19. Jahrgang | Nummer 1 | 4. Januar 2016

Abschied von Alfred Lichtwark

von Hartmut Pätzke

Die Sammlung und Herausgabe der Briefe von und an Max Liebermann geht zügig voran. Nahezu 500 Briefe und Mitteilungen umfassen die Jahre 1911-1915. Darunter konnten einige nicht im Wortlaut wiedergegeben werden, da deren Existenz allein aus Auktionskatalogen bekannt ist. Zum derzeitigen Besitzer führt keine Spur. Fast 150 Briefe gehören dem Jahr 1911 an, für 1912 sind es gut 100 Mitteilungen. 1913 erscheint als ein ergiebiges Jahr mit über 100 Mitteilungen. Im Jahr 1914, in dem das von Deutschland ausgehende Völkermorden beginnt, schrumpfen sie auf 85, 1915 sogar auf 43 Briefe.
Das Werk Max Liebermanns erfährt in jenen Jahren hohe publizistische Anerkennung. In der Reihe „Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben“ erscheint 1911 als Band 19 in der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart und Leipzig von Gustav Pauli „Max Liebermann. Des Meisters Gemälde in 304 Abbildungen“. Zum Gelingen des Buches erteilte Liebermann dem Autor gern Auskünfte. Hingegen spielt die große Monographie „Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke“ von Erich Hancke, 1914 bei Bruno Cassirer in Berlin erschienen, in den Briefen kaum eine Rolle. 1912 wurde Liebermann zum Ehrendoktor und Senator der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin ernannt, Ehrungen, die ihm zwei Jahre zuvor, anlässlich des 100jährigen Bestehens der Universität, noch verwehrt worden waren. Max Liebermann ist im kaiserlichen Deutschland nun ein gepriesener Künstler.
Liebermanns eigene Briefe, aus denen sowohl seine Persönlichkeit erkennbar wird, als auch zahlreiche Details zu seinem Werk hervortreten, erlauben, besonders für die Jahre 1911 bis 1915 einen außerordentlich tiefen Einblick. An erster Stelle steht zweifellos der Briefwechsel mit Alfred Lichtwark (1852-1914), der durch Birgit Pflugmacher bereits 2003 im Georg Olms Verlag in Hildesheim veröffentlicht worden ist. Darüber hinaus hat Ernst Braun bereits im „Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen“ 1989/90 den „Briefwechsel zwischen Max Lehrs und Max Liebermann“ und 1993 in den Marginalien Max Liebermanns Briefe an den Dresdner Kohlenhändler Hermann Müller bekannt gemacht.
Die Gestaltung des Gartens des Liebermann-Hauses in Wannsee, das er auch seine Residenz oder sein Schloss nannte, nimmt einen ganz wesentlichen Platz ein. Liebermann gesteht Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle von 1886 bis 1914 zu, dass dieser Garten dessen Werk sei. Jäh abgebrochen wird der Briefwechsel durch den Tod Lichtwarks, der am 13. Januar in Hamburg 1914 aufgrund eines Magenleidens starb. Lichtwark war in Hamburg in außerordentlicher Weise für das Werk Liebermanns in der Sammlung der Hansestadt und darüber hinaus eingetreten. Es verwundert deshalb keineswegs, dass Liebermann, der selbstverständlich an der Trauerfeier am 17. Januar 1914 im Krematorium Ohlsdorf teilnahm, sich auch besorgt um die Nachfolge des Vertrauten bemühte. In einem Brief vom 30. Januar 1914 an Max Lehrs (1855-1938), Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts, teilte er mit, dass er „schon nach L‘s Beerdigung mit Predöhl“, dem Bürgermeister, gesprochen habe, um Gustav Pauli (1866-1938) aus Bremen statt Fritz Wichert (1878-1951) aus Mannheim zu favorisieren. Wie aus einem Brief an Gustav Schiefler vom 29. April 1915 zu erfahren ist, war er der „Einzige“, der ihm „über die Kunstzustände in Ihrer Stadt Mitteilung zukommen lassen könnte.“
Nicht geglückt war es, Liebermanns Garten in Wannsee mit einer Plastik von Auguste Rodin (1840-1917) zu schmücken. Außer dem Briefwechsel mit Gustav Schiefler, der Liebermann um nähere Angaben für das Werkverzeichnis der Druckgraphik zu einzelnen Blättern bat, sind die Briefwechsel mit den Personen aufschlussreich, von denen er Porträtaufträge erhalten hatte. Er veranschlagte zirka sechs bis acht Sitzungen. Im Preis war Liebermann zu Zugeständnissen bereit, wie auch grundsätzlich für die Bilder, die Museen erwerben wollten. Das Bildnis für den Jenaer Fabrikanten Otto Schott (1851-1935) aus dem Jahre 1913 fand nicht die Zustimmung durch dessen Frau, so dass Liebermann sich bemühte, ein treffenderes Bild zu schaffen. Die Jahre bis zum Beginn des Weltkrieges waren gekennzeichnet durch die Zunahme von Porträtaufgaben. Der Künstler stimmte in „Kriegszeit“ graphisch dem Krieg zu, und mit dem Aufruf „An die Kulturwelt“ vom September 1914 gab er samt 92 weiteren Persönlichkeiten ein Zeichen seiner Übereinstimmung, seines „Patriotismus“.
Gegenüber Alfred Lichtwark betonte Liebermann, anlässlich dessen 25jährigen Dienstjubiläums am 29. September 1911 „Ohne Sie hätte ich wohl kaum Bildnisse außer ein paar Gelegenheitsporträts gemalt.“ Es entstanden das Bildnis Bürgermeister Johann Heinrich Burchard (1852-1912), das Bildnis des Kaufmanns Leonhard Tietz (1849-1914), das Bildnis Dr. Otto Frentzel (1864-1954).
Manche Sätze wirken wie Bekenntnisse, so im Brief an Gustav Pauli in Bremen am 16. September 1911: “Ohne Stürme ist mein Leben dahingegangen, wenigstens ohne äußerlich sichtbare: mein Leben war u ist Mühe und Arbeit und ich glaube, daß ich mit meinem Pfunde gewuchert habe.“ „Das einzig interessante ist doch nur die Arbeit und – Gott sei‘s gedankt – bis jetzt ist sie mir das einzige interessante geblieben.“ (Brief an Gustav Pauli vom 11. Februar 1912). 1913 nimmt Liebermann zugunsten der „Qualität“ klar Stellung gegen den Worpsweder Maler Carl Vinnen (1863-1922), der den Kauf von Werken der französischen Impressionisten ablehnt.
Der Band ist bis auf unerhebliche Fehler hervorragend redigiert. Zu korrigieren ist jedoch ein „Zahlendreher“ in dem Verzeichnis der „Erwähnten Werke“ auf Seite 581: Das Todesjahr von Dr. Otto Schott, wie sonst richtig angegeben, ist nicht 1953, sondern 1935. Unter den Personendaten könnte ergänzt werden: Charlotte Berend-Corinth war eine Schwester der Schriftstellerin Alice Berend (1878-1938). Curt Glaser, war Arzt, bevor er Kunsthistoriker wurde. Eugen Spiro war der erste Ehemann von Tilla Durieux. Henry Thode war ein Schwiegersohn von Richard Wagner. Wölfflin allein als schweizerischen Kunsthistoriker zu bezeichnen, ist leicht irreführend, da er 1901 den verwaisten Lehrstuhl von Herman Grimm an der Berliner Universität übernahm und von 1912-1924 das Ordinariat in München innehatte.

Max Liebermann: Briefe. 1911–1915, Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2015, 617 Seiten, 49,90 Euro.