die Schreibarbeit der geheimen „Schwarzen Kabinette“ nicht hoch genug bewertet werden. „Respekt wer‘s selber macht“, sagt heute ein unschuldiger Werbeslogan.

Außerdem: Der Gegner schlief auch nicht. Eugens Gegenspieler war der französische Botschafter in Wien, der Herzog Louis von Richelieu (1696-1788), nicht mit dem berühmten Kardinal gleichen Namens zu verwechseln. Aber da die Herren wie der Kardinal ständig mit neuen Kriegen beschäftigt waren, mangelte es nicht an Aufträgen, die geheimen Machenschaften der anderen Seite zu erkunden. Dankenswerterweise hat der Herzog von Richelieu für die Zeit vom Juli 1725 bis Ende 1726 notiert, wofür er das Geld eingesetzt hat, um hinter Eugens geheime Datenübertragung zu kommen. Unter den neun Positionen erscheinen die Punkte 5 und 6 besonders interessant: Die Chiffreure Reidsmann und Swal bekamen insgesamt 700 Gulden für die Beschaffung der Chiffren, die österreichische Gesandte im Ausland für die Nachrichtenbeschaffung benutzten. Der geniale und edle Eugen war also gar kein Unikum seines Faches.

Geheime Nachrichtendienste funktionierten auch ohne Glasfaserkabel oder Funkstrecken und erstaunlich ist es schon, dass sie selbst mit der neuesten Technik im Grunde den alten Zielen dienen. Eine Offenlegung der geheimdienstlichen Aktivitäten wurde zu Eugens Zeiten nicht einmal erwogen, höchstens kam sie zur Diffamierung der politischen oder militärischen Gegenseite in Betracht. Die Vorstellung von einer partnerschaftlichen Offenheit unter Freunden war im politischen Vokabular noch nicht erfunden.

Außerdem genügte es Eugens Gegnern am Wiener Hof, den edlen Ritter ganz persönlich beim Kaiser anzuschwärzen. Für die höfische Intrige brauchte man nicht einmal ein Blatt Papier mit chiffriertem Text.

So gesehen kann man die geheimdienstlichen Egoismen eines Chinesen in der untergeordneten Funktion eines Mitarbeiters im Abgeordnetenapparat des Europäischen Parlaments kaum in den Rang einer Staatsaffäre erheben. Zumal der Mann vor Zeiten bereits bei den wachsamen deutschen Kundschaftern abgeblitzt ist. Ach ja, waren das noch friedliche Zeiten, als das geteilte Berlin ein Dorado aller Spionagebeflissenen dieser Welt gewesen ist.