19. Jahrgang | Nummer 16 | 1. August 2016

Film ab

von Clemens Fischer

Maren Ades (Drehbuch und Regie) dritter Spielfilm „Toni Erdmann“, Wettbewerbsbeitrag beim diesjährigen Filmfestival in Cannes, ist vom deutschen Feuilleton nahezu einhellig über den grünen Klee gelobt worden – die Rede war von einem „sensationellen Cannes-Beitrag“ (Der Spiegel). Andere Blätter gaben sich ähnlich euphorisch: „Wunschzettel“ – „Goldene Palme: Toni Erdmann“ (FAZ); „Maren Ade gelingt die Sensation“ (Die Zeit); „meisterhafte deutsche Tragikomödie“ (Berliner Zeitung); „eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Kino“ (FAS).
Trotzdem ging der Film in Cannes völlig leer aus. Das verwunderte den Rezensenten, der es aus höchst banalen Gründen nicht bis an die Côte d’Azur geschafft hatte, allerdings nur bis zum Kinostart in den hiesigen Lichtspielhäusern. Dann war das Mysterium nie eines gewesen: 162 Minuten (mit Aufpreis wegen Überlänge) mit ziemlich viel Langeweile zwischen den wenigen wirklich originellen Szenen, dafür mit immer wieder derselben Gag-Struktur. Die lebt primär von einer halben, unter eine Oberlippe geschobenen Scherzprothese mit Überbiss. Das ist auf Dauer weder pubertär, noch infantil, sondern einfach nur peinlich. Wenn das die „Botschaft“ sein sollte, dann hat der Streifen eine.
Das mag ja reichen für’s schnappatmende hiesige Feuilleton. Wer aber nicht die Sozialisation der Feuilletonisten hinter sich oder täglich einen bis zur Sättigungsgrenze mit banalen pseudointellektuellen Oberflächlichkeiten gefüllten Alltag vor sich hat, der wird im ersten Drittel des Films durchaus noch das virtuose Kammerspiel der beiden Hauptdarsteller (Sandra Hüller und Peter Simonischek) genießen – bis auch das dank der nimmermüden Wiederholungen totgeritten ist.
Ein Satz hat gleichwohl das Zeug zum Klassiker: Als der Vater nach Bukarest, wo die Tochter ihrem neoliberalen Tagwerk als Unternehmensberaterin nachgeht, angereist ist, um der Filia ein Geburtstagsgeschenk, sinnigerweise eine Käsereibe, auszuhändigen, sagt diese wenig später: „Wenn ich mich aus dem Fenster stürzen wollen würde, wären Du und die Käsereibe nicht die Kombination, mich daran zu hindern!“
Und um nochmals auf die Tragikomödie zurückzukommen: In einer solchen wird zwischen den Passagen, die zum Heulen sind, üblicherweise hin und wieder auch gelacht. In der Vorstellung, die der Rezensent besuchte, waren die anderen Zuschauer und er 162 Minuten lang mucksmäuschenstill.
„Toni Erdmann“, Regie: Maren Ade. Derzeit in den Kinos.

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Als Steven Spielberg den britischen vor allem Shakespeare-Darsteller Mark Rylance erst mal gefunden hatte, engagierte er ihn gleich für zwei Filme. Das war schon dem ersten, „Bridge of Spys“, ausnehmend gut bekommen, aber mehr noch dem jetzt zu besichtigenden zweiten: „BFG – Big Friendly Giant“. Allein schon Rylance’ Minenspiel greift ein ums andere Mal an Herze. Und da die kindliche Ruby Barnhill das mit ihrer Darstellung des Waisenmädchens Sophie auch des Öfteren schafft, sollte, wer bei Emotions, um in Spielbergs Mutteridiom zu bleiben, zu feuchten Augen neigt, vielleicht nicht – wie der Rezensent – zu wenig Tempos dabei haben.
Im Übrigen gibt es, wie rasch klar wird, so ‘ne Riesen und so ‘ne Riesen. Der Unterschied kann charakterlich auf den Gegensatz von (sehr) gut und (sehr) böse hinauslaufen, proviantmäßig zwischen vegetarisch und Menschenfresser oszillieren und in punkto Größe die Spanne zwischen „Zwerg“ und Riese abdecken, aber selbst beim „Zwerg“ passt Sophie noch ohne weiteres in eine Bratpfanne.
Da landet sie natürlich nur aus Versehen, denn „Leberwesen“ stehen nicht auf dem Speiseplan des BFG. Der hat ein paar Wortfindungsprobleme, was ihn jedoch nur noch sympathischer macht. Und selbst die Anrede der Queen mit „O Majonäse“ statt „O Majestät“ entbehrt keineswegs des gebotenen Respekts. Wie dieses gekrönte Haupt selbst dann die Kontenance wahrt, als es am Frobscottle, BFGs Lieblingsdrink, genippt hat – einer lindgrünen moussierenden Brause, in der die Perlen nicht auf-, sondern absteigen und sich den Weg aus dem Trinker folglich nicht aufwärts, sondern rücklinks suchen, in Gestalt böllernder und Blitze schleudernder Flatulenzen –, zeigt, dass die selbstbewusste Bürgerliche Mrs. Crawley aus „Downton Abbey“ (Penelope Wilton) auch Majestät kann.
Ansonsten hat Spielberg wieder einen familienkompatiblen Streifen abgeliefert – dieses Mal über zwei einsame Seelen, die erst fremdeln, sich dann aber behutsam aneinander herantasten, die Trost ineinander finden, die Kraft und Mut auseinander schöpfen und zusammen Dinge vollbringen, die jeder einzeln für sich allein nicht zuwege gebracht hätte.
Das Ganze muss schon ein paar Jahrzehnte her sein, denn Ihre Majestät will mit Ronald telefonieren und meint zu Nancy, die an den Apparat geht, dann solle sie ihn halt wecken. Das muss zu Beginn von Ronalds Ära gewesen sein, denn die begann 1981, und schon 1982 kam Roald Dahls meisterliche literarische Vorlage heraus. Da schlugen die Wogen des Kalten Krieges gerade mal wieder besonders hoch. Damals fiel es schwer, in den hoch gerüsteten Armeen von Ost und West, die, wären sie aufeinander losgegangen, wahrscheinlich das Ende unserer Zivilisation eingeläutet hätten, irgendeinen Sinn, der diesen Namen verdient, zu entdecken. Roald Dahl ist einer eingefallen, und das beschert „BFG“ einen richtigen Show Down mit allem, was dazu gehört – jedoch ohne dass irgendwer ernsten Schaden nimmt.
Es ist allerdings nicht so, dass es an diesem Film gar nichts zu meckern gäbe. „BFG“ hatte Dahl seinen Roman benannt, und das geht folglich als Filmtitel für die Originalfassung auch völlig in Ordnung und nicht minder als Nickname für den Snuzzcumbers (Kotzgurken) mampfenden Zwergriesen. „BFG“ hingegen in der deutschen Synchronisation beizubehalten, war eine ziemliche Schnapsidee. Mit „GuRie“ (für guter Riese) war in der Übersetzung des Buches eine kongeniale Übertragung gefunden worden, die auch dem Film gut angestanden hätte.
Doch das sind Peanuts. Die Hauptkritik geht an die Adresse von Steven Spielberg himself. Der kennt den Roman nach eigenem Bekunden, seit sein ältestes Kind, das längst erwachsen ist, drei Jahre alt war. Das Buch begeisterte ihn sofort. Warum also – for god’s sake – hat er es erst jetzt verfilmt?!