von Sarcasticus
Dass die zahlreichen Entscheidungen zur Beschaffung von Großwaffensystemen in der Geschichte der Bundeswehr zumindest in einem eng militärisch gefassten Verständnis jeweils sinnvoll und vernünftig waren, ist von Kritikern in vielen Fällen bestritten worden. Unbestreitbar ist darüber hinaus, dass einige dieser Entscheidungen in jedem Falle falsch waren, teils mit fatalen Folgen. Als Paradebeispiel dafür steht bis heute die Todeskrähe Starfighter aus dem Hause Lockheed. In den 1960er bis 1980er Jahren fielen von den 916 Kampfflugzeugen dieses Typs, die für die Bundesluftwaffe beschafft worden waren, 269 unautorisiert vom Himmel, was 108 bundesdeutschen Piloten das Leben kostete.
Noch schlimmer könnte es heute beim Militär-Airbus A400M, vorgesehen für Lufttransporte unterschiedlichster Art, schon beim Absturz einer einzigen Maschine kommen. Zum Beispiel wenn diese neben der Besatzung auch noch die über 100 Fallschirmjäger an Bord hätte, deren Absetzung aus der Luft eine der vorgesehenen Einsatzvarianten der A440M ist.
Ein Horrorszenario? Klar doch, allerdings eines mit einer – nach derzeitigem Stande – gewissen Eintrittswahrscheinlichkeit. Wegen Pleiten, Pech und Pannen sowie jahrelangen Verzögerungen während der 2003 gestarteten Systementwicklung des Fliegers hatten böse Stimmen bereits Zweifel daran geäußert, dass die A400M überhaupt jemals abheben würde. So hatte sich zum Beispiel herausgestellt, dass der Rumpf der Maschine bei hoher Leistung der 11.000 PS starken Turboproptriebwerke so durchgerüttelt wurde, dass es keine Schraube im Gewinde hielt. Dem Problem unter anderem durch gegenläufig rotierende Doppelpropeller zu begegnen, wie das etwa bei ukrainischen Großtransportmaschinen des Typs Antonow AN-70 geschieht, sah man sich bei der A400M außerstande. Also wurde der Rumpf verstärkt. Nur bekam die Maschine dadurch flugunfähig machendes Übergewicht… Als die A400M schließlich am 11. Dezember 2009, ein Jahr nach dem ursprünglich für 2008 vorgesehenen Start der Serienproduktion, doch noch an den Start ging, durfte man sich schnell fragen, ob das Gegenteil nicht vielleicht besser gewesen wäre. Schon der Jungfernflug musste nämlich um ein Haar abgebrochen werden, weil die Triebwerke und andere zentrale Komponenten nicht richtig funktionierten. 2014 stürzte eine Maschine gleich nach ihrem ersten Start nahe der spanischen Stadt Sevilla ab. Ursache: Die Software, die die Triebwerke steuerte, war fehlerhaft.
Apropos Triebwerke: Bei denen gibt es darüber hinaus generell Probleme mit der Hitzebeständigkeit und mit außergewöhnlichem Materialverschleiß, was zur Folge hat, dass alle bisher ausgelieferten Maschinen mit mehr als 200 Flugstunden nun jeweils alle weiteren 20 Flugstunden aufwändig kontrolliert und gegebenenfalls repariert werden müssen. Also praktisch nahezu nach jeder Rückkehr von einem Langstreckeneinsatz. Heißt: Ein normaler Flugbetrieb ist mit diesen Maschinen gar nicht möglich.
Doch damit nicht genug. Mitte Mai informierte das Verteidigungsministerium (BMVg) den Bundestag darüber, dass der Hersteller bei allen Maschinen Teile des Rumpfes auswechseln muss, weil bei den französischen Streitkräften Risse in diesen Teilen entdeckt worden waren. Das kann bis zu sieben Monaten dauern. Bei jeder einzelnen A400M.
Dabei war, um wenigstens überhaupt schon mal einige A400M ausliefern zu können, von den Abnehmern auf etliches ganz und auf vieles für weitere Jahre verzichtet worden. So wird der Vogel nie auf kleinen, wenig befestigten Pisten landen können, wie sie in der Dritten Welt nicht eben selten anzutreffen sind. Auf anderen wie in Gao, wo Bundeswehrkräfte im Mali-Einsatz stehen, kann das Flugzeug, weil es für das übrige Gelände zu schwer ist, nur auf der Start-und Landebahn entladen werden, die dadurch blockiert wird. Vor allem aber werden 81 Funktionen überhaupt erst später nachgerüstet: Neben den Vorrichtungen zum Absetzen von Fallschirmjägern und zur Luftbetankung betrifft das auch den Selbstschutz, der irgendwann dazu dienen soll, feindliches Radar zu erfassen und gegnerische Luftabwehrraketen abzulenken. Die Welt resümierte: Der Militärtransporter werde „erst gegen Ende des Jahrzehnts seine vollen militärischen Eigenschaften haben“.
