21. Jahrgang | Nummer 6 | 12. März 2018

O na nie –!

von Frank-Rainer Schurich

Man könnte meinen, diese verneinende Wortfolge stammte von Martin Schulz, der in seinem Würselen-Politikerdeutsch damit ausdrücken wollte, dass eine GroKo nie und nimmer kommen werde. Irrtum, die drei Wörter stammen von Kurt Tucholsky. In seinem Gedicht „Psychoanalyse“, unter Theobald Tiger in der Weltbühne 49/1925 zum ersten Mal veröffentlicht, verspottete er Sigmund Freuds Theorien und schrieb auf die Frage, ob die jungen Freudbefürworter (die „Freudisten“) jemals das Genie erreichen: „O na nie –!“ Was wohl im schlichten Bajuwarischen „O nein, niemals!“ heißen soll.
Womit wir auf Umwegen bei der Autoerotik gelandet sind, die vornehm als einsame Erotik, nur auf die eigenen Personen bezogen, definiert wird. Etwas derber heißt sie Masturbation, Selbstbefleckung oder Selbstbefriedigung. Das Synonym Onanie für diese Art Tätigkeit ist dagegen eine Fehlleistung der deutschen Sprache.
Wie kam sie zustande? Nach dem 1. Buch Moses (38,9) widersetzte sich Onan der Anordnung seines Vaters, der Frau seines kinderlos verstorbenen älteren Bruders Kinder zu zeugen, die standesrechtlich aber als Kinder des toten Bruders zählen sollten. Onan war zu stolz, sich dieser damaligen Sitte zu unterwerfen, und ließ seinen Samen beim Beischlaf lieber „zur Erde fallen und verderben“.
Gemeint war aber der „Coitus interruptus“, weil Onan seine Schwägerin nicht befruchten wollte. Er war halt schon ein überaus gebildeter Mann, der von den damaligen Sexualaufklärern à la Siegfried Schnabl oder Günter Amendt wusste, wie eine Schwangerschaft zu verhindern sei. Gott bestrafte ihn für diesen Ungehorsam mit dem Tode.
Die Handlung des nicht untertänigen und gottlosen Onan wurde erst in der neueren Zeit völlig fehlgedeutet. Ab dem 17. Jahrhunderts hieß die Selbstbefriedigung onanitische Sünde oder Onaniterey. Aus dem Englischen wehte dann vom Arzt Bekker (erstmalig 1710) das neulateinische onania aufs europäische Festland, was in Deutschland zur Onanie wurde, nicht nur in der Bildungssprache, sondern auch in Medizin und Pädagogik.
Die Selbstbefleckung galt Jahrhunderte lang als unnatürlich, sie über einen zerrüttenden Einfluss auf Körper und Geist aus. Als vortreffliche pädagogische Ablenkungsmittel wurden in der neueren Zeit fleißiges Turnen, Baden und Schwimmen empfohlen. Außerdem, so die Theorien, schädige diese Art der Betätigung in hohem Grade den sittlichen Charakter und die Gesundheit durch chronische Krankheiten, die den Onanisten befallen. Doch schon in Band 12 von Brockhausʼ Konversations-Lexikons (1903) steht geschrieben: „Insbesondere ist der Nachweis, dass Rückenmarksschwindsucht durch Onanie hervorgebracht werden könne, keineswegs erbracht.“
Also Entwarnung. Bemerkenswert, dass ein Herr Steckel 1913 (!) im berühmten Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik schon ziemlich moderne Ansichten entwickelte: „Zahllosen Witwen, alten Jungfern, Hagestolzen“ biete die Onanie die einzig sozial mögliche Form der Sexualbetätigung. „Sie ist gewissermaßen ein Schutz der Gesellschaft gegen unglückliche Menschen mit übermächtigen Trieben und allzu schwachen ethischen Hemmungen. Würde man die Onanie vollkommen unterdrücken, die Zahl der Sittlichkeitsdelikte würde ins Unglaubliche steigen.“ Es gebe ein Recht auf Selbstbefriedigung!
Leider hat die Autoerotik ein gewisses Restrisiko, vor allen Dingen, wenn verschiedene Hilfsmittel zur Anwendung kommen. Im Chirurgie-Fachblatt International Journal of Surgery berichteten Ärzte aus Canberra (Australien), dass sich ein 70-jähriger Mann zur Selbstbefriedigung eine zehn Zentimeter lange Gabel in seinen Penis eingeführt hatte. Bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus sei die Gabel nicht mehr zu sehen gewesen. Die Ärzte schrieben, dass sich das Hilfsmittel in Vollnarkose mit einer Zange und „ausgiebiger Einölung“ habe entfernen lassen. Sie meinten: „Die Beweggründe für die Einführung diverser Gegenstände sind schwer zu verstehen.“
Im Sommer 2014 fesselte sich ein Mann in München, um die sexuelle Stimulation voranzutreiben. Er brachte sich dadurch in eine aussichtslose Lage und beinahe ums Leben. Ein besorgter Nachbar alarmierte die Polizei. Die Beamten fanden den 57-Jährigen hilflos in der Küche liegend, bekleidet nur mit Unterwäsche und Damenstiefeln.
Wenig bekannt ist, dass man mit der Untersuchung derartiger autoerotischer Unfälle, wie Gerichtsmediziner und Kriminalisten sagen, sogar zu akademischen Ehren kommen kann. So promovierte Michael Alschibaja Theimuras 1978 an der Urologischen Klinik und Poliklinik Rechts der Isar der Technischen Universität München mit dem Thema „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“. Der Promovend untersuchte 16 Fälle, in denen ausschließlich ältere Männer aus dem süddeutschen Raum durch die Manipulationen zum Teil schwer verletzt wurden, aber erst viele Stunden danach zum Arzt gegangen waren. Sie versuchten verständlicherweise, die wahre Ursache für ihre Verletzungen zu verheimlichen. „Der ausschließlich niedrige Bildungsstand der verletzten Männer“, schrieb der Autor, „erklärt ihre Unfähigkeit, die Gefahr der Manipulation des Penis durch einen Staubsauger des Types ‚Kobold‘ zu erkennen.“
Nicht unerwähnt darf bleiben, dass man infolge eines autoerotischen Unfalls auch das Leben aushauchen kann, wie es dem exaltierten Sänger Michael Hutchence der Gruppe INXS am 22. November 1997 passiert sein soll. Kurz vor der Jubiläumstour zum 20-jährigen Bestehen fand man Michael Hutchence nackt mit einem Gürtel erhängt in seinem Zimmer im Ritz Charlton Hotel in Sydney, kniend vor der Zimmertür. Selbstmord war die offizielle Version.
Die letzten Alben von INXS waren Flopps, man wollte sich erneuern und an alte Erfolge anknüpfen. Ohne den Frontmann Michael Hutchence löste sich die Gruppe bald auf. Aber auch mit ihm wäre eine Neuausrichtung aussichtslos gewesen. Die Fans nahmen der Band übel, dass INXS kein Programm und keine Visionen mehr hatte.