18. Jahrgang | Nummer 16 | 3. August 2015

Sport Utility Vehicle

von Heino Bosselmann

Für den wohlständigen Teil der Gesellschaft gibt es als obligatorisches Statussymbol, im Sinne eines neuen Fetischs, ein absolutes „Must-have“ – das „Sport Utility Vehicle“, den SUV, jene Geländelimousine, die noblen Fahrkomfort mit Allradantrieb und dem maskulinen Charme eines domestizierten Landrovers vereint. Diese Modellreihe beschert den Automobilkonzernen derzeit satte Sonderprofite. Wer sie erwirbt, möchte zeigen: Harmlos bin ich nicht! Ich ziehe an euch vorbei.
Vorbeiziehen! Darin liegt der Symbolwert für die Gewinnerfraktion der neoliberalen Ära. Große Freiheit und Weitblick! Wer als Ritter auf sich hielt, bedurfte im Mittelalter vor allem eines edlen Pferdes. Hoch zu Ross ließen sich die Vasallen und Habenichtse am besten überschauen; und wer oben saß, der hatte das entscheidende Wort. Die neuen Ritter fahren statt Abgaben Rendite ein. Und ihre imposanten SUVs gelten als Siegermodelle. Sie heben sich ab von den kleineren Limousinen, Combis und Kompaktwagen; sie stehen deutlich drüber und rasen auf der Autobahn vorzugweise links, also auf der Profispur für die ganz großen Jungs, immer straff vorbei an der versammelten Armseligkeit der Amateure. Auf mobilem Hochsitz. Seht ihr, ich leiste was, also leiste ich zuerst mir was! Einerlei, ob redlich oder nicht.
Wie alles Vorbildliche kommt die neue Vorliebe aus den USA. In den Krimis der letzten beiden Jahrzehnte fuhren die Bosse und Narco-Gangster dort vorzugsweise SUVs. Das polierte Design sublimiert die Militanz von Kraft.
Für Nachahmer, die eigentlich nicht das Zeug fürs ganz große Besteck haben, aber nicht ewig wie Knappen daherkommen wollen, gibt es auf dem SUV-Markt Discounter-Varianten, insbesondere solche ostasiatischer Provinienz.
Vorbei die Zeiten, als vermeintlich wohlverdienter Wohlstand sich klassisch bürgerlich-behäbige Kennzeichen wählte: breite Straßenkreuzer mit karnivor anmutenden Kühlergrills, der Fahrer eine Rolex am Handgelenk, die schwarz gestickte Rose auf der Wampe, Zigarre, Siegelring. Der biedere Chauffeur ist gleichfalls ausgestorben. Man thront nicht mehr zurückgelehnt im Fond des Wagens, sondern gibt vorn selbst vital Gas! – Gefiel sich Reichtum früher eher fett, so erscheint er heute verschlankt fit. Man’s Health! Man zieht sich nach guten Geschäften längst nicht mehr ins Rauchzimmer zurück, sondern trifft sich in der Squash-Halle, um dort nochmals seine Konkurrenzfähigkeit nachzuweisen. Und man ist überhaupt darwinistisch sichtlich sehr weit vorn platziert. Insbesondere in der Nahrungskette der Verwertungsgesellschaft. Survival of the fittest! Mit Brecht: Wenn die Haifische Menschen wären …
Wer Erfolg hat, der verfügt passend dazu über schnittige Kontur. Adipös sind nur noch die Hartzer, die Loser und die Stumpfsinnigen der Generation Blöd, also jene viel zu vielen der Verwaltungs- und Verwertungsmasse, die es nie schaffen werden. Der Gewinner dagegen erscheint getunt und übermotorisiert. Er ist mit hoher Drehzahl unterwegs. Natürlich fahren die SUVs nie tatsächlich im wilden Gelände, für das sie vermeintlich ausgelegt sind. Dort würden sie ja schmutzig. Aber wesentlich erscheint der Gedanke, dass sie es ohne weiteres könnten. Die Leitungs- und Entscheidungsträger tragen ihre dicken Chronometer und Fliegeruhren des obersten Preissegments ja nicht etwa, weil sie einen Kampfjet steuern müssen, sondern vielmehr, weil sie sich per se als Kämpfer – und Sieger! – verstehen. Ihrer Haltung nach könnten sie nämlich durchaus in einem F-19-Stealth-Fighter sitzen und sich die armen Schweine da unten durch die Zieleinrichtung ansehen.
Wer zu den Jägern gehört, fährt nun mal nicht Damenrad oder ökologisch Elektroauto, sondern ist in geräumiger, durchklimatisierter Kabine so unterwegs, dass hinten noch eine gerade erlegte und frisch ausgeweidete Wildsau Platz hätte. Und wer vom vielen Führen, Lenken und Leiten, Verdienen und Gewinnen und dem damit verbundenen Dauerstress schließlich doch ausgelaugt und in Ehren verbraucht ist, der vermag mit der leistungsstarken Maschine wenigstens noch, die eigenen Handicaps auszugleichen. Wichtiger als das, was man im Hirnkasten und abwärts der Gürtellinie hat, ist dann, was unter der Motorhaube steckt. Fürs Denken gibtʼs schließlich Software, für das andere Viagra; und nichts kompensiert Bypasse so trefflich wie ein Full-Size-SUV, Crossover oder Softroader, mit dessen dreistelligen Pferdestärken man auch pflügen oder eine Mittelstreckenrakete schleppen könnte.