Als die Bundeswehr im Dezember 2014 endlich ihr erstes quasi also nur halbfertiges Exemplar erhielt, war der Zeitplan bereits um sechs Jahre überschritten. Dafür hatte sich der Preis um 40 Prozent erhöht – von 125 auf 175 Millionen Euro pro Flieger. Und der Inspekteur der Bundesluftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, rechnet heute fest damit, dass selbst nach Auslieferung aller 40 geplanten Maschinen – Gesamtkosten: acht Milliarden Euro – „unser Klarstand […] kaum deutlich über 20 hinausgehen [dürfte]“. Mit anderen Worten: Friedensfreunde dürfen erleichtert aufatmen. Eine wirkliche Verbesserung der Kriegführungsfähigkeit der Bundeswehr wird mit diesem Flugzeug nicht Realität werden.
Der Spiegel hatte schon Anfang 2015 von einer „Pannenserie galaktischen Ausmaßes“ bei der A400M gesprochen. Und eine Erklärung dafür gleich mitgeliefert: 2006 waren an die tausend Mitarbeiter, darunter zahlreiche Ingenieure, von der A400M zur ebenfalls kriselnden Passagiermaschine A380 abgezogen worden. Der Hersteller hatte lieber Ärger mit dem Staat riskiert, der in seinen Verträgen – anders als die Kunden aus der Zivilluftfahrt – auf Schadenersatzklauseln verzichtet hatte.
Und was haben die zuständigen Verantwortlichen des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), einer Behörde des BMVg, in den letzten Jahren so getrieben? Denn das Haus von der Leyen war seit 2013, dem Jahr des Amtsantritts der Frau Ministerin, zum Beispiel über die Qualitätsmängel im Zusammenhang mit dem Rumpf der A400M informiert. Das geht aus einem vertraulichen Schreiben von Bundeswehrprüfern an das BAAINBw hervor. Die Prüfer hatten unhaltbare Zustände am Produktionsstandort des Rumpfes im friesländischen Varel festgestellt. Daraufhin wurden sie, also die Prüfer, gedrängt, nicht mehr so genau hinzuschauen und, wie Der Spiegel kürzlich berichtete, Bescheinigungen auszustellen, die den Grundsätzen einer amtlichen Güteprüfung „in keiner Weise“ entsprochen hätten.
Angesichts dieses Gesamtstandes, sollte die Bundeswehr wohl eher froh sein, wenn die für dieses Jahr vom Hersteller avisierte Auslieferung von acht Maschinen nicht über die Bühne geht. Die Chancen dafür stehen gut, denn bis Ende Mai war der Bundesluftwaffe noch kein einziger dieser Pannenvögel zugeflogen.
Im BMVg wird derweil, noch hinter verschlossenen Türen, über einen Komplettausstieg aus dem A400M-Projekt sinniert. Plan B könnte etwa auf die ersatzweise Beschaffung von C-130J Herkules aus US-Produktion hinauslaufen. Diese Maschine kann zwar nur maximal knapp 22 Tonnen Nutzlast aufnehmen, kommt aber mit 18 Tonnen immerhin 5.200 Kilometer weit. Vor allem aber ist sie ein in der Praxis hinreichend zuverlässiger Lastesel, der seit seinem Erstflug am 23. August 1954 bereits in mehreren Tausend Exemplaren gebaut worden ist…
Nachtrag: Auf dem Wege zur A400M-Entscheidung war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch eine damals bereits verfügbare Alternative in Erwägung gezogen worden – in Gestalt des bereits erwähnten ukrainischen Transportflugzeuges AN-70, das vergleichsweise preisgünstig zu haben gewesen wäre und damals schon konnte, was für die A400M gar nicht erst ins Auge gefasst wurde – mit maximal 35 Tonnen Nutzlast nonstop 5.000 Kilometer weit zu fliegen. Die Vergleichswerte der A400M: 30 Tonnen, 4.500 Kilometer.
Die heimische Rüstungsindustrie und ihre Lobby waren logischerweise gegen diese Alternative, und es gab genügend Resonanzboden im Verteidigungsministerium, in den zuständigen Bundestagsausschüssen und in den einschlägigen Medien, um die AN-70-Variante vom Tisch in den Papierkorb zu fegen. Mit den hier skizzierten Folgen.
Doch keine Sorge: Wenn man künftig militärische Lufttransportkapazitäten benötigt, kann man ja auch weiter so verfahren wie während des Afghanistan-Krieges. Da charterte die Bundeswehr ausgerechnet Antonow-Maschinen, konkret vom Typ AN-124-100. Dieses Flugzeug kann bis zu 180 Tonnen Nutzlast aufnehmen, mit 120 Tonnen immerhin 4.800 Kilometer nonstop bewältigen oder mit 40 Tonnen gar 12.000 Kilometer und dank seines besonders robusten Fahrwerkes selbst auf unvorbereiteten Pisten und auf hart gefrorenem Schnee landen und starten. Auch dies wird die A400M nie können.
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