17. Jahrgang | Sonderausgabe | 15. Dezember 2014

Fuhrmannssohn und Kaufhauskönig

von Alfons Markuske

Als Autor ist der langjährige Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, als Kenner deutscher Kaufhausgeschichte schon mehrfach hervorgetreten. In der Reihe „Jüdische Miniaturen“ von Hentrich & Hentrich hat er Biographien des KaDeWe-Gründers Adolf Jandorf sowie des „Hermann Tietz“ (nach 1933 HERTIE)-Gründers Oscar Tietz vorgelegt. Diesen folgt nun der Bruder des Letztgenannten, Leonhard Tietz.
Vor 135 Jahren, am 14. August 1879, legte Leonhard Tietz, der in Birnbaum an der Warthe Erstgeborene des Fuhrmanns Jakob Tietz und nunmehrige Kaufmann an der Schwelle seines vierten Lebensjahrzehnts, in Stralsund auf gerade einmal 25 Quadratmetern den Grundstein zu einem Warenhauskonzern, der unter dem Namen Galeria Kaufhof bis heute erfolgreich allen Krisen getrotzt hat. Tietz‘ Erfolgsrezept kam einer Revolution im Einzelhandel gleich: feste Preise, Barzahlung, konkurrenzlose Tiefpreise und Umtauschrecht. Jeder war willkommen, ob er nun kaufen oder nur schauen wollte. Die Kunden waren begeistert, und Tietz musste seinen Laden bald vergrößern. Bruder Oscar betrieb Mitte der 1880er Jahre gleichartige Handelsgeschäfte in Thüringen und Bayern. Mit dem namensgebenden Onkel Hermann schuf er dort die Keimzelle des späteren größten Warenhauskonzerns in Familienbesitz weltweit.
Leonhard entschied sich daher für eine andere Region als Ausgangspunkt seiner Geschäftsexpansion – für das Rheinland. 1889 startete er in der Industrie-Boomstadt Elberfeld und wagte schon 1891 den Sprung in die Großstadt Köln. Später folgten luxuriöse Konsumtempel, so an der Düsseldorfer Königsallee und in Köln, Hohe Straße – auch heute Landmarken der deutschen Handelskultur. Leonhard Tietz war als Unternehmer nicht zuletzt sozial engagiert: Einer bereits 1899 gegründeten Betriebskrankenkasse hatte er mit 5.000 Mark den Start ermöglicht; eine Personalbibliothek, einen Sportverein und ab 1911 ein Damen-Erholungsheim in der Eifel gab es ebenfalls. Und der modernen Kunst zugeneigt war dieser Tietz; so saß er Max Liebermann Modell.
Als Tietz 1914 starb, hinterließ er einen Konzern mit 5.000 Angestellten und etwa 25 Häu­sern und Niederlassungen in ganz Europa. Seine Söhne Alfred Leonhard und Gerhardt wurden 1934 von den Nazis ins Exil gezwungen. Die Firma Leonhard Tietz wurde arisiert, wie der rassistische Euphemismus für faktische Enteignung damals lautete, und firmierte ab Juli 1933 unter Westdeutsche Kaufhof AG.
1949 wurde unter der Ägide des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Abraham Frowein – „eine der letzten großen Patriarchengestalten des deutschen Wirtschafts- und Geisteslebens“ nannte ihn Die Zeit anlässlich seines Ablebens im Juli 1957 – mit den früheren jüdischen Mitinhabern eine Regelung zur „Zahlung rückständiger und laufender Gehalts- und Pensionsansprüche und 1951 eine Abfindung für das im Dritten Reich abgenötigte Aktienvermögen vereinbart. Der Kaufhof unterschied sich damit von den meisten deutschen Unternehmen mit vergleichbarer Vergangenheit. Autor Busch-Petersen resümiert: „Dem neuen Kaufhof gelang es durch einen offenen und ehrlichen Umgang mit den dunkelsten Jahren auch der eigenen Geschichte […] wieder eine glaubhafte Traditionslinie zu den Gründern und früheren Eigentümern herzustellen.“

Nils Busch-Petersen: Leonhard Tietz: Fuhrmannssohn und Warenhauskönig – von der Warthe an den Rhein, Hentrich & Hentrich, Berlin 2014, 88 Seiten, 6,90 Euro.