19. Jahrgang | Nummer 7 | 28. März 2016

Iran und Saudi Arabien: Skizze einer Rivalität

von David Jalilvand

Die Konflikte im Nahen Osten werden von der sich verschärfenden Rivalität zwischen Iran und Saudi Arabien überschattet. Die Hinrichtung des schiitischen Klerikers Nimr al-Nimr in Saudi Arabien Anfang 2016 führte zu Protesten unter den Schiiten des Nahen Ostens. Im Iran stürmten Protestierende Botschaft und Konsulat Saudi Arabiens in Teheran und Maschad. Daraufhin brach Riad seine diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der Islamischen Republik ab.
Für die Verschärfung der Spannungen zwischen Iran und Saudi Arabien ist eine Reihe von Faktoren verantwortlich, deren Rahmen das jahrzehntelange Ringen um Vorherrschaft in der Region bildet. Insbesondere seit 1979 kam es auf beiden Seiten zum Aufbau eines Netzwerks von Klienten und Partnern in Drittstaaten. Die Krise des Nationalstaats im Mittleren Osten ging mit einer wachsenden Bedeutung des politischen Islams einher, der in schiitischer und wahhabitischer Spielart jeweils von Iran und Saudi Arabien gefördert wurde.
Je stärker nationale Identitäten an Relevanz verloren, desto wichtiger wurden konfessionelle. Dies wiederum wurde von Riad und Teheran, die sich jeweils als Vor- und Schutzmächte von Schiiten beziehungsweise Sunniten verstehen, ausgenutzt. Der Ordnungsverlust, von dem die Region seit 2001 betroffen ist, verschärfte diese Entwicklungen.
Die Geschichte des iranisch-saudischen Wettstreits beginnt in den 1920er und 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit entstanden die modernen Nationalstaaten Iran und Saudi Arabien.
1926 und 1932 etablierten Reza Pahlavi und Abd al-Aziz ibn Saud souveräne Staaten in Grenzen, die praktisch bis heute Bestand haben. Auf Bezugspunkte wie arabisch-persische Animositäten, die vermeintlich seit der Antike bestehen, oder das schiitisch-sunnitische Schisma wird somit lediglich von beiden Parteien Rückgriff genommen. Eine historische Kontinuitätslinie existiert nicht. Vielmehr handelt es sich bei Iran und Saudi Arabien um zwei vergleichsweise junge Nationalstaaten, die in einer post-kolonialen Region um Einfluss ringen.
Bis 1979 wurde die Rivalität beider Staaten durch verschiedene Faktoren abgemildert. Die Blockkonfrontation setzte dem Spielraum regionaler Akteure Grenzen. Iran und Saudi Arabien waren beide Verbündete der Vereinigten Staaten. Allein um die Beziehungen mit der gemeinsamen Schutzmacht nicht zu gefährden, konnten Riad und Teheran zu dieser Zeit ihren Wettstreit um Einfluss nicht eskalieren lassen. Weiterhin waren sowohl Iran als auch Saudi Arabien vor 1979 Monarchien. Dabei verfolgte das iranische Königshaus einen laizistischen Kurs während die saudische Monarchie – bis zum heutigen Tag – in Allianz mit der wahhabitischen Geistlichkeit herrschte. Beide Länder waren sich jedoch insofern als Status Quo-Mächte verbunden, als dass sozialistisch oder islamistisch motivierte Revolutionsbestrebungen abgelehnt wurden. Sie hatten ein Interesse am Fortbestand der säkularen arabischen Nationalstaaten in Levante, Irak und Nordafrika.
Eine Zäsur erfolgte 1979, dem Jahr der iranischen Revolution und des Einmarschs der Sowjetunion in Afghanistan. In Teheran stürzten islamische Revolutionäre unter der Führung von Ayatollah Ruhollah Chomeini die Pahlavi-Monarchie. Erstmals in der Moderne gelang es politisch-islamischen Akteuren, die Macht in einem Staat an sich zu reißen. Obgleich es sich um iranisch-schiitische Revolutionäre handelte, löste die Revolution Schockwellen aus, von denen Monarchien und säkulare Regime in der arabisch-sunnitischen Welt gleichermaßen in Aufruhr versetzt wurden. Offen propagierte die junge Islamische Republik Iran den Export der Revolution. Saudi Arabien sah sich hierdurch doppelt herausgefordert. Einerseits sprachen Hardliner in Teheran unverhohlen dem saudischen Königshaus die Legitimität ab. Anderseits erhielten durch die Revolution im Iran auch arabisch-sunnitische Islamisten Aufwind, die der Monarchie aufgrund ihrer Allianz mit den Vereinigten Staaten die Gefolgschaft versagten.
Der regionale Status Quo 1979 wurde auch durch die sowjetische Invasion in Afghanistan in Frage gestellt. Ein Erfolg Moskaus hätte die Sowjetunion in die Nähe von Persischem Golf und Arabischem Meer gebracht. Washingtons Einkreisungspolitik und das Mächtegleichgewicht im Mittleren Osten drohten zu kippen. Da Iran durch die Revolution vom Alliierten zum Antagonisten Washingtons wurde, vertieften sich die Beziehungen Saudi Arabiens mit den Vereinigten Staaten. Washington setzte nunmehr ganz auf Riad, um seinen Einfluss der Region zu wahren.

