18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Machtkampf bei den Taleban

von Thomas Ruttig, Kabul

Nach dem Tod von Talebanführer Mullah Muhammad Omar ist ein Machtkampf um seine Nachfolge ausgebrochen. Am schnellsten reagiert hat der bisherige Stellvertreter Omars, Mullah Akhtar Muhammad Mansur, der sich am 30. Juli nicht nur zum politischen Nachfolger ausrufen ließ, sondern auch den religiösen Titel Amir ul-Momenin (Oberhaupt der Gläubigen) annahm.
Die konkurrierenden Seiten versuchen ihre Truppen um sich zu scharen. Mansur hat in seiner ersten Audiobotschaft deshalb auch die Weiterführung des Dschihad gegen die „westliche Okkupation“ des Landes in den Mittelpunkt gestellt, schloss aber Friedensgespräche nicht aus. Dass der bewaffnete Kampf notwendig und legitim ist, ist bei den Taleban unumstritten, stellt also den einigenden Faktor dar. Streitpunkt – und möglicher Spaltungsgrund – ist die Haltung zu direkten Friedensgesprächen mit der afghanischen Regierung und die Rolle Pakistans dabei.
Auf der von Mansur kontrollierten offiziellen Webseite der Bewegung werden gerade reihenweise Gefolgschaftserklärungen hochrangiger Taleban-Führer veröffentlicht. Wichtigste Unterstützer sind der 2014 abgesetzte frühere Taleban-Militärchef Qayum Zaker, bisher als Mansurs ärgster Rivale betrachtet, der per offenem Brief dementierte, dass er Streit mit Mansur habe, und der Anführer des berüchtigten Haqqani-Netzwerks, Jalaluddin Haqqani – wie Mullah Omar schon mehrmals totgesagt. Haqqanis Sohn Serajuddin war am Donnerstag zum Stellvertreter Mansurs aufgerückt.
Unter den Gegnern Mansurs profilieren sich zwei Familienangehörige Mullah Omars, sein 26jähriger ältester Sohn Mullah Muhammad Yaqub sowie ein Bruder namens Mullah Abdul Mannan. Außerdem trat der Leiter der Politischen Kommission der Taleban, also ihr Hauptverhandlungsführer, Tayyeb Agha, zurück. Er war sowohl während der Herrschaft der Taleban (1996-2001) und über lange Jahre danach der wichtigste Vertraute Mullah Omars. Im Gegensatz zu Yaqub und Mannan hat sein Wort Gewicht. Sie kritisieren vor allem die schnelle und nicht inklusive Proklamation Mansurs, die in repräsentativer Form wiederholt werden müsse.
Dabei hätte bei der Nachfolge eigentlich alles klar sein müssen. Mullah Omar hatte frühzeitig – etwa 2005/06 – Mullah Abdul Ghani, besser bekannt als „Baradar“ (Bruder) und Mullah Obaidullah, den früheren Taleban-Verteidigungsminister, zu seinen Stellvertretern ernannt. Doch Baradar wurde 2010 vom pakistanischen Geheimdienst verhaftet, Obaidullah starb schon 2010 im Gefängnis in Pakistan. An beider Stelle rückte 2010 Mansur. Er wurde Chef des Führungsrates, der sogenannten Quetta-Schura, die dem Amir ul-Momenin untersteht. Seit dem Tode Mullah Omars, wahrscheinlich schon Anfang 2014, führte er praktisch die Organisation – und zwar in Mullah Omars Namen, über dessen Tod hinaus, wie sich jetzt herausstellte. Aber er hat nicht die Statur des Talebangründers.
Während Baradar und Obaidullah die Taleban nach der Niederlage 2001 als schlagkräftige Truppe wieder aufgebaut und landesweit verankert haben, widerstand Mansur den noch einmal erhöhten Anstrengungen der westlichen Truppen zur Zerschlagung der Taleban, bevor dann bis Ende 2014 die meisten ausländischen Truppen abgezogen wurden. Damit sicherte er der Bewegung das Überleben. Er ist auch derjenige, der sich für jüngste Friedensgespräche eingesetzt hatte – und gleichzeitig versuchte, die Taleban aus der engen Kontrolle Pakistans zu lösen. Seit 2013 etablierte er ein Taleban-Kontaktbüro im Golfstaat Katar, an das er seither die Mitglieder der Politischen Kommission samt Familien verlegte.
Das dürfte Pakistan, das die Taleban weiterhin als Trumpfkarte im Nach-Interventions-Afghanistan ansieht, nicht gefallen haben. Islamabad versuchte, Mansurs Einfluss zu untergraben, indem es – in Kooperation mit der afghanischen Regierung – Anfang Juli erstmals Direktgespräche Kabul-Taleban durchführte. Mansur stimmte zwar zu, aber entgegen Abmachungen wurde das Treffen publik, und Mansur protestierte und erklärte es für nichtig. Dann folgte die Nachricht vom Tod Mullah Omars, die Mansur als Usurpator dastehen lassen soll.
In der Folge dieser Ereignisse gibt es bei den Taleban nun mehr als nur zwei Strömungen. Die Nachfolgefrage ist also noch längst nicht entschieden. Besonders die Gesprächsbefürworter scheiden sich an ihrer Haltung zu Pakistan. Mansur will der pakistanischen Kontrolle ausweichen, während eine andere Strömung – die sich mit Omars Angehörigen verbündet haben – stark Pakistan-orientiert ist. Es ist schwierig zu sagen, wer sich am Ende durchsetzen wird, ob es eine Spaltung gibt oder alle Seiten wieder zusammenfinden. Im letzteren Szenario würde die Taleban militärisch und politisch, in Hinblick auf Friedensgespräche, stärker dastehen.
Eines ist jedoch klar: Wer wirklich Frieden in Afghanistan will, sollte nicht versuchen, die Aufstandsbewegung zu spalten. Das ist ein gefährlicher Weg, der noch radikalere Gruppen erzeugen könnte, die jeden Friedensschluss mit Freude in die Luft jagen werden.