19. Jahrgang | Nummer 26 | 19. Dezember 2016

Nekrologe 2016

von F.-B. Habel

„Sein Daniel war ein Kerl, mit dem nicht leicht zurechtzukommen ist, der sich in seinen Gefühlen nicht gern offenbart und hinter trotziger Gleichmütigkeit das bittere Leid und das strahlende Glück verbirgt.“ So konnte man einst über „Daniel Druskat“ lesen, wie ihn Hilmar Thate im gleichnamigen Mehrteiler spielte. Doch nicht an Thate, der 2016 ebenso von uns ging wie sein filmischer Gegenpart Manfred Krug, soll hier speziell erinnert werden, sondern an den Kritiker, der fast immer die richtigen Worte fand. Auch Christoph Funke starb im April mit 82 Jahren. Er hatte bei Hans Mayer in Leipzig studiert, kam schon in den fünfziger Jahren zum Morgen, der Zeitung der Liberaldemokraten in der DDR, und erwies sich bald als meinungsstarker Kritiker auch in anderen Medien. Oft hörte man ihn im Berliner Rundfunk bei „Atelier und Bühne“. Der Morgen blieb Funkes Refugium bis zum bitteren Ende, später schrieb er ab und an für Tagesspiegel und Neues Deutschland.
Oft entgeht uns, wenn Menschen, die lange in der Öffentlichkeit wirkten, nicht mehr unter uns sind. Man findet ihr Ableben im Kleingedruckten oder in privaten Todesanzeigen. Zeitungen gehen je nach Nachrichtenlage davon aus, welcher prominente Verstorbene auf der Titelseite die besten Verkäufe verspricht. So prangte der Digedag-Autor und Abrafaxe-Erfinder Lothar Dräger, der mit 89 starb, auf der Titelseite einer Boulevard-Zeitung, während der 92-jährigen Gisela May die Seite drei der Berliner Zeitung blieb.
Die May hätte ein Lied davon singen können, wie wichtig gute Kostümbildnerinnen sind (und sie hat gern mit ihnen produktiv gestritten). Margitta Hinrichs, die im Juli 82-jährig starb, war eine von ihnen. Sie hat für viele Fernsehspiele und -filme die richtigen Kostüme gefunden, und das schon zu einer Zeit, als die Kameras je nach Lichtverhältnissen sowohl Farben als auch Grauwerte verfälschen konnten. Für diesen Beruf brauchte man nicht nur Kenntnisse von Stoffen und historisches Wissen, sondern eben auch über die Technik. Frau Hinrichs hat nicht nur die Gegenwart, etwa im „Polizeiruf 110“ oder in der Serie „Zahn um Zahn“, stimmig auf den Bildschirm gebracht, auch „Kostümfilme“ wie die Fontane-Adaption „Stine“ (1978) zählten zu ihren besten Arbeiten. Eine Herausforderung war auch die in diesem Jahr wiederholte „Gläserne Fackel“ von Margitta Hinrichs´ Lebensgefährten Joachim Kunert, der die Geschichte der Firma Carl Zeiss Jena über mehr als ein Jahrhundert erzählte. Die Produktion von 1989 blieb ihr letzter Film.
Schon im Mai ging Hinrichsʼ Kollegin Doris Haußmann 84-jährig von uns. Die Witwe Ezard Haußmanns kam vom Theater und hat zahlreiche Produktionen des Deutschen Fernsehfunks mitgestaltet. Eine besondere Leistung war der historische Mehrteiler „Scharnhorst“ (1978) mit einer Vielzahl von Kostümen und Uniformen. Am Ende ihrer Laufbahn arbeitete sie für den Film „NVA“ (2005) mit ihrem regieführenden Sohn Leander Haußmann zusammen.
Mit Gisela May spielte Doris Abeßer unter anderem in dem Gegenwartsfilm „Eine alte Liebe“ (1959) und in der Fernsehkomödie „Das Idol von Mordassow“ (1979). Der Tod der Achtzigjährigen im Januar wurde nirgends gemeldet, obwohl die Schauspielerin doch seit den späten Fünfzigern ein Publikumsliebling in vielen Hauptrollen war. Doch die Familie wünschte sich keine Schlagzeilen in der Boulevard-Presse und hielt die Meldung zurück.