Die Rivalität zwischen Iran und Saudi Arabien erreichte so eine neue Phase. Beide Seiten begannen mit dem Aufbau eines Netzes von Stellvertretern. Iran konzentrierte sich hierbei vornehmlich auf schiitische Akteure. So wurden im Irak und im Libanon die Gründungen des Obersten Rats für die Islamische Revolution und der Hisbollah maßgeblich unterstützt. Mit dem alawitischen Regime von Hafiz al-Assad in Syrien, das sich ebenso wie Iran durch den Irak Saddam Husseins bedroht fühlte, wurden die Beziehungen vertieft. In Afghanistan pflegte Iran Verbindungen mit der schiitischen Minderheit der Hazara sowie mit tadschikischen und usbekischen Bevölkerungsgruppen.
Saudi Arabien wiederum unterstützte zusammen mit den Vereinigten Staaten paschtunisch-sunnitische Stämme im Süden Afghanistans. Mit dem politischen Islam wahhabitischer Spielart sollten die Afghanen zum Kampf gegen die Invasion der säkularen Sowjetunion motiviert werden. Zu diesem Zweck baute Riad ein Netz wahhabitischer Koranschulen in Afghanistan und Pakistan auf. Im Nahen Osten hielt sich Saudi Arabien hingegen vorerst noch zurück. Zu groß schien die Gefahr, dass letztlich politische Islamisten von einer Destabilisierung der säkularen Autokratien profitieren könnten. Im Wettstreit mit Iran unterstützte Riad daher, ebenso wie die USA, den irakischen Angriffskrieg Saddam Husseins.
Das Ende des Irak-Iran-Kriegs 1988 stellte eine weitere Zäsur dar. Kurze Zeit später endete der Kalte Krieg mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. Im Zweiten Golfkrieg 1990-91 siegte eine Allianz unter der Führung von Saudi Arabien und den Vereinigten Staaten über die irakischen Invasoren in Kuwait. In der Folge wurden erstmals auf der arabischen Halbinsel dauerhaft US-Truppen stationiert.
Iran fühlte sich hierdurch besonders herausgefordert. Konventionell war die Islamische Republik den Vereinigten Staaten hoffnungslos unterlegen. Teheran vergrößerte daher seine Bemühungen, für den Fall des Falls asymmetrische Fähigkeiten aufzubauen. Dies führte zu einer Politik, die Revolutionsführer Ali Chamenei kürzlich als „Strategische Tiefe“ charakterisierte. Die Sicherheit Irans sei durch die Vertiefung politischer und wirtschaftlicher Beziehungen mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in der Region zu befördern. Einerseits solle hierdurch das Interesse an guten Beziehungen mit Teheran wachsen. Andererseits solle Iran die Fähigkeit haben, im Konfliktfall fern des eigenen Territoriums über Stellvertreter zurückschlagen zu können.
Die Kriege der Vereinigten Staaten in Afghanistan und Irak 2001 und 2003 eröffneten dieser Politik Irans unerwartet neue Möglichkeiten. Zwei regionale Widersacher Teherans, die Taliban in Kabul und Saddam Hussein in Bagdad, wurden gestürzt. Afghanistan und Irak wurden destabilisiert, was es Iran ermöglichte, seinen Einfluss in diesen Ländern auszuweiten. Die Unterstützung schiitischer, im Irak teils auch kurdischer, Oppositioneller zahlte sich nun führ Iran aus, da Teherans Verbündete nunmehr in beiden Ländern an der Macht beteiligt wurden.
