20. Jahrgang | Nummer 7 | 27. März 2017

Geld im Konkurs

von Ulrich Busch

1978 startete der Verlag Claudia Gehrke die Reihe „konkursbuch“. Der erste Band trug den Titel „Vernunft und Emanzipation“. Inzwischen sind 52 weitere Bände erschienen, 2017 zuletzt Band 53: „Geld“. Ein solches Thema erwartet man nicht unbedingt in einer Reihe, deren Erfolgstitel „Erotik“, „Kunst“, „Landschaft“ „Musik“, „Reisen“ „Leiden“, „Über Gefühle“, „Außenseiter“ oder „Liebe“ heißen. Oder doch? Immerhin gab es hier schon einmal ein Geld-Buch, nämlich 1996, unter dem Titel „Bar-Geld-Los“ (Konkursbuch 31). Es war ein Erfolg. Und das neue Buch, das Sigrun Casper jetzt publiziert hat, wird auch ein Erfolg werden. Es behandelt das Geld als „Thema Nummer eins“ in unserer Gesellschaft und in den Medien: Geld verdienen, Geld erben, Geld haben, Geld ausgeben – das alles lockt und beflügelt unsere Phantasie von einem freien und glücklichen Leben. Geld ist heutzutage einfach unverzichtbar. „Wer sagt, er hätte nicht gerne etwas mehr Geld, der lügt.“ (S. C.) Aber das Geld ist nicht das Leben. Genau genommen ist es nicht einmal essentiell für ein solches, sondern vermag es sogar empfindlich zu stören oder gar zu zerstören, wenn es zu viel Macht über dasselbe gewinnt. Dies zu erkennen und auf „die inhumane, asoziale, schadensreiche Wirkkraft des GELDes“ kritisch hinzuweisen, ist ein Anliegen des Buches, zugleich aber „sicherlich die leichtere Übung“. „Der Allmacht des GELDes etwas Positives, etwas Menschenwürdiges abzugewinnen“, fällt dagegen weit schwerer, ist aber nicht weniger angebracht, da ebenfalls zutreffend. Schließlich ist das Geld eine unabdingbare Errungenschaft der Zivilisation! Und dann gibt es da noch den leichten, unverkrampften, gelassenen Umgang mit dem Geld, den viele Menschen anstreben, aber nur sehr wenige erreichen. Die meisten lassen sich eher vom Geld unterkriegen, ob sie es denn haben oder nicht. Das Buch wird allen drei Aspekten gerecht: Es übt Kritik, es zeigt Verständnis und es plädiert für Normalität im alltäglichen Umgang mit dem Geld.
Der Band enthält eine Vielzahl von Kurzessays, Erzählungen, Geschichten, Glossen, Gedichten, Aphorismen, Collagen, Fotos, Abbildungen, Grafiken zum Geld und über Geld. Alle sind sie lesenswert, auch wenn nicht alle ins Schwarze treffen. Einige Autorinnen und Autoren verwechseln da schon mal etwas, zum Beispiel Geld mit Reichtum, mit Einkommen, mit Kapital, mit Steuern, mit Bargeld oder mit Zigaretten. Aber das gibt es im richtigen Leben ja auch. Wer weiß schon, was Geld tatsächlich ist! Die meisten Texte aber machen diese oder jene Facette des Geldes oder der Geldwirtschaft überzeugend deutlich, kritisieren bestimmte Verhaltensweisen in Bezug auf das Geld oder zeigen Kurioses auf. Bei der Lektüre der vielen kleinen, hübschen Texte geht einem so manches durch den Kopf. So zum Beispiel die alte Frage, ob das Geld ein probates Mittel der Gier und des Geizes ist oder aber selbst deren Ursache. Diese Frage wird seit der Antike diskutiert, ohne dass es hierauf jemals eine überzeugende Antwort gegeben hätte. Einige Autoren im „Konkursbuch“ tendieren dazu, dem Geld allein die Schuld zu geben. Da liegt es denn nahe, den Vertretern der Geldwirtschaft auch gleich alle möglichen schlechten und unmoralischen Affekte zuzuschreiben. So wird die „Gier“ als eine „Todsünde der Bankiers“ behandelt, die „Dummheit“ der Bankkunden bei ihrer Suche nach renditeträchtigen Anlagen aber als „Naivität“ entschuldigt. Als ob hier nicht die gleiche Gier im Spiel wäre! Komisch wird es mitunter, wenn sich Journalisten oder Künstler als ökonomische Wissenschaftler versuchen. So ist zum Beispiel im zweiten Essay davon die Rede, dass keine Religion ohne „eine Lehre“ auskomme. Das Christentum habe sich deshalb „die Theologie“ geschaffen, „der Finanzkapitalismus den auf der sogenannten Neoklassik (Adam Smith, David Ricardo) beruhenden und sie verfälschenden Neoliberalismus“. Hier ist fast alles falsch. Ob die Theologie eine „Lehre“ des Christentums ist, soll dahingestellt bleiben, aber Smith und Ricardo sind definitiv nicht der Neoklassik zuzurechnen, sondern der Klassik, und der Neoliberalismus ist keine Theorie, auch keine „den Realitäten enthobene“ und „mit den Attributen des Göttlichen“ versehene „Wirtschaftstheorie“, sondern ganz klar eine Ideologie. Als solche beruht er aber sehr wohl auf der Neoklassik und verfälscht sie keineswegs. Wenig überzeugend ist es auch, wenn an anderer Stelle versucht wird, mit einem „halben“ Lenin-Zitat etwas zu assoziieren, nämlich die Unwichtigkeit des Goldes, was in der anderen, der unterschlagenen Hälfte des Zitats gerade nicht ausgesagt wird. Zumal die UdSSR kurz darauf große Goldreserven gebildet und 1924 sogar Goldmünzen geprägt hat. Trotz derartiger kleiner Fehlgriffe lernt man sehr viel aus dem Buch und erfährt so manches darüber, was und wie Künstler und Poeten, Sozialwissenschaftler und Literaten über Geld denken. Treffend und unterhaltsam sind auch die eingestreuten Zitate und Aphorismen. Aber auch hier ist mitunter Vorsicht angesagt und nicht alles, was da geschrieben steht, darf auch geglaubt werden. Wenn der römische Philosoph Seneca zum Beispiel behauptet, Geld habe „noch keinen reich gemacht“, so entsprach dies seiner philosophischen Überzeugung, nicht aber seiner ökonomischen Position. Er tätigte diesen Ausspruch nämlich als einer der reichsten Männer seiner Zeit. Dass er zwischen „innerem Reichtum“ und Geld genau zu unterscheiden wusste, ehrt ihn natürlich trotzdem.
Hervorzuheben ist auch, dass aus der Lektüre des Buches insgesamt ein nachdenkliches bis ironisch-kritisches Verhältnis gegenüber dem Geld resultiert, nicht aber ein anarchistisch-negatives oder moralisierend-larmoyantes. Das gilt auch für alle Überlegungen und Träume, die die „Abschaffung“ des Geldes betreffen. Hier wird deutlich, wie humorig und treffsicher Bonmots manchmal sein können und wie sich damit unliebsame Debatten abkürzen lassen. Unübertroffen bleibt Karl Dall, der hierzu bemerkte: „Das Geld, das wird abgeschafft. Ich kenn‘ schon einen, der hat nichts mehr.“ – Mehr lässt sich dazu auch aus wissenschaftlicher Sicht kaum sagen.

Sigrun Casper (Hg.): konkursbuch 53: Geld. konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2017. 288 Seiten, 15,50 Euro, im Abo 12 Euro.