18. Jahrgang | Nummer 9 | 27. April 2015

Dilettantenstadl

von Sarcasticus

Elb-Philharmonie, neue BND-Zentrale, Stuttgart 21, BER – bei diesen Großprojekten und Milliardengräbern, deren Federführung beim Staat liegt, wird der fassungslose Betrachter schon seit langem von dem Gefühl beschlichen, dass Missmanagement nicht mehr die Ausnahme ist, sondern längst die Regel. Ein Gefühl, das gleichwohl noch Raum für die bange Hoffnung lässt, es möge nicht überall und once and for all so sein. Wo aber das Gefühl einer Gewissheit weichten muss …
So bei der Bundeswehr. Da hat die zuständige Ministerin die 15 wichtigsten Rüstungsprojekte – vom Transportflieger A400M bis zum Schützenpanzer “Puma“ – auf den Prüfstand stellen lassen, und das Ergebnis überraschte zwar nach allem, was aus diesem Bereich in den letzten Jahren ans Licht kam, nicht mehr wirklich, schlägt in summa dem sprichwörtlichen Fass jedoch immer noch die Krone vom Kopf: Im Durchschnitt hinken die Projekte vier Jahre hinter der ursprünglichen Zeitplanung her, und insgesamt werden sie (bis jetzt) 12,9 Milliarden Euro teurer als vorgesehen. Bei einem Gesamtinvestitionsvolumen von derzeit 58 Milliarden.
Wer nun allerdings meint, dass solch exakte Bestandsaufnahme der Dilemmata beim Bundesverteidigungsministerium (BMVg) eine gute Grundlage für Regressforderungen gegenüber den Herstellern abgeben müsste, um wenigstens einige dieser Milliarden dem Steuerzahler zu ersparen, der liegt so weit daneben, wie nur irgend möglich. Selbst bei hundertprozentiger Abweichung von geschlossenen Verträgen – der Schützenpanzer „Puma“ zum Beispiel wird nach aktuellem Stande mindestens doppelt so teuer wie ursprünglich vereinbart – kommen die Rüstungsunternehmen ohne Strafzahlungen davon. Das kann nicht sein? Doch, doch, denn die Verträge sind von der Beschaffungsbürokratie des BMVg so dilettantisch ausgehandelt worden, dass sie in der Regel keine Handhabe für Regressansprüche bieten. Im Fall „Puma“ wurde, so heißt es im internen Statusbericht des BMVg, schlicht keine Strafe „vereinbart, da sie im Rahmen der Vertragsverhandlungen nicht durchsetzbar war“; daher „entfällt eine Geltendmachung“.
Wie hat man sich das konkret vorzustellen? Hätten die Rüstungsschmieden Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann auf das „Puma“-Geschäft verzichtet, wenn das BMVg auf der Vereinbarung von Vertragsstrafe für den Fall von Vertragsverletzungen bestanden hätte? Wohl kaum. Die Frage stand aber so vermutlich überhaupt nicht im Raum, weil es den Bundeswehrverhandlern, das legt die nachfolgende Äußerung eines BMVg-Sprechers nahe, in erster Linie um einen möglichst niedrigen Einstandspreis für das Waffensystem ging, da dies den Genehmigungsprozess, nicht zuletzt den parlamentarischen, erleichterte. Dafür drückte man an anderer Stelle halt beide Augen zu. Der Sprecher sagte mit Blick auf die Zukunft: „Wir werden gegenüber den Firmen […] nicht mehr auf Haftung verzichten, nur damit am Anfang der Preis etwas gedrückt werden kann.“
Vom Transportflieger A400M steht der Bundesluftwaffe Jahre nach dem vereinbarten Liefertermin immer noch erst eine von 53 georderten Maschinen zur Verfügung. Wiederholte technische Probleme haben für Verzögerungen gesorgt. Vor allem aber hat der Hersteller EADS während der Entwicklungsphase des Projektes zahlreiche Ingenieure zum ebenfalls kriselnden Passagierflieger A380 abgezogen. Das BMVg hatte keine vertraglichen Möglichkeiten, dies zu verhindern. Der dadurch bedingte Zeitverzug hat sich auf mittlerweile vier Jahre summiert.
