17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

„Unabhängigere Meldungen“

von Stephan Wohanka

Ich war einige Tage außerhalb Berlins; zurück, überflog ich die Beiträge im Forum… Ein Beitrag stach mir ins Auge; es ging wieder um das schon leidige Ukraine-Thema. Zu lesen ist: „Allerdings kann man so reagieren, wenn man zumindest einen kleinen Teil der Darstellungen von […] Medien für bare Münze nimmt […] Es kann ja nicht alles Lüge sein, doch, ist es. Informiert man sich nicht parallel an unabhängigeren Meldungen, so ist man verloren. […] viele Websites bringen durchaus glaubhafte Hintergrundinformationen […] (Hervorhebungen – St.W.)“. Dann sind zwei dieser Sites angegeben; die erste öffnete ich und fand gleich unter dem Stichwort „US-Söldner in südlicher Ukraine bereitgestellt“ folgenden kurzen Text: „Die NATO sollte nicht auf der Krim eingreifen, aber laut des russischen Geopolitikers, Alexandre Dugin, hat eine Tochtergesellschaft der Academi (Ex-Blackwater), Greystone Limited ihren Einsatz in der Ukraine begonnen. Die Söldner kämen gruppenweise in Zivilkleidung mit schweren Rucksäcken am Flughafen in Kiew an, von wo sie nach Odessa gesendet würden.“ Ich habe zwei Fragen: Kann eine Meldung, die sich auf Alexander Dugin beruft, eine „unabhängigere“ sein? Und: Wurde bisher schon ein US-Söldner in der Ukraine gesichtet?
Diese konkreten Fragen erzwingen regelrecht eine weitere: Kann es überhaupt „unabhängige(re) Meldungen“ geben? Wovon unabhängig? Wohl von äußeren, das heißt politischen Einflüssen zur Erzeugung gezielter Meinungsbilder. Deshalb will ich offensichtlich außengesteuerte, manipulierte, bewusst verfälschte Meldungen zur gezielten Einflussnahme sowie deren Autoren außen vor lassen… Aber darüber hinaus? „Unabhängige“ im Sinne von „objektive“ Berichterstattung, also eine nach Duden-Definition „unabhängig von einem Subjekt und dessen Bewusstsein existierende“ Berichterstattung – ginge das überhaupt?
Ich will mich eines erkenntnistheoretisch-philosophischen Paradoxons bedienen: Es gibt sogenannte entscheidbare Fragen, über deren Antworten man prinzipiell nicht (frei) entscheiden und vice versa. Die Frage etwa: Ist 987654321 durch 13 restlos teilbar oder nicht? ist eine entscheidbare Frage, deren Antwort dem Beantworter nicht „frei“ steht, denn sie folgt zwingend mathematischer Logik. Man ist dem verbindlichen mathematischen Regelwerk verpflichtet – es sei denn, man stellte sich außerhalb desselben mit der Folge, dass man für alle anderen unverständlich bliebe. So kann man Fragen häufen, die genau so schwer (oder leicht) zu beantworten sind – unter der Voraussetzung, dass ihre Entscheidbarkeit respektive Antwort an Formen, an Muster gebunden ist wie Syntax, Arithmetik, die schon erwähnte mathematische Logik oder auch andere Logiken. Die Antworten auf entscheidbare Fragen sind durch die mit der Frage ausgelösten „Regeln“ für die Beantwortung quasi „vorgeben“.
Andererseits es gibt nicht entscheidbare Fragen, über deren Beantwortung „frei“ entschieden werden kann: Gibt es Gott? ist dabei sicherlich die schwierigste; oder aber: Gibt es unabhängige Meldungen? Antworten auf derartige Fragen folgen keinen vorgegebenen, formalen Regeln oder anderen Lösungskriterien, und so gibt es eben auch keine einheitlichen Antworten! Eine(r) verneint sie, eine(r) bejaht sie… Man folgt – wie jeder andere auch – in der Antwort letztlich seinem Denken, seiner Meinung; ist auf sich gestellt.
Das ist deshalb so, weil derartige Fragen respektive Sätze weder wahre noch falsche Sätze sind; sie sind insofern gar keine Sätze! Sie haben zwar eine grammatikalisch-orthographische Struktur, sind also sprachlich-logisch, verständlich; jedoch bar jedweden Bezugs, weil nichts aus ihnen folgt, was im Prinzip „objektiv“ nachprüfbar wäre. Ihr Erkenntnisgewinn bleibt daher zweifelhaft; mehr noch, sie beziehen ihren Sinn erst daraus, dass Menschen derartige Fragen/Sätze aus ihrer Sicht beantworten beziehungsweise interpretieren.
Diese Sicht wiederum hat häufig „philosophischen“ Charakter, das heißt sie tangiert ganz fundamentale persönliche Einstellungen und Wertungen, die dem Einzelnen nicht selten überdies als nicht verhandelbar erscheinen. Damit sind wir bei der Kategorie des subjektiven Ermessens, welches wiederum durch die eigenen komplexen Lebensumstände und -geschichte determiniert ist. Daraus ergibt sich, wie ein Mensch, jeder einzelne Mensch die Welt sieht, und daher kann es prinzipiell keine einheitlichen, für alle Betrachter verbindliche Bewertungen sozialer und natürlicher Phänomene geben – auch nicht als Basis „unabhängig(er)er“ Meldungen.
Daraus folgt, dass so deklarierte Meldungen ein Etikettenschwindel sind! Wie auch anders? Sollte sich der sie Formulierende auf einmal außerhalb seiner Person stellen (können)? Wir können die Welt – die Lieferantin des Rohstoffs für jedwede Meldung – nicht voraussetzungslos, „unabhängig“ respektive „objektiv“ betrachten, weil wir schon vorher ein persönliches Bild von ihr im Kopf haben. Um es noch zugespitzter zu sagen – jeder ist eine grundlegende Ursache seines Erkennens der Welt und der Meldungen darüber.
Um nochmals auf Alexander Dugin zurückzukommen – der Mann ist geradezu das Paradebeispiel eines von seinem ideologischen Koordinatensystem determinierten Autors abhängiger Meldungen! Bei Wikipedia ist über ihn zu lesen: „Er propagiert das geopolitische Konzept eines ‚Neo-Eurasismus‘ auf der Basis eines in Opposition zu den USA stehenden großrussischen Reiches. Als Einflüsse für Dugins Ideologie gelten die (west-)europäische Neue Rechte, die Konservative Revolution, der Panrussismus […] Dugin war 1994 Mitbegründer der Nationalbolschewistischen Partei Russlands. Nachdem er diese 1998 verlassen hatte, gründete er 2002 die Eurasische Partei. […] Seit 2008 ist er Professor an der Lomonossow-Universität“. In der Welt warzu lesen, dass er „wie ein gefährlicher Verrückter“ klinge, dass er ein „rechtsradikaler Politguru“ sei.
Ob das alles so stimmt, ist nicht einmal die Frage; der Mann hat jedoch ein überaus eindeutiges, aber eben doch kein „objektives“, sondern strikt einseitiges Weltbild – was ihm überhaupt nicht vorzuwerfen ist! Jeder Mensch hat eins, vielleicht nicht immer so einseitig und mit der fanatischen Stringenