18. Jahrgang | Nummer 18 | 31. August 2015

Streit um einen Straßennamen

von Manfred Orlick

Da haben die Hallenser den Salat. Das heißt: Die Suppe müssen nun die halleschen Stadträte auslöffeln. Was ist geschehen? In den letzten Monaten war in der Nähe des halleschen Steintors der Campus des Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Zentrums der Martin-Luther-Universität errichtet worden. Gerade werden die neuen Gebäude von den Mitarbeitern bezogen.
So weit so gut. Doch der großartige Campus liegt an der Emil-Abderhalden-Straße, die seit 1953 (also seit DDR-Zeiten) an den Physiologen Emil Abderhalden (1877-1950) erinnert. Der gebürtige Schweizer wurde 1932 zum 20. Präsidenten der berühmten Nationalen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt, die seit 1878 ihren Sitz in Halle hat. Seit Jahren regt sich nun Kritik an der Person Abderhaldens, der bis zu seinem Tode dieses Amt offiziell innehatte.
Der Streit entzündete sich an der Rolle Abderhaldens während des Nationalsozialismus. Ihm wurde fehlende Abgrenzung zur nationalsozialistischen Rassentheorie vorgeworfen. Als Leopoldina-Präsident sei er dafür verantwortlich gewesen, dass – „teilweise in vorauseilendem Gehorsam“ – jüdische Mitglieder ausgeschlossen wurden. Eine Initiative von Professoren forderte die Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße, schnell wurden auch neue Namen für die Straße gehandelt. Fünf Jahre lang vertagte der Stadtrat eine Entscheidung. Für die Einen war der einstige Leopoldina-Präsident Nationalsozialist und Rassist, die Anderen lobten ihn als herausragenden Wissenschaftler.
Mit dem neuen Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Zentrum hatte sich die Diskussion um das Für und Wider zur Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße verschärft. Der neue Campus der halleschen Alma Mater mit der Adresse einer „fragwürdigen historischen Person“? Das wäre wohl ein Graus. Nun liegt aber eine Studie der Leopoldina zu ihrem einstigen Präsidenten vor, die eine Entlastung für den Wissenschaftler bringt. Abderhalden sei zwar verantwortlich für den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus der Akademie der Wissenschaften gewesen, doch als „Rassist und Nationalist der ersten Stunde“ sieht ihn das Gutachten keinesfalls, „sein Handeln sei vom Zeitgeist geprägt gewesen“. Darüber hinaus wird erklärt, dass Abderhalden zwar nicht für eine unkritische Verehrung tauge, aber „eine lebensfremde Aburteilung sei nicht sinnvoll“.
Was nun anfangen mit diesem halben Persilschein? Halles Oberbürgermeister hat erst einmal den Antrag auf Umbennung der Straße zurückgezogen. Den Schwarzen Peter hat nun der Kulturausschuss der Stadt. Die Debatte geht weiter. Schon kursiert ein fauler Kompromiss: Die Emil-Abderhalden-Straße direkt vor dem Campus umzubenennen, aber jenseits der Adam-Kuckhoff-Straße die Namensgebung zu belassen. Einfach genial … oder?
Streit um Straßennamen sind nichts Neues in der Saalestadt. Vor Kurzem erst wurden im Süden Halles die Willi-Bredel-Straße und Teile der Erich-Weinert-Straße entwidmet (Das Blättchen berichtete darüber in Heft 14) und dabei kamen die beiden linken Schriftsteller nicht in den Genuss eines vorherigen Gutachtens.
Solche Vorkommnisse kenne ich zur Genüge aus meiner Kindheit, als eine Straße im Norden der Stadt innerhalb weniger Jahre gleich dreimal den Namen wechselte – und das bei einer Sackgasse von gerade einmal hundert Meter Länge. Zunächst wuchs ich in der Friedrich-Nietzsche-Straße auf. Der Name des nicht unumstrittenen Philosophen blieb von den damaligen Ideologiehütern wahrscheinlich jahrelang unentdeckt. Erst als 1953 in den USA das Physiker-Ehepaar Rosenberg wegen angeblicher Atomspionage für die Sowjetunion hingerichtet worden war, hatte der „Zarathustra“-Autor ausgedient. Jetzt spielten wir Kinder in der Ethel-und-Julius-Rosenberg-Straße. Aber wenig später bereits in der Helmut-Just-Straße, benannt nach dem DDR-Grenzpolizisten, der an der Berliner Sektorengrenze erschossen worden war. Als ich indes meine erste Freundin nach Hause führte, war das schon im Heckenweg – wegen der Ligusterhecken, die die Mini-Vorgärten der Mietshäuser umzäunten. Der Name hat bis heute Bestand.
Was lehrt uns das? Straßen und Plätze sollten stets möglichst unverfängliche Namen erhalten, die nicht irgendwann später zum Dilemma führen. Es muss ja nicht ein Stiefmütterchen-Platz oder eben ein Heckenweg sein.