19. Jahrgang | Nummer 23 | 7. November 2016

Amerikanische Flügelkämpfe

von Axel Fair-Schulz, Potsdam, N.Y.

Der bekannte linksliberale Schriftsteller Gore Vidal hat die politischen Realitäten im mächtigsten und reichsten Land der Erde, den USA, vor nun schon einiger Zeit durchaus treffend als Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln charakterisiert. Inzwischen hat sich der eine rechte Flügel in einen zerstrittenen Haufen rechter und ultra-rechter Demagogen verwandelt, mit Donald Trump als ihrem neuesten, bizarrsten und zunehmend offen faschistoiden Repräsentanten.
Mit der Partei Abraham Lincolns haben die heutigen Republikaner der USA nicht einmal mehr entfernt Ähnlichkeit. Selbst Republikaner vom Schlage eines Dwight D. Eisenhower kann man in dieser Gruppierung kaum noch finden, obgleich sich eine Minderheit von Parteimitgliedern zumindest pro forma nach wie vor auf diesen Expräsidenten beruft, beispielsweise der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mitt Romney.
Letzterer hat in den vergangenen Monaten zwar mehrmals öffentlich Stellung gegen Trump bezogen und dessen extrem rassistische und islamophobe Rhetorik scharf kritisiert, doch während seines eigenen Wahlkampfes 2012 hatte Romney keinerlei Probleme mit Trump erkennen lassen und dessen materielle und ideelle Unterstützung dankbar angenommen. Und in puncto noch extremerer Steuergeschenke für die Multimillionärs- und Milliardärsklasse sind sich der einige hundert Millionen schwere Romney und der milliardenschwere Trump ohnehin nach wie vor einig.
Verglichen mit diesen beiden Republikanern ist die Demokratin Hillary Clinton mit ihrem offiziellen Privatvermögen von nur etwa 30 Millionen Dollar zwar eine arme Schluckerin, doch Ehemann Bill kann noch einmal mindestens 80 Millionen auf die Waage legen.
Trump ist seit Jahrzehnten für seine Rüpeleien und Schlimmeres am rechten und noch rechteren Rand berüchtigt. Seine diversen sexuellen Übergriffe scheinen den Wettbewerb mit ähnlichen Schandtaten des dafür notorischen Bill Clinton aufnehmen zu können.
Hinzu kommt Trumps offen zur Schau gestellter Rassismus. Bereits in den Achtzigerjahren konnte ihm offiziell nachgewiesen werden, dass er afroamerikanische Mieter in seinen zahlreichen Gebäuden systematisch diskriminierte. Im zu Ende gehenden Wahlkampfzkylus hat Trump mexikanische Einwanderer als Vergewaltiger und Verbrecher beschimpft und sprach sich für das Errichten einer undurchdringlichen Mauer zwischen den USA und Mexiko aus.
Wie Romney hatten auch die Clintons bis kurz vor dem diesjährigen Wahlkampf keine Berührungsängste mit dem rechtspopulistischen milliardenschweren Immobilienhai, was sich unter anderem in zahlreichen gemeinsamen Abendpartys und Golfvormittagen ausdrückte. Hillary Clinton nahm, wie zahllose weitere Politiker der Demokraten und der Republikaner, Trumps großzügige Wahlkampfspenden dankend an, als sie sich im Jahre 2000 anschickte, im Senat den Bundesstaat New York zu repräsentieren. Allerdings vertrat Hillary Clinton während ihrer Senatoren-Zeit, wie zumeist in ihrer über dreißigjährigen politischen Karriere, die Interessen der betuchteren Einkommensschichten mit beträchtlich mehr Enthusiasmus als die der Durchschnittsbürger. Und das hatte durchaus Auswirkungen auch im Wahlkampf um die Präsidentschaft. Denn trotz aller Versuche der bestens organisierten und finanzierten Clintonschen Wahlkampf-Armee, die Kandidatin als zumindest partiell progressive Politikerin einem sich zunehmend nach links verschiebenden Wahlvolk schmackhaft zu machen, ist Hillary Clinton nach wie vor fast so unbeliebt wie Trump. Die Kandidaten beider Großparteien sind die seit Jahrzehnten unpopulärsten Anwärter auf das mächtigste Amt der Welt. Obgleich Clinton zuletzt einige Prozentpunkte vor Trump in den Umfragewerten lag, so schätzen sie nur 38 Prozent der Wähler als einigermaßen vertrauenswürdig ein.
Da die Mehrheit der US-Amerikaner weder bei Trump noch bei Clinton allzu viele Gründe finden kann, für die eine oder den anderen zu stimmen, so wurde dem Wahlvolk von den Wahlkampfteams immer dringlicher empfohlen, wenigstens gegen ihn oder sie zu votieren. Die Präsidentenwahl wird in weiten Wählergruppen als Suche nach dem kleineren Übel vermarktet.