Doris Abeßer spielte 1977 auch die Titelrolle in der „Polizeiruf“-Folge „Trickbetrügerin gesucht“, in der Erika Stiska als Sekretärin dabei war. Der Schauspielerin, die im Februar im 90. Lebensjahr verstarb, blieb die große Karriere versagt, aber in Nebenrollen war sie seit 1951 in weit mehr als 70 Kino- und Fernsehfilmen präsent – mal als britische Lady in Oscar-Wilde-Adaptionen, gelegentlich als Lehrerin (1979 in „Disko mit Einlage“) oder Sprechstundenhilfe an Fritz Dechos Seite in „Der Mann, der nach der Oma kam“. Oftmals begegnete man ihr als Sekretärin, wie mit Horst Drinda in „Gefechte mit Napoleon“ (1973) oder mit Alfred Müller in dem schon erwähnten Film über „Die gläserne Fackel“. Ihr viel zu selten gefragter hintergründiger Witz kam bei der DEFA in „Meine Freundin Sybille“ (1967) und in dem Kultfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ als Baronin (1973) zur Geltung.
Nur in Fachkreisen wurde zur Kenntnis genommen, dass im Januar Jürgen Heimlich fast seinen 80. erreicht hätte, einer der besten Kameramänner des DFF. Er war einer der großen Zauberer des Fernsehfilms. Seine Kamera hielt „Daniel Druskat“ (1976) fest – eine Herausforderung für den Kameramann, da erstmals ein großer Mehrteiler im 16-mm-Format produziert wurde. Schon 1968 waren Helmut Sakowskis „Wege übers Land“ (mit Manfred Krug in einer Hauptrolle) ein Straßenfeger, der auch durch Heimlichs Kameraarbeit in seinem Debüt ein heute noch zeitlos wirkender Film ist. Zu Unrecht vergessen sind Sakowskis antifaschistischer Mehrteiler „Die Verschworenen“ (1971) und „Verflucht und geliebt“ (1981), für die Heimlich hinter der Kamera stand. Bis zum 70. Geburtstag setzte er unter anderem beim „Tatort“ seine Arbeit fort und engagierte sich auch für den Nachwuchs.
„Elende Amateure, jämmerliche Anfänger und Ignoranten, vollgefressene Fettsäcke, Fiepsköter und Tropfenpisser!“ Nur eine kleine Auswahl an Schimpfworten, die Egon von der „Olsenbande“ seinen Kumpanen oder Gegenspielern angedeihen ließ. Wir hörten die Beleidigungen in der hervorragenden DEFA-Synchronisation durch die Stimme von Karl Heinz Oppel, der Ende Oktober im 92. Lebensjahr von uns ging. Er war auch ein begabter Musiker und beliebter Kabarettist bei der „Distel“. Als einer der letzten Schauspieler der Originalbesetzung der „Olsenbande“ starb im Februar 83-jährig Ove Verner Hansen, der in 16 „Olsenbande“-Filmen mitwirkte. Dabei gab es doch nur 14! Doch der Däne Hansen wirkte auch in den norwegischen Remakes mit. Seine Rolle war die des glücklosen Bösewichts Bøffen (Bulette), der in der deutschen Synchronisation keinen Namen trug, aber allen als „das dumme Schwein“ bekannt war. Im Hauptberuf war Hansen ein erfolgreicher Opernsänger.
Gerade die Todesnachrichten ausländischer Filmlieblinge dringen oft nicht zu uns, wenn die Künstler ihren Zenit überschritten haben. So war es auch mit Pierre Étaix, der im Oktober wenige Wochen vor seinem 88. Geburtstag in Paris starb. Noch vor zwei Jahren wohnte er einer Retrospektive seiner Filme im kleinen Berliner Kino in der Brotfabrik bei. Étaix hatte beim großen Jacques Tati gelernt und seit den sechziger Jahren herrlich skurrile Komödien gedreht, in denen er Autor, Regisseur und Hauptdarsteller war, darunter „Yoyo“, der auch in der DDR lief. Das Multitalent war auch Zeichner und vor allem trat er als Clown in vielen Manegen Europas auf.
