19. Jahrgang | Nummer 23 | 7. November 2016

Willi auf dem Sockel

von Renate Hoffman

Koblenz ist in vielerlei Hinsicht eine interessante Stadt. Sehr alt, uralt, mehr als 2000 Jahre alt, eine der ältesten deutschen Ansiedlungen. Heutzutage Großstadt mit internationalem Gewimmel. Zwei Flüsse, von denen die weibliche, romantische Mosel im männlich-machtvollen Rhein aufgeht. Das Zusammenfließen geschieht am Deutschen Eck. „Deutsch“ heißt die Ecke, weil dort in der Nähe einstens der geistliche Deutsche Orden ansässig war. Und nicht wegen der fortwährenden Reibereien zwischen Römern, Franken, Trierer Erzbischöfen und Kurfürsten, der Hudeleien mit der französischen Revolutionsarmee, bevor dann endlich nach dem Wiener Kongress die Stadt mitsamt dem Eck preußisch, sozusagen „eingedeutscht“ wurde.
Etliche Jahrzehnte später beschlossen die Koblenzer, an dieser Örtlichkeit ein Denkmal zu errichten. Nicht für irgendjemanden; für Kaiser Wilhelm I. (1797–1888), belegt mit dem unrühmlichen Namen „Kartätschenprinz“. Den hatte er sich im Umgang mit der Märzrevolution 1848 erworben und mit der Niederschlagung der badischen und pfälzischen Aufstände bekräftigt. Zu dieser Zeit war er aber noch nicht Kaiserliche Majestät, das geschah erst 1871 in Versailles. Vorerst ernannte man ihn zum Generalgouverneur der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen. Daraufhin verlegten er und Gattin Augusta ihren Wohnsitz von Berlin nach Koblenz und residierten dort acht Jahre lang im Kurfürstlichen Schloss.
Als Wilhelm im Jahr 1888 verstarb, setzte landesweit eine Welle der Verehrung in Denkmälern für ihn ein. Eine gewisse Liberalität mit den Jahren war ihm nicht abzusprechen und seine Popularität gewachsen. Am schnellsten reagierten die Koblenzer. Im März hatte sich die Majestät verabschiedet, einen Monat später schon entschloss sich die Koblenzer Stadtverordnetenversammlung, ihm ein würdiges Denkmal zu widmen, imposant und weithin sichtbar. Nach verschiedenen Standortvorschlägen fiel die Wahl auf das „Deutsche Eck“. Die beabsichtigte Würde verlangte nach einem Reiterstandbild! Den Zuschlag erhielten der Architekt Bruno Schmitz und der Bildhauer Emil Hundrieser. Kaiserenkel Wilhelm II. (1859–1941) gab seine Zustimmung zum Modell und die umfangreichen Bauarbeiten begannen.
Wie üblich bei derartigen Vorhaben, überstiegen letztendlich die Kosten die ursprünglich geplante Summe um das Mehrfache. Im Jahr 1897 stand das Monument. Ein mächtiger Unterbau, darauf die Pfeilerhalle, im Halbkreis umgeben von einer Pergola. Und obenauf mit wehendem Helmbusch Wilhelm auf dem Ross, 14 Meter hoch. Ihm zur Seite ein Genius, schützender Geist der Majestät und Ausdruck seiner Macht und Stärke. Von der Großartigkeit des Denkmals überzeugt schon die Kenntnis dessen, dass allein die kaiserliche Stiefelsohle 1,4 Meter lang ist. – Zur Einweihung läuteten die Glocken, Gesangvereine intonierten markige Lieder, Festredner beschworen den Genius loci.
Die Meinungen zum reitenden Wilhelm waren indes nicht einhellig. Guillaume Apollinaire (1880–1918) fand ihn und seinen Unterbau „scheußlich, riesenhaft und schaurig“. – Eine glänzende, lesenswerte Glosse schrieb Kurt Tucholsky (1890–1935) im Jahr 1930 in der „Weltbühne“ („Denkmal am Deutschen Eck“): „ … Wir spazierten also am Rhein entlang, ich hatte wieder einmal meine Geographie nicht gelernt und ließ mir von Jakopp die Gegend erklären. […] Und plötzlich bekam ich den größten Schreck auf dieser Reise. Wir gingen auf der breiten, baumbestandenen Allee; […] dann standen da keine Bäume mehr, ein freier Platz, ich sah hoch … und fiel beinah um. Da stand – Tschingbumm! – ein riesiges Denkmal Kaiser Wilhelms des Ersten. […] Zunächst blieb einem der Atem weg. Sah man näher hin, so entdeckte man, daß es ein […] künstlerisches Kunstwerk war. Das Ding sah aus wie ein gigantischer Tortenaufsatz. […] Wenn ich mich recht erinnere, wallt irgend eine Frauensperson um ihn herum und beut ihm etwas dar. (eine kaiserliche Krone? – R.H.) Und Ornamente und sich bäumende Reptile und gewürgte Schlangen und Adler und Wappen und Schnörkel und was weiß ich … es war großartig. Ich schwieg erschüttert und sah Jakoppn an. ,Ja‘, sagte Jakopp, ,das ist das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Deutschen Eck …‘“
Der Kaiser auf dem Sockel, in der Folge zu allen möglichen propagandistischen Zwecken benutzt, hielt durch bis Mitte März 1945. Da beschoss ihn die amerikanische Artillerie. Wilhelm kippte zur Seite und wurde später demontiert. Übrig blieb nur sein Kopf, den man im Mittelrhein-Museum besehen darf. Es gibt ein Foto aus den 1960er Jahren, darauf ruht Wilhelms Kopf auf einem Handwagen, von Kindern gezogen. Trotz der Spottlust ein trauriger Anblick. Der Rest der Majestät verschwand, es handelte sich nämlich um wertvolles Kupfer. – Im September 1993 ritt der Kaiser wieder. Diesmal als Bronzeguss und etwas schwerer als sein Urbild.
Durch Tucholskys Beschreibung neugierig geworden, gehe ich an der Rheinufer-Promenade entlang. Den freien Platz am Ende bevölkern Touristen vieler Sprachen. Junge Leute, die musizieren, in Grüppchen zusammenstehen und sich wenig um den Herrn dort oben kümmern. – Ich fiel zwar nicht um, als ich ihn sah, aber erschrocken war ich doch. Der Bronzeprotz fährt wie Blitz und Donnerschlag in den friedlichen Septembernachmittag. Die Inschriften darf man getrost als „treudeutsch“ einstufen: „Wilhelm dem Großen“ und „Nimmer wird das Reich zerstöret, wenn Ihr einig seid und treu“ (Max von Schenkendorf). Dass diese Prophezeiung nicht hielt, was sie versprach, weiß man inzwischen.
Um ihm beizukommen, wird es das Beste sein, zur Majestät hinaufzusteigen. Auf breiten Stufen zum Halbkreis der Pergola. Dort sind, wie in einem Ehrenhof, die Wappen der nunmehr sechzehn Bundesländer angebracht. Außerdem noch anwesend: Ostpreußen und Schlesien. Fahnen wehen. Kinder spielen Fußball. Zwischen den Pfeilern der Sockelhalle hat sich eine Familie zum Picknick niedergelassen. Ich genieße den Ausblick, der weitaus schöner ist als der große Wilhelm. Drei junge Englisch sprechende Männer nehmen die Besichtigung sehr genau und bemühen sich, die Inschriften zu entziffern. Einer von ihnen, sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis und halbwegs respektlos, sagt, nach oben deutend: „Look up, that’s little Willi!“ Ich stimme ihm zu.