19. Jahrgang | Nummer 25 | 5. Dezember 2016

Die trojanischen Pferde des Kreml

von Petra Erler

Auf Kassandra, die Seherin Trojas, wollte niemand hören, was zum Untergang der Stadt führte, mittels eines hölzernen Pferdes. Soweit die Legende. Der Kreml, maßlos wie immer, hat aus dieser Geschichte gelernt und heute jede Menge trojanischer Pferde in Stellung gebracht, um die europäischen Demokratien zu unterwandern. Das jedenfalls ist die Botschaft einer Studie „Kremlins Trojan Horses“, die dank des Atlantic Council der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Diese Studie enttarnt die Schlüssel-Persönlichkeiten der Kreml-Strategie in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Der künftige Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier ist danach ein trojanisches Pferd des Kremls, denn er hat es auf die VIP-Liste der wichtigsten Putin-Versteher in Deutschland gebracht.
Wie konnte die Bundeskanzlerin einem derartigen Personalvorschlag für das höchste Amt im Staate zustimmen, zudem er ebenfalls von einem Kreml-Pferd, diesmal Siegmar Gabriel, gemacht wurde. Überhaupt müsste die Union demnächst erstens die Groko beenden, denn die SPD ist in toto ein williger Agent des Kremls, wie die Autoren dramatisch feststellen. Allen voran selbstverständlich der Altbundeskanzler Schröder, der das Titelblatt dieser Studie gemeinsam mit Frau Le Pen zieren darf. Helmut Schmidt gehört auch dazu, aber der ist tot und insoweit dem politischen Fingerzeig von Herrn Meister und Co (Autoren) entkommen. Zweitens müsste dringend der Verfassungsschutz gegen alle Pro-Russen tätig werden, damit wir nicht eines Morgens aufwachen und feststellen müssen, dass uns jetzt der Kreml regiert. Deshalb auch Vorsicht vor den Linken und der AfD. Angestellte von Firmen, die im Ostausschuss der deutschen Wirtschaft vertreten sind, sollten ebenfalls dringend nach einem neuen Beschäftigungsverhältnis Ausschau halten, denn ihre Arbeitgeber gehören zum Arsenal der Kreml-Pferde. Der Deutschen Bahn, immerhin im Staatsbesitz, wäre dringend anzuraten, das Beschäftigungsverhältnis von Herrn Pofalla zu überdenken, denn auch er ist ein Trojaner im Sinne Putins. Matthias Platzeck, der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg sowieso. Auch Herr Lindner, Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums, ist als Kreml-Trojaner identifiziert (und wir kennen ja alle die russischen Interessen an der Ukraine oder etwa nicht?).
Natürlich haben die Autoren nicht an Belegen gespart, was die heimtückische, trojanische Natur der von ihnen identifizierten Hauptverdächtigen beweist. Dazu gehört beispielsweise die Bereitschaft zum Dialog mit Russland oder eine Reise nach Moskau, die Teilnahme an einer Veranstaltung, an der Putin teilnimmt. (Die Autoren haben sich leider nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob das auch auf Staatsbesuche in Berlin oder auf die Gespräche im Rahmen von Minsk II zutrifft, denn das hätte Frau Merkel auch einen Eintrag in das obskure VIP Verzeichnis eingebracht). Auch eine Bereitschaft, sich mit Putin zu zeigen, qualifiziert (Das Treffen Obama-Putin in Peru erfolgte nach Fertigstellung der Studie). Aber auch der gemeine Deutsche mit seinen pazifistischen Tendenzen – so die Autoren – spielt Putin in die Hände. Kurz, Kriegsbereitschaft ist gefragt, ihr Deutschen! Sonst seid ihr Putin-Pferde und schuld am Untergang.
Am schlimmsten aber ist Frankreich dran, denn das ist – so die Autoren – regelrecht Putin-unterwandert. Wenn Jupé nicht das Rennen bei den Konservativen macht (und alles sieht danach aus), dann übernimmt ein Kreml-Pferd das höchste Amt im Staat: entweder Fillon oder Le Pen (die französische Liste ist ein Who is Who der französischen Politik, jede Menge Namen aus jeder Menge Parteien, aber die meisten Personen auf der Liste scheinen, Umfragen zufolge, in den kommenden Präsidentschaftswahlen keine Chance zu haben).
Wenn nicht gerade der liberale Verhofstadt vor einem Angriff der drei Männer (Trump-Putin-Erdogan) auf die EU gewarnt hätte, wenn nicht kürzlich der designierte nationale Sicherheitsberater von Trump, General Flynn, dafür medial abgekanzelt worden wäre, dass er nicht nur russischen Medien Interviews gegeben hat, sondern auch zu einem Forum 2015 nach Moskau fuhr (sogenannte „enge Beziehungen zum Kreml“), könnte man das alles für intellektuelle Scharfmacherei halten, die –in Anlehnung an den Trump- Effekt –- nach Aufmerksamkeit heischt und dafür möglichst reißerisch daherkommt.
So aber muss man in aller Schärfe sagen, dass Publikationen wie das Machwerk von Meister und Co den intellektuellen und politischen Maulkorb bezwecken. Die Autoren warnen vor Diplomatie, der Kunst des Dialogs, dem Ringen um Kompromisse und Lösungen im Verhältnis zu Russland. Denn wer auf dieses Pferd setzt in Deutschland, so die Autoren, sei eben durch den Zweiten Weltkrieg traumatisiert. Da haben wir es wieder, die Autoren, auch der Deutsche, sind gesund, der unwillige Empfänger der Nachricht vom Kreml-Gestüt, ist entweder schon eingestallt oder krank. Oder eben zu doof, die selbsternannten Kassandras zu hören.