Sowohl in Afghanistan als auch im Irak zerfielen die Nationalstaaten, während die Region einen sich verschärfenden Ordnungsverlust erlebte. Ethnische und konfessionelle Bindungen und Identitäten gewannen an Bedeutung. Iran und Saudi Arabien nutzten diese Entwicklung, indem sie sich jeweils zu Vor- und Schutzmächten von Schiiten beziehungsweise Sunniten aufschwangen.
Verschärft wurden diese Entwicklungen durch die Aufstände in der arabischen Welt 2011. In Ägypten und Tunesien übernahmen Islamisten die Macht, wenngleich in Kairo nur zwischenzeitlich. In Syrien wurden Demonstrationen der Zivilgesellschaft in brutaler Weise vom Assad-Regime niedergeschlagen, während – deutlich effektiver organisierte – Rebellengruppen politisch-islamischer Couleur im Kampf gegen Assad rasch tonangebend wurden.
Iran bekannte sich im Syrien-Konflikt von Anbeginn zu Präsident Assad. Zu groß war die Sorge Teherans, dass nach einem Sturz ein sunnitisch-islamisches Regime die Macht übernehmen könnte. In diesem Fall wären die Verbindungen zur libanesischen Hisbollah im Besonderen sowie Irans Rolle in der Levante im Allgemeinen gefährdet gewesen. Saudi Arabien wiederum versuchte mit allen Mitteln Teherans Verbündeten in Damaskus zu stürzen. Zu diesem Zweck unterstützte Riad jegliche Opposition gegen Assad und insbesondere auch islamistische Kräfte der Muslimbrüder und Wahhabiten/Salafisten.
Nach Irak war Syrien das zweite große arabische Land, in dem der ethnisch und konfessionell übergreifende Nationalstaat kollabierte. Auch hier gewannen in der Folge konfessionelle Identitäten und Bindungen an Bedeutung.
Das Vorgehen Riads und Teherans in der Region offenbart Parallelen, ist jedoch nicht gleichzusetzen. Beide Seiten instrumentalisieren konfessionelle Bindungen. Die Ziele, die verfolgt werden, unterscheiden sich jedoch. Iran kann – im Großen und Ganzen – als Status Quo-Macht angesehen werden. Die Islamische Republik ist insbesondere darum bemüht, in Bagdad und Damaskus Teheran-freundliche Regierungen an der Macht zu halten. Saudi Arabien hingegen zielt auf das Gegenteil. Riads Agenda ist maßgeblich davon bestimmt, Teherans Partner zu stürzen und auf diese Weise den Einfluss des Rivalen zurückzudrängen. Das Königreich hat jedoch selbst keine Strategie, welche Akteure, Regierungsformen und regionale Ordnung an die Stelle der zu stürzenden Regime treten sollen.
Ein Ausweg aus dem Konflikt deutet sich nicht an. Im Gegenteil: Die Beziehungen zwischen Iran und Saudi Arabien haben Anfang 2016 einen neuen Tiefpunkt erreicht. Keine der beiden Seiten scheint schlüssige Vorstellungen darüber zu haben, wie die regionalpolitische Konkurrenz moderiert werden könnte. So schreitet der Ordnungsverlust im Nahen Osten voran und wird durch das Ringen Riads und Teherans weiter befördert.

David Ramin Jalilvand, geboren 1986 in Berlin, arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung im Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika. An der Freien Universität Berlin verteidigte er im Februar 2016 seine Dissertation über die Rolle des Energiesektors in der politischen Ökonomie Irans. Zuvor Studium der Staatswissenschaften und Globalen Politik an der London School of Economics and Political Science, dem Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen und der Universität Erfurt.