Für einigermaßen informierte Wähler ist Trump mit seinen rassistischen und sexistischen Ausfällen sowie mit seinem halbstarken Auftreten schlicht nicht wählbar, selbst wenn sie traditionsgemäß bisher für die konservativen Republikaner stimmten. Hillary Clinton rühmt sich inzwischen der mehr oder weniger offenen Unterstützung führender Konservativer, einschließlich Kriegsverbrecher vom Schlage eines Donald Rumsfeld und eines Henry Kissinger. Selbst der ebenfalls unbeliebte George W. Bush machte aus seinen Sympathien für Hillary Clinton kein Geheimnis. Allerdings kann die Kandidatin der Demokraten auch mit liberaleren und sogar linksliberalen Unterstützern aufwarten. So beispielsweise der Filmemacher Michael Moore und natürlich das sozialdemokratische Urgestein Bernie Sanders. Letzterer hatte zwar bis zum Nominierungsparteitag der Demokraten Ende Juli prinzipienfest und couragiert Hillary Clintons Verstrickungen mit dem amerikanischen neoliberalen Raubtier-Kapitalismus problematisiert, mutierte jedoch danach zum linientreuen Wahlkampfhelfer für sie. Bernie verweist in diesem Zusammenhang zumeist auf das offizielle Programm der Demokratischen Partei, das dank seiner Anstrengungen erheblich nach links gerückt ist. Unerwähnt bleibt bei dieser faktisch durchaus richtigen Beobachtung allerdings, dass eben dieses Parteiprogramm in erster Linie aus guten Worten besteht, die für eine neue Clinton-Regierung keineswegs bindend wären.
Es gibt leider sehr gute Gründe, Hillary Clintons partiell progressive Rhetorik zu hinterfragen. Nicht nur als Außenministerin der USA hatten für sie die Interessen der Großindustrie Top-Priorität. In diesem Amt setzte sie sich weltweit für das umweltschädliche Fracking-Verfahren zur Erdgasgewinnung ein, handelte gewinnträchtige Verträge beispielsweise für den Ölriesen Chevron in Bulgarien aus. Neben ihrer recht brachialen Art, US-amerikanische Wirtschaftsinteressen durchzusetzen, hat sich Clinton auch als Vertreterin einer imperialen, militarisierten und interventionistischen Außenpolitik profiliert. So war sie eine der treibenden Kräfte, die Präsident Barack Obama unter Druck setzte, im libyschen Bürgerkrieg massiv zu intervenieren – mit katastrophalen Folgen. In Honduras hat die damalige Außenministerin Clinton den Militärputsch von 2009 de facto sanktioniert und damit die Ermordung Hunderter von Regimegegnern in Kauf genommen. Die im Frühjahr ermordete Umweltschützerin Berta Cáseres nannte vor ihrem gewaltsamen Tod Hillary Clinton als Hauptschuldige an der schrecklichen Situation in ihrem Land. All diese Sachverhalte sind keine Fehltritte einer im Großen und Ganzen positiven Laufbahn, sondern zentraler Bestandteil von Hillary Clintons ideologischer und politischer Entwicklung. Sie ist eine Mitbegründerin des bereits 1985 ins Leben gerufenen Democratic Leadership Council. Diese Strömung in der Demokratischen Partei versuchte seitdem, die Gesamtpartei weiter nach rechts zu rücken und damit die New-Deal-Tradition der Roosevelt-Johnson-Jahre weit hinter sich zu lassen. Als einflussreiche First Lady in Bill Clintons Regierung war Hillary folgerichtig und federführend am Abbau der letzten Reste des Sozialstaates sowie an der Errichtung eines Systems drakonischer Gefängnisstrafen selbst für geringe Vergehen beteiligt. In beiden Fällen sind es gerade die unteren Einkommensschichten und die Angehörigen unterdrückter Minderheiten, die unter solchen Maßnahmen zu leiden haben.
Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, wenn Gore Vidal schlussfolgerte, dass die Bevölkerung dazu gezwungen wird, zwischen zwei Übeln das geringere zu suchen. Das faktische Einparteiensystem der USA hat zwei rechte Flügel und bietet für eine wachsende Zahl von Wählern keine akzeptablen Alternativen an. Alternative Politiker und Parteien gibt es zwar, doch sie werden durch das restriktive Mehrheitswahlrecht systematisch an die Wand gedrückt und von den Konzernmedien totgeschwiegen. So beispielsweise Jill Stein, Präsidentschaftskandidatin der öko-sozialistischen Grünen, die trotz zunehmender Unterstützung gerade durch jüngere Wählergruppen systematisch vom Zugang zur Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Allein um an den massenwirksamen Fernsehdebatten der Präsidentschaftsbewerber teilnehmen zu dürfen, muss man mindestens 15 Prozent Unterstützung in den Umfragen bekommen, die aber strukturell unerreichbar sind, solange man eben von diesen Fernsehdebatten ausgeschlossen bleibt. Ein durchaus gewollter Teufelskreis im zweiflügligen Einparteiensystem.