Apropos Zeitverzug: Rekordhalter ist der Transporthubschrauber NH90; dieser Drehflügler hat es mittlerweile auf zehn Jahre gebracht. Und billiger ist das Projekt dadurch auch nicht geworden. Die Mehrkosten liegen bei bisher über einer Milliarde Euro. Nur funktioniert der NH90 deswegen immer noch nicht unbeanstandet. Jüngst zeigte sich ein Konstruktionsfehler in der Bordelektronik, und im Einsatz fällt schon mal das Triebwerk aus. Man entwickelt schier Empathie, wenn man BMVg-Staatssekretärin Karin Suter klagen hört: „Der NH90 fliegt nicht, weil ein Knopf nicht funktioniert und weil wir 18 oder 14 Monate gebraucht haben, um rauszufinden, dass ein Knopf ein Problem ist. Das ist schmerzhaft, extrem schmerzhaft.“ Noch schmerzhafter dürfte allerdings sein, dass Experten der abgeleiteten Marineversion MH90 gar die Eignung absprechen, übers offene Meer fliegen zu dürfen.
Wegen all dem in die Verträge zu schauen, ist jedoch nicht zu empfehlen, denn deren Gesamtbild kann nur als undurchschaubar beschrieben werden. Oder im nicht ganz so verständlichen BMVg-Bürokratiesprech: Infolge der „interdependenten“ nationalen und internationalen Vereinbarungen könne „mangels einer durchgängigen Datenbank keine Transparenz und bruchfreie Bearbeitung sichergestellt werden“.
Gilt das nur für den NH90? Oder auch für das deutsch-französische Projekt Kampfhubschrauber „Tiger“? Bei dem summieren sich die nationalen und internationalen vertraglichen Vereinbarungen auf 800, wovon 100 noch in Kraft sind. Wer soll da eigentlich noch die Kontrolle behalten? Die von den besser bezahlten und höher qualifizierten Kollegen von der Industrie schon bei den Vertragsabschlüssen gnadenlos abgehängten Juristen des Bundeswehr-Beschaffungswesens? Wer das erwartet, glaubt auch an die unbefleckte Empfängnis.
Ein Fazit zum Thema hat Tobias Lindner, Verteidigungsexperte der Grünen im Bundestag, formuliert: „Wenn Firmen kaum Strafen bei Minderleistungen fürchten müssen, dann muss sich Ursula von der Leyen auch nicht wundern, dass ihr die Industrie auf der Nase rumtanzt.“
Und apropos Firmen: Der Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit und Blättchen-Autor Otfried Nassauer hat kürzlich zusammengefasst, es sei „nicht zu leugnen, dass unzureichende Entwicklungsleistungen, mangelnde Vertragstreue, zeitliche Verzögerungen und finanzielle Nachforderungen seitens der Industrie zu den wesentlichen Ursachen der Probleme im Beschaffungswesen zählen“. Umso verwunderlicher ist es, was Nassauer aus dem Bendlerblock (O-Ton von der Leyen: „[…] wir müssen auch eine neue Fehlerkultur entwickeln […].“) zu berichten wusste: „Anfang des Jahres hat ein Dialogprozess zwischen Verteidigungsministerium und wehrtechnischer Industrie begonnen, der den Reformprozess des Beschaffungswesens beratend begleiten soll. In vier Gesprächsrunden zwischen Industrie, Bundeswehr und ziviler Beschaffungsbürokratie sollen bis zum Sommer Empfehlungen erarbeitet werden, wie die Rüstungsvorhaben der Bundeswehr effizienter und erfolgreicher gestaltet werden können. Erstaunlich ist allerdings: Keine der Gesprächsrunden befasst sich mit der zentralen Frage, welche Veränderungen und Verbesserungen in der Industrie notwendig sind und welchen Beitrag die Hersteller dabei leisten könnten. […] Man hat den Eindruck, das Verteidigungsministerium erwarte von der Industrie, dass diese ihren Anteil an den Problemen selbst identifiziert und löst.“
Die Industrie zeigt jedoch, wie Nassauer konstatiert, dazu wenig bis keine Neigung, und das ist angesichts des bisherigen und – allein ob der „Beharrungskräfte der Rüstungsbüro­kratie“ (Andreas Flocken) – wohl so schnell nicht eliminierbaren Dilettantenstadls im BMVg auch künftig kaum zu erwarten.

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