20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Ein Roman, ein Film und das Bild des Chinesen

von Thomas Parschik

Pearl Sydenstricker kam am 26. Juni 1892 in Hilsboro, Virginia zur Welt. Als Tochter eines Missionars lebte sie mit ihrer Familie viele Jahre in China, zunächst in Hua’an, später in Zhenjang. Sie hatte eine chinesische Amme und sprach Chinesisch früher als Englisch. Buck lernte das Leben von der einfachen Seite kennen, denn ihre Familie lebte wie die Chinesen um sie herum – in ärmlichen Verhältnissen. Die Kenntnis der chinesischen Sprache eröffnete ihr den Zugang zur chinesischen Kultur. Von 1911 bis 1914 studierte sie in Lynchburg, Virginia. Danach kehrte sie nach China zurück, heiratete 1918 den Photographen John Lossing Buck und bekam eine Tochter (Carol). Die Familie lebte zwei Jahre in Suzou. Von 1920 bis 1933 unterrichtete Pearl S. Buck englische Literatur an der Universität von Najing.
1931 schrieb sie ihren bedeutendsten Roman: „Die gute Erde“. Die Handlung setzt an dem Tag ein, an dem der arme Bauer Wang Lung seine Braut O-Lan, die er zuvor noch nie gesehen hat, aus dem herrschaftlichen Anwesen der Familie Hwang abholt, um sie am selben Tag zu heiraten. Sie bekommen drei Söhne und eine geistig zurückgebliebene Tochter, überstehen eine Hungersnot und die Wirren der Revolution. Durch Sparsamkeit gelingt es Wang Lung, immer mehr Land von der Familie Hwang zu kaufen, die, dem Opium verfallen, langsam dem gesellschaftlichen Niedergang entgegengleitet. Bei der Plünderung eines herrschaftlichen Hauses kommt Wang Lung zufällig zu Reichtum. Er kauft den Großgrundbesitz der Familie Hwang. Das Land betrachtet er als das Fundament des Wohlstands, das unter keinen Umständen veräußert werden darf. In einem Bordell lernt er die Prostituierte Lotus kennen, die er zur zweiten Frau nimmt.
Wang Lungs Söhne sind das Leben im Wohlstand gewöhnt und scheuen schwere Arbeit. Als ihr Vater alt und ihre Mutter gestorben ist, gehen sie daran, das Land zu verkaufen.
Für dieses Buch erhielt Pearl S. Buck 1932 den Pulitzerpreis und 1938 den Literaturnobelpreis. Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees stieß auf vielseitige Kritik, weil man den Roman als zu trivial einstufte.
Mit diesem Buch zeichnete Buck – noch vor André Malraux‘ „So lebt der Mensch“, dass 1933 erschien, – für ihre dem westlichen Kulturkreis entstammenden Leser erstmals ein realistisches Bild einfacher chinesischer Leute. Sie zeigte, dass die Bauern in China genau die gleichen Probleme hatten wie die Farmer in den USA. Die chinesischstämmige Schauspielerin Anna May Wong beschreibt das bis dahin kolportierte stereotype Bild des Chinesen so: „Warum ist der Leinwandchinese immer der Bösewicht? Und so ein plumper Bösewicht: ein Mörder, ein Verräter, eine Schlange im Gras.“ Positive chinesische Helden waren selten und wurden von europäischen oder US-amerikanischen Schauspielern dargestellt. So erhielt auch Wong in der 1937 gedrehten Verfilmung von „Die gute Erde“ nicht die Hauptrolle der O-Lan, sondern wurde nur für die Rolle der Prostituierten Lotus gecastet. Ob sie die Rolle selbst abgelehnt hat, ist nicht bekannt. Wong hat für ihr umfangreiches filmisches Schaffen nie einen großen Filmpreis erhalten. Heute hat sie zumindest einen Stern auf dem Walk of Fame.
Der Chinese fungierte auch als fröhlicher Spaßmacher. In Deutschland etwa sang Willy Fritsch 1937 das Lied vom Chinamann, der das Chinamädchen Marzipan liebt, und ihm ein Schloss aus Goldpapier zu bauen verspricht.
Zunächst ging der Regisseur George W. Hill daran, „Die gute Erde“ zu verfilmen. Er starb in der Planungsphase 1934. Um den Film authentischer zu machen, wurde in China gedreht. Die chinesische Regierung war besorgt um das Image ihres Landes und nahm starken Einfluss auf die Dreharbeiten. So trugen in gedrehten Szenen Bauern bei der Feldarbeit Feiertagskleidung aus edler Seide, sprachen die Hochsprache Mandarin, und die beiden mageren Ochsen eines Dorfes hielt man für nicht vorzeigbar. Statt ihrer schaffte man zwei Traktoren heran. (In ganz China waren damals nur zwölf Traktoren im landwirtschaftlichen Einsatz, während der Dreharbeiten somit also nur noch zehn.) Schließlich brannte eine Lagerhalle mitsamt dem darin gelagerten Filmmaterial nieder, und der Film musste komplett neu gedreht werden.
Diese Aufgabe übernahm im Auftrag von Metro Goldwyn Mayer der Regisseur Sidney Franklin. Er besetzte die Rolle des Wang Lung mit Paul Muni, die der O-Lan mit Luise Rainer und die der Lotus mit Tilly Losch. Somit erhielt kein Asiate eine Hauptrolle. Das Budget lag bei drei Millionen US-Dollar. Gedreht wurde in Chatsworth, Kalifornien.
Der Film hält sich weitgehend an die Romanvorlage. Es gibt einige spektakuläre Massenszenen und viel pseudo-chinesisches Ambiente. Die Darstellung einer Heuschreckenplage stellte die Trickspezialisten vor ein Problem, bis glücklicherweise in Cedar City, Utah, ein Heuschreckenschwarm einfiel. In den Film wurde eine Symbolik eingearbeitet, bei der die schöne, aber faule Lotus und die fleißige, beständige O-Lan gegensätzliche Pole verkörpern. Am Beginn des Films pflanzt O-Lan einen Pfirsichkern ein, den ihr Mann achtlos fortgeworfen hat. Am Ende des Films ist daraus ein Baum gewachsen, bei dessen Anblick Wang Lung flüstert: „O-Lan, Du bist die Erde!“
In ihrem persönlichen Leben ließ Pearl S. Buck sich scheiden und heiratete 1935 den Verleger Richard J. Walsh. Sie schrieb noch zwei Fortsetzungen zu „Die gute Erde“ – „Söhne“ (1933) und „Das geteilte Haus“ (1935). Diese drei Romane wurden unter dem Titel „Das Haus der Erde“ zu einer Trilogie zusammengefasst. Außerdem schrieb Buck zahlreiche weitere Romane, von denen sich die in China spielenden am besten verkauften. Sie selbst zu ihrem Werk: „Ich dachte mir dabei, dass sich Amerikaner und Chinesen nun so kennen lernten, wie sie wirklich waren – als gute und schlechte Menschen.“
In den USA wurde die Schriftstellerin von ihren Gegnern als Kommunistin angefeindet. 1972 verweigerte man ihr die Einreise nach China, weil sie den chinesischen Staat diffamiert habe. Am 6. März 1973 starb sie in Danby, Vermont. Die chinesisch-US-amerikanische Schriftstellerin Anchee Min hat ihr mit der Romanbiographie „Pearl of China“ 2010 ein literarisches Denkmal gesetzt.