17. Jahrgang | Nummer 19 | 15. September 2014

Bedingt einsatzbereit. Oder: deutscher Sonderweg?

von Sarcasticus

„Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option“, hatte sie sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar in die Brust geworfen. Und wie ist sie für diesen Satz geprügelt worden, unsere Bundeswehr-Ursel. Eine Bellizistin sei sie, die die Armee in weitere, ja in mehr Auslandseinsätze schicken wolle. Trotz der Debakel in Afghanistan, im Irak, in Libyen und so weiter. Die Schelte mit befeuert hat sie allerdings auch selbst – mit nachgeschobenen Sätzen wie: „Deutschland ist geradezu verdammt dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen.“
Und nun stellt sich heraus: Das mag sie gemeint haben, wie sie will, nur militärisch ernst ganz gewiss nicht. Oder die feminophobe Herrenriege auf der Leitungsetage im Bendlerblock und ihre Entourage im bürokratischen Moloch Bundeswehr haben die Ursel auch in dieser Frage auflaufen lassen und im Casino vereinbart: Von der schnöden Realität zur Ministerin kein Wort! Es wäre ja nicht das erste Mal, seit die Dame Oberbefehlshaberin in Friedenszeiten ist.
In den Abgrund geblickt hat Ursula von der Leyen dann in diesem Sommer. Da besuchte sie zwölf Bundeswehrstandorte. Das hatte sie sich offenbar nicht ausreden lassen … So stand sie denn im Marinehafen Eckernförde vor einem Gebäude aus den 1960er Jahren, in dem früher Matrosen unterrichtet wurden. Heute ist der Bau verrottet, im Inneren steht Wasser und wachsen Bäume. Zum Unterhalt fehle das Geld, beschied man die konsternierte Ministerin, der dergleichen auch auf anderen Stationen ihrer Reise widerfuhr.
Nun schickt man Gebäude, in welchem Zustand auch immer, eher selten auf Auslandsmissionen. Euro-Fighter aber schon. Im September sollen sechs Maschinen der Bundesluftwaffe Richtung Baltikum abheben, um dort die Russen gehörig abzuschrecken. Dann stehen für die Luftverteidigung in der Heimat genau noch zwei Maschinen zur Verfügung. Der gesamte Rest des Bestandes von 109 Fliegern klebt am Boden, weil er gewartet werden muss, weil Ersatzteile fehlen und technische Mängel nicht zeitnah zu beheben sind, wie einem internen Bericht der Bundesluftwaffe vom August zu entnehmen ist.
Eine vergleichbare Versehrtentruppe bildet die Phalanx der mittelschweren Transporthubschrauber CH-53, die unter anderem dazu dienen sollen, bei Auslandsmissionen Mannschaften und Material zu transportieren. Von 67 Maschinen sind derzeit nur sieben einsatzfähig. Die Klapperkisten sind im Übrigen so alt – Erstflug: 1964 –, dass manche Ersatzteile gar nicht mehr verfügbar sind.
Das scheint beim mittleren Transporthubschrauber NH90, der auch schon seit 20 Jahren in der Luft ist, wenn er noch dort ist, ganz ähnlich zu sein. Beim NH90 ist man zur Kannibalisierung übergegangen: Maschinen werden ausgeschlachtet, damit andere wenigstens noch abheben können. Trotzdem fliegen von den 33 Exemplaren des Bestandes nur noch fünf. Was auch damit zusammenhängt, dass allenthalben qualifiziertes Fachpersonal in den Bereichen Wartung und Instandsetzung fehlt.
Nicht viel besser sieht es bei den Transportmaschinen vom Typ Transall C-160 aus, die für Luftbrücken gebraucht würden, wenn sie denn brauchbar wären. Für Mali jedenfalls hat die UNO das Angebot weiterer bundesdeutscher Maschinen abgelehnt, weil sie zu alt seien. Wenn es in Afrika dunkelt, müssen die Propeller-Flugzeuge am Boden sein, sonst … Der Erstflug der Transall war 1963. Einsatzfähig sind dem genannten Luftwaffenbericht zufolge selbst bei Tage gegenwärtig lediglich 21 von 56 Exemplaren.
Darüber hinaus plagt die Bundeswehr in allen Teilstreitkräften Nachwuchsmangel. Seit die Wirtschaft wieder boomt, ist der Dienst an der Waffen für viele junge Leute nicht einmal mehr aus finanziellen Gründen attraktiv.
Bei der Bundesmarine ist die Personalknappheit so groß, dass man froh war, dass sich die Auslieferung des fünften U-Bootes der Klasse 212A, die für Sommer geplant war, verzögert. Vizeadmiral Axel Schimpf benennt eine der Ursachen: „Wir haben früher weit mehr als 40 Prozent unseres Nachwuchses über die Wehrpflicht gewonnen.“ Daher wird auch Anfang 2015, wenn das Schiff dann tatsächlich zuläuft, kaum eine komplette Mannschaft zur Verfügung stehen. Plan B liegt aber längst bereit: Der Pott könnte an Polen verleast werden. Vizeadmiral Schimpf hat das der polnischen Marine im vergangenen Jahr jedenfalls schon angeboten. Die Chancen stehen gut, denn nach Expertenmeinung sind die bei HDW in Kiel gebauten U-Boote die modernsten konventionellen der Welt.
Als wäre all das noch nicht genug, sind auch die laufenden Großwaffenprogramme der Bundeswehr eine endlose Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen, wie Blättchen-Leser längst wissen: Ob Korvette K 130, Fregatte 125, Kampfhubschrauber Tiger, Drohne Euro Hawk oder Militär-Airbus A400M – Trauerspiele ohne Ende.

Nachbemerkung: Der Spiegel meinte jüngst, die Wurzel aller Übel erkannt zu haben: einen Wehretat von lediglich etwas über 32 Milliarden Euro pro Jahr. Das Blatt räsonierte: Wie man mit solch einem mageren Etat „Deutschland in eine Liga von Mittelmächten wie Frankreich oder Großbritannien […] führen“ wolle, bleibe das Geheimnis von Ursula von der Leyen. Selbst das kleine Dänemark gebe im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mehr für die Verteidigung aus als Deutschland.
Lieber Spiegel: Könnte es nicht auch ganz anders sein? Vielleicht verdient, was hier geschildert ist, gar nicht den Stempel dilettantisches bis kriminell-dämliches Militärmanagement, sondern einmal mehr das Etikett deutscher Sonderweg. In diesem Fall – zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung. Zwar schrittweise und klandestin und etwas teurer als die klassische Variante Verschrotten, aber dafür hat es bisher auch noch keiner bemerkt und auf die Bremse getreten! Das wäre doch genial. Sollte aber besser unter uns bleiben …