Auf den Show-Bühnen der Welt war Bisser Kirow zu Hause, der Anfang November im Alter von 74 Jahren in seiner Heimatstadt Sofia verstarb. In den siebziger und achtziger Jahren war Kirow einer der beliebtesten osteuropäischen Sänger, der auch in den USA und Kuba auftrat. Gemeinsam mit Dean Reed sang er bei den Weltfestspielen 1978 in Havanna „Guantanamera“. Bisser Kirow, der viele seiner Lieder selbst schrieb, war gern gesehener Gast im Friedrichstadtpalast und in den Unterhaltungssendungen des DDR-Fernsehens.
Als der „schön neugierige“ Hans-Joachim Wolfram im vergangenen Monat von uns ging, widmete ihm der MDR immerhin eine einstündige Sendung. Anders beim Unterhaltungsredakteur und Show-Master Hans-Georg Ponesky, der im Sommer an seinem Zweitwohnsitz in Spanien kurz nach seinem 83. Geburtstag starb. Als Walter Ulbricht in den Sechzigern die „sozialistische Menschengemeinschaft“ propagierte, hob Ponesky die Samstagabendshow „Mit dem Herzen dabei“ aus der Taufe. Unvergessen die Sendung, in der ein Eisenbahner nach der Schicht in seinem Bett durch Berlins Straßen in den Friedrichstadtpalast gefahren wurde! Später moderierte Ponesky bis 1991 „Alles singt“ und die beliebte Show „SpielSpaß“.
Zu den Pionieren des Unterhaltungsfernsehens zählte auch Fritz Boeck, der im Frühjahr kurz vor seinem 81. Geburtstag starb. Unter den Sendungen, die er als Regisseur und Autor verantwortete, ragen die Kabarett-Reihe „Tele-BZ“ mit Helga Hahnemann und Ingeborg Nass ebenso hervor wie die Reihe der „Schlager einer kleinen/großen Stadt“, in der Heinz Florian Oertel viel herumkam.
Nicht nur DEFA-Regisseur Rainer Simon trauert, weil Paul Kanut Schäfer mit 94 Jahren gestorben ist. Schäfer hatte die Vorlage für Simons gesellschaftskritischen Film „Jadup und Boel“ (1981/88) geschrieben, der Jahre brauchte, ehe er gezeigt werden konnte. Paul Kanut Schäfer hatte sich schon lange mit Leben und Schaffen Alexander von Humboldts  beschäftigt. „Es war seine Idee, dass wir einen Film über Alexander von Humboldt zu entwickeln begannen“, schreibt Simon in einem persönlichen Nachruf. „Was mit mir, ohne diesen Aufbruch zum Chimborazo, später im wiedervereinigten Deutschland geschehen wäre, ich weiß es nicht.“ Der Film „Die Besteigung des Chimborazo“ mit Jan Josef Liefers in seiner ersten Hauptrolle war ein Erfolg und der Beginn von Simons filmischer Auseinandersetzung mit den lateinamerikanischen Ureinwohnern.
Elifius Paffrath war 74, als er im August von uns ging. Der Theaterwissenschaftler arbeitete für die Bühne, ehe er Hörspieldramaturg wurde, und nicht nur das! Er schrieb zahlreiche Hörspiele, nicht nur, aber besonders für Kinder, die seine Geschichten auch im Puppentheater erleben konnten.
In diesem Jahr mussten wir uns von vielen in der Öffentlichkeit geschätzten Menschen verabschieden, die hier nicht alle gewürdigt werden können. Zum Schluss soll an Kuno Mittelstädt erinnert werden, der 86 Jahre alt wurde. Der langjährige Leiter des Henschelverlages lebte in Vitte auf Hiddensee, wo er mit seiner Frau Renate Seydel einen Buchladen betrieb. Sicherlich konnte man dort auch Bücher erwerben, für die Mittelstädt eines seiner kenntnisreichen Vor- oder Nachworte schrieb. So wird uns von ihm wie auch von den anderen Verstorbenen dieses Jahres durch die Medien manches bleiben, das die Erinnerung wachhält.