18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Die dunkle Seite der Renaissance

von Wolfgang Brauer

Auf der Veste Coburg läuft derzeit unter diesem Titel eine Ausstellung mit italienischer und deutscher Druckgraphik des 15. und 16. Jahrhunderts, die einen bemerkenswerten Kontrapunkt zur in diesem Jahr einsetzenden Cranach-Luther-und-die-Reformation-Hausse bildet. Konzeptioneller Ausgangspunkt der Kuratorin Christiane Wiebel, Direktorin des dortigen Kupferstichkabinettes, war eine Beobachtung, die tatsächlich verblüfft: „Dem Streben der Renaissancekünstler nach der Darstellung absoluter Schönheit und idealer Proportionen in der Bildung der menschlichen Figur in Malerei und Skulptur nach antikem Vorbild steht eine bemerkenswerte Kreativität in der Visualisierung der Hässlichkeit und Monstrosität des Bösen gegenüber.“
Den Bösen, den Teufel, hat es in unendlichen Varianten in der christlichen Kunst schon immer gegeben. Die Drolerien an den Dächern der französischen Kathedralen legen ein beredtes Zeugnis davon ab. Im Zeitraum, den die Ausstellung untersucht, verließ der Böse den sakralen Raum, in dem er die Jahrhunderte über eine eher grobe pädagogische Funktion zu erfüllen hatte, und fand in seinen bildnerischen Darstellungen Eingang in die Gelehrtenstuben und die Sammelkabinette der Patrizier. Die im 15. Jahrhundert eine Hochzeit erlebende Druckgrafik, insbesondere Kupferstich und Radierung, machten es möglich.
Für das weniger zahlungskräftige Publikum gab es wenigstens noch die Holzschnitte – mit genauso grob geschnittenen Texten versehen sind die zahlreichen Einblattdrucke des 16. Jahrhunderts auch ein Beleg für die politische Indienstnahme der Künstler jener Zeit. Heutiges Räsonnement einer sich unpolitisch gebärenden und den „Auftrag“ verteufelnden Künstlerschaft wäre den Behams, Cranachs und Dürers nie in den Sinn gekommen. Sie waren Partei, und sie sahen es mitnichten als abartig an, von ihrer Arbeit auch leben zu können.
Und der Teufel wurde Mode: Bei Martin Luther wird er zur conditio sine qua non seiner Theologie. Luther ohne Teufel? Undenkbar! Und damit ist nicht nur die hübsche Anekdote mit dem Tintenfass auf der Wartburg gemeint. Wobei ich mir sicher bin: Der Junker Jörg – Deckname des nach seinem Wormser Auftritt 1521 untergetauchten Wittenberger Professoren – hat den Bösen wirklich gesehen… Die Coburger Ausstellung zeigt nicht zufällig gleich zu Beginn den berühmten „Papstesel“ des Wenzel von Olmütz (um 1496). Es ist vollkommen egal, ob der Künstler eine Karikatur anfertigen („ROMA CAPUT MUNDI“ ist das Blatt übertitelt) oder „nur“ eine seinerzeit im Tiber angeschwemmte Missgestalt abbilden wollte – Luther und sein Freund Philipp Melanchthon griffen dieses Motiv in einem Flugblatt „Deutung der grewlichen Figurn Bapstesels / zu Rom funden“ gerne auf. Ihr Titelholzschnitt hat Eingang in die Schulbücher gefunden. Schade, dass die Ausstellungsmacher auf dieses Blatt verzichteten. Wenzel von Olmütz’ hässliche Kreatur trägt übrigens durchaus auch Körpermerkmale des Teufels.
Dieses vergleichsweise schlichte Blatt hält keinen Vergleich stand mit den furiosen Bildfindungen auf dem Kupferstich Martin Schongauers „Der Heilige Antonius, von Dämonen gepeinigt“ und dem gleichnamigen Holzschnitt Lucas Cranach des Älteren. Die Ausstellung zeigt beide Blätter. Der Vergleich macht nicht nur den Generationenunterschied – Schongauer wurde zwischen 1440 und 1450 geboren, Cranach 1472 – zwischen beiden Künstlern deutlich. Hier zeigt sich ein Epochenschritt. Schongauers Antonius erträgt die Attacken der ihm zusetzenden Monstren mit stoischer Gelassenheit. Sie können ihm nicht wirklich etwas anhaben. Bei Cranach sieht die Sache schon ganz anders aus…
Cranachs Blatt entstand 1506. Diese Zeit, die laut Friedrich Engels „Riesen brauchte und Riesen zeugte, Riesen an Denkkraft“, war für die meisten Menschen nördlich und südlich der Alpen wohl eher eine Zeit höchster Unsicherheit, kulminierender Ängste, eine Zeit von Kriegen, Pest und Hungersnöten. Albrecht Dürers Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel“ (1513), von dem Coburg einen exzellenten Druck besitzt, führt dies mit einer keinen Fluchtweg zulassenden Unausweichlichkeit vor. Apokalypse war angesagt, nicht Idylle. Und in letzterer ging es auch nicht besonders beschaulich zu.
