19. Jahrgang | Nummer 23 | 7. November 2016

Musik, die glücklich macht

von Thomas Behlert

Es ist immer wieder schön zu erleben, dass kleine Musikfirmen ganz ohne die Kraken Universal und Sony agieren und regelmäßig für die Gemeinde schönen „Shit“ veröffentlichen. Dazu gehört unbedingt das von Gunther Buskin 2005 in Hamburg gegründete Label Bureau B (B wie Buskin). Zunächst mit Schlagergrößen (Gitte, Mary Roos) agierend, die in Jazz „machten“. 2008 ging man dazu über, Größen der Neuen Deutschen Welle zu veröffentlichen. Die Gruppe Palais Schaumburg ist so ein Fall. Bis heute überrascht Bureau B regelmäßig mit Wiederveröffentlichungen aus den Bereichen Krautrock, Electronics und Post Punk. Nun sind Gunther Buskin und sein kleines Team wieder tief ins Archiv hinabgestiegen, um Freunde der außergewöhnlichen Musik glücklich zu machen.
Nicht vergessen sollten wir den bereits 2011 verstorbenen Intermedia-Künstler Conrad Schnitzler, der bis heute als einer der wichtigsten Elektronikmusiker der Avantgarde angesehen werden muss, bei Joseph Beuys studierte und Mitglied bei Tangerine Dream und Kluster (ab 1971 Cluster, seit 2011 Qluster) war. Unter dem Namen Kluster nahm er gemeinsam mit Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius die wegweisenden LPs „Klopfzeichen“ und „Kluster Zwei Osterei“ auf. Danach beschäftigte er sich mit verschiedenen Soloprojekten und veröffentlichte ungezählte Alben. Sein Archiv ist legendär und kaum überschaubar. So fand man zwei Bänder mit der Beschriftung „Filmmusik 1975 A“ und „Filmmusik 1980 B“. Doch was ist das? Keines der Musikstücke hat einen Namen, gibt es überhaupt Filmmaterial dazu und stimmen die Jahreszahlen, da die Bänder teilweise dieselben Melodien enthalten, aber in unterschiedlicher Qualität? Schnitzlers Arbeitsweise war nur wenig durchschaubar, da er variierte, gerne live einspielte, mehrere Tracks übereinander koppelte und gerne bereits eingesetzte Bass-Loops und Rhythmen verwendete. So kombinierte er verschiedene Spuren, die er einzeln auf Kassetten aufnahm, und präsentierte das Ganze während seiner sogenannten Kassettenkonzerte. Die „Filmmusik“ klingt wie ein heilender, besänftigender Melodiebogen, der im zappligen, sich über alles erhebenden Geist Szenen vorbeiziehen lässt, die so noch keines Menschen Auge je erblickte. Kosmische Schönheit, ein leidenschaftlicher tiefer Raum und Lieder von hypnotischer Größe umkreisen die Gedankenwelt mutiger Menschen mit sauberen Ohren. Bassläufe, stoische Drumbeat-Einsätze, die fast statisch, sich kaum verändernd, alles durchdringen, machen den Weg frei für Schnitzlers Wunderwelt, die erstaunlicherweise sehr zugänglich ist. Dunkle Drones und kristallene Melodiefetzen verändern den tönenden Planeten auf interessante Weise. Wolfgang Seidel, musikalischer Partner und Hüter des Archivs, steuerte im Begleitheft wichtige Sätze über Schnitzlers Biographie und Arbeitsweise bei.
Ein weiterer Elektroniker überraschte Musikkritiker und Publikum bereits 1982 gleichermaßen. Da stand plötzlich ein Album im Regal der Plattendealer, das in der Form wohl nie die Live-Bühnen der Welt erreichen würde, denn die eingesetzte Technik war nicht transportierbar und die Titel sollten wohl auch bei jedem Hörer ganz eigene Bilder im Kopf schaffen und die Seele immer wieder anders tanzen lassen. Nachdem Rolf Trostel mit dem Debütalbum „Inselmusik“ noch seine Live-Performance untermalte, komponierte und produzierte er für die jetzt als CD und Vinyl veröffentlichte „Two Faces“-Platte fünf Instrumentaltitel. Trostel gehört zu den Pionieren der elektronischen Musik und gilt als Mitglied der Berliner Schule. Beim Vorgänger setzte er nur den PPG Wave Computer 360 A, den dazugehörigen Sequenzer und die Drum-Machine CR-78 CompuRhythm ein, was ein einfaches, bei Live-Konzerten spielbares Klangbild erzeugte. Doch schon bei Album Nummer Zwei, das in der Erstauflage nur in 2000 Exemplaren erschien und auf Plattenbörsen Höchstpreise erzielt, verwendete er zusätzlich den Solo-Synthesizer Minimoog und einen neuen String-Synthesizer. Nun erscheint die Musik in erster Linie aggressiv, besonders verdeutlicht durch den Song „It Is War in Europe“, und sehr vielseitig, wobei einige wunderbare besinnliche Strukturen durch den Orbit wabern, sich aber vom meditativen Gedanken abwenden. Da werden mit dem Computer Synthsound-Läufe gestaltet, die oft die Akkordprogressionen und das Song-Gerüst stellen. Insgesamt darf sich der Kenner elektronischer Musik auf ein Soundgefüge aus den 80er Jahren freuen, das seiner Zeit voraus war, aber im Vergleich zur heutigen Technik schon wieder antiquiert wirkt.
In den 70er Jahren, als manche „Krautrocker“ langsam aber sicher ganz in Richtung elektronische Musik umschwenkten, weil sie sich nun mal die Technik leisten konnten und es immer bessere Geräte gab, versuchten sich auch Quereinsteiger an dieser Musik. Dazu gehört der Berliner Adelbert von Deyen, der 1978 erste Aufnahmen machte und das Vorgehen so beschrieb: „Um den Feierabend sinnvoll zu nutzen, kaufte ich mir einen gebrauchten Synthesizer, mehrere elektronische Tasteninstrumente sowie eine Tonbandmaschine.“ Danach ging es ab in den Keller und von Deyen versuchte sich an tonalen Interferenzen, an einem rhythmischen Schwebezustand und an elektronischen Sphärenklängen, die das von Günter Körber nur wenige Jahre zuvor gegründete Label Sky Records gleich übernahm und als Album „Sternzeit“ auf den Markt brachte. Ein Glücksfall, denn nun stand er bei Sky neben Michael Rother, Hans-Joachim Roedelius und Brian Eno. Bis heute müsste „Sternzeit“ ein wegweisendes Werk für alle nachfolgenden Elektroniker und Trance-Interessierten sein. Leider hat es bisher nicht die Beachtung erfahren, die es verdient. Durch die jetzige Veröffentlichung als CD und Download können endlich mehr Elektronik-Freaks die vollen Analog-Flächen hören. Hin und wieder in ein Windrauschen abtauchen und auf den Punkt genau gesetzte Synth-Effekte genießen.
Die B-Seite orientiert sich an den langen Stücken von Musikern, die die Welt bereits mit elektronischen Traumsequenzen überrascht haben, etwa Tangerine Dream, Faust oder auch Klaus Schulze. Ein lang gehaltener Orgelton mit Vibrato zieht sich durch 24 Minuten, immer wieder entsteht eine hypnotisierende Schwebewirkung, die die Freigeistigkeit und die Leidenschaft des Musikers Albert von Deyen offen legt.