21. Jahrgang | Nummer 3 | 29. Januar 2018

Ein abgeschlossenes Sammelgebiet: die DEFA

von Heinz W. Konrad

Ein Übermaß an ganz großer Filmkunst haben die Studios der DEFA wohl nicht hervorgebracht, mag sein. Eine dümmliche Arroganz, mit der – jedenfalls einst – ein Volker Schlöndorff über sie geurteilt hat, hat die Kino-Produktion der DDR indes keinesfalls verdient, weder in toto, schon gar nicht im Einzelnen. Denn ob nun seinerzeit oder im Rückblick mit tief verinnerlichter Liebe oder ironischer Häme bedacht: DEFA-Filme waren immer ein Stück jenes Alltagslebens der DDR, das für viele Zeitgenossen die längsten und/oder wichtigsten Lebensjahrzehnte überhaupt waren. Oder anders: Sie waren ebenso ein Teil der DDR wie es andere Bereiche von Kunst und Kultur waren, von den direkt politischen ganz abgesehen.
Mag es anteilig auch nur eine Minorität von Filmen gewesen sein, die DEFA-Streifen zu einem national oder gar international großen Renommee verholfen haben – es hat sie gegeben, und keineswegs nur singulär. Und schließlich: Selbst „Dutzendproduktionen“, wie man sie auch aus bundesdeutschen oder weltweit anderen Studios kannte und kennt, haben im Gedächtnis ihrer Betrachter einen wie auch immer gearteten Platz gefunden und werden – mal gern, mal weniger, immer wieder erinnert. Dass es heute dankenswerterweise möglich ist, auch viele DEFA-Filme via DVD-Konservierung wieder oder auch erstmals zu sehen, ist ein Glücksumstand, wenngleich das freilich auf cineastische Hervorbringungen aller Art zutrifft.
DEFA-Spielfilme, derer für den Kinoeinsatz zwischen 1946 und 1993 rund 800 produziert worden sind, haben für den, der sich mit ihnen befasst, den unbestreitbaren Vorteil, ein abgeschlossenes Sammelgebiet zu repräsentieren. Kategorisierende Ordnungen sind dabei ebenso vollständig möglich wie die Beschreibung von inhaltsprägenden Tendenzen oder der Ausweis von „Handschriften“ der beteiligten Filmemacher.
Mit dem „Großen DEFA-Lexikon“ hat nun der ausgewiesene Cineast Frank-Burkhard Habel – Blättchen-Lesern auch als Autor dieser Publikation bekannt – eine stark erweiterte Neuausgabe des Babelsberger Leinwand-Œuvres vorgelegt, die für Filmfreunde oder Fachleuten wohl kaum eine Frage offen lässt. In alphabetischer Reihenfolge werden Streifen für Streifen Stab- und Besetzungsangaben sowie Produktions- und Aufführungsdaten dokumentiert, gerafft deren Inhalte beschrieben, in Anmerkungen Besonderheiten der Produktion und/oder filmhistorische Einordnungen vorgenommen und mediale Reaktionen ausgewiesen, bei der für den, der sich zu erinnern vermag, die allzeit kompetenten und vor allem respektlos-kritischen Rezensionen der „Kino-Eule“, Renate Holland-Moritz, eine verdiente Hauptrolle spielen.
Dass bei alledem auch Co-Produktionen erfasst worden sind wie jene Streifen, die seitens der politischen Führung des Landes „ihren“ Menschen nicht zugemutet werden sollten und demzufolge nach missliebigen Reaktionen des Publikums entweder umgehend von der Leinwand verschwanden oder erst gar nicht den Weg dahin fanden, versteht sich. Und dass in Anhängen mit gleicher editorischer Sorgfalt auch alle jene Filme aufgeführt sind, die entweder als Kurz- oder Mittelmetrage-Spielfilme einen Kino-Einsatz hatten, oder abgebrochene oder nichtaufgeführte Streifen, Eigenproduktionen von TV-Produktionen für DDR-Kinos und schließlich sogenannte Überläufer, also deutsche Produktionen bis April 1945, die von der DEFA fertiggestellt wurden. Versehen mit rund 1000 Fotos, die zumindest dem Leser in einem Altersbereich oberhalb der Jugend auch die Gesichter vieler einst vertraut gewordener Mimen wieder vor Augen führen, geht der Leser dieser so empfehlenswerten Edition auf eine ganz spezielle Zeitreise durch 47 Jahre der DDR und ihrer unmittelbaren Vor- und Nachgeschichte.
Entstanden ist ein Kompendium, das sehr viel mehr Respekt abnötigt als „nur“ die immense Fleißarbeit, die ihm vorausgegangen ist. Kompetent listet Habel auf, was – bei aller Unterschiedlichkeit von Niveau und Resonanz – allemal berechtigt als Schatz bezeichnet werden kann: Die komplette Spielfilmproduktion eines untergegangenen Landes. Darin zu blättern gehört zu einer Nostalgie, der sich auch der gerne und bereichernd hingeben kann, der sich nach den politischen Verhältnissen des Ursprungslandes dieser Streifen nicht unbedingt gern zurücksehnt.

F.-B. Habel: DAS GROSSE LEXIKON DER DEFA-SPIELFILME. Die vollständige Dokumentation aller DEFA-Spielfilme von 1946 bis 1993, Erweiterte Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2017,1152 Seiten, 99,99 Euro.