In der Ausstellung wird ein Blatt des Veroneser Malers und Kupferstechers Giovanni Paolo Cimerlini präsentiert: „Der Tod als Vogelsteller“. Egal, ob es sich um die im Disput befindlichen Gelehrten, eine noble Festgesellschaft oder eine sich bukolischen Freuden hingebende Künstlergruppe handelt – sie alle werden unausweichlich den aufgestellten Netzen des Todes zugetrieben. Mit den naiven mittelalterlichen Totentanz-Darstellungen hat das nur noch wenig zu tun.
Dürers Erfindungsgabe, zum Beispiel bei der Gestaltung des „Tiers mit den Lammhörnern“ aus seinen Holzschnitten zur „Apokalypse“, galt europaweit als so einmalig, „daß er vielen unserer Künstler als ein helles Licht vorleuchtete, und sie sich nachmals des Reichtums und der Menge seiner Phantasien und Erfindungen bedient haben“, schrieb Giorgio Vasari. Es war allerdings ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Von Dürer existiert ein kleinformatiger Kupferstich „Die Hexe“. Die ausgezehrte Frauenfigur der Hexe entnahm dieser dem zweiteiligen Kupferstich Andrea Mantegnas „Kampf der Meergötter“. Im großformatigen Kupferstich „Der Hexenzug“ Agostino Venezianos – ein zentrales Exponat der Ausstellung – taucht Albrecht Dürers Hexe wieder auf. Nicht in rätselhaftem Tun befangen rücklings auf einem Ziegenbock, bei Veneziano sitzt sie furienhaft auf den Beckenknochen eines von kräftigen Jünglingen gezogenen monströsen Skelettes. Es ist eher eine antikisierende Variante der „Wilden Jagd“. Christiane Wiebel bezeichnet den Stich zu Recht als „eines der enigmatischsten druckgraphischen Werke des 16. Jahrhunderts“.
Damit sind wir bei der wohl dunkelsten Seite des Zeitalters, dem Hexenwahn und den Hexenverfolgungen angelangt. Der Fanatismus, mit dem Hexen und Hexer vor allem nördlich der Alpen (die nun wirklich humanitärer Verirrungen unverdächtige spanische Inquisition beispielsweise stellte sich strikt gegen Hexenverfolgungen; der tapfere Friedrich Spee, der 1631 seine „Cautio criminalis“ veröffentlichte, war Jesuit) verfolgt wurden, ist ein Produkt der frühen Neuzeit. „Also sollen sie getötet werden, und nicht allein weil sie schaden, sondern weil sie Umgang mit dem Satan haben.“ Das stammt nicht aus dem berüchtigten „Hexenhammer“ (1486), das predigte Luther am 6. Mai 1526. Die Folgen waren verheerend. Von den mindestens 25.000 Menschen, die im Heiligen Römischen Reich den Flammentod fanden, wurde ein gut Teil mit solchen Begründungen zum Tode verurteilt.
Natürlich ist Hans Baldungs berühmter „Hexensabbat“ (1510) in einem in dunklem Ocker gehaltenen Druck zu sehen. Baldung („Grien“), Schüler und enger Freund Albrecht Dürers, befasste sich intensiv mit dem Hexenthema. 1523 malte er „Zwei Hexen“, die heute im Frankfurter „Städel“ hängen. Auf diesem Tafelbild hält die Sitzende der beiden nackten Schönen triumphierend eine Phiole in die Höhe. In dieser ist ein Teufel eingepfropft… Widerstand gegen den Satan leisten drei Frauen auf einer Radierung Daniel Hopfers („Drei Frauen schlagen den Teufel“, 1536). Von Hopfer sind einige Blätter in der Ausstellung vertreten. Das Genannte ist mir das Liebste: Der vollkommen hilflose Teufel liegt am Boden, drei wütende Weibsbilder – die linke ähnelt der Dürerschen Hexe – dreschen erbarmungslos mit diversen Gerätschaften auf ihn ein. Selbst die aufgescheuchten Dämonen vermögen kaum das Gesehene zu fassen. „GIB FRID“ steht auf einem Spruchband im Zentrum des Bildes. Das dauerte noch. Die letzte wegen „Teufelsbuhlschaft“ angeklagte Frau in Deutschland starb 1781 im Gefängnis. Die „dunkle Seite der Renaissance“ warf sehr lange Schatten.
Weshalb die Coburger dieser allerdings auch das epochemachende „De humani corporis fabrica libri septem“ (1543) des Mediziners Andreas Vesalius zurechnen, ist nicht recht nachvollziehbar. Nur die Darstellung menschlicher Skelette in exzellenten Holzschnitten kann es kaum sein. Vesalius gehörte zu den Renaissance-Wissenschaftlern, auf die der Engelssche „Riesen“-Begriff tatsächlich zutrifft.

Die dunkle Seite der Renaissance. Bizarrien im Kontext der italienischen Druckgraphik des 16. Jahrhunderts, Kunstsammlungen der Veste Coburg, 96450 Coburg, bis 18. September täglich 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr; Katalog 18,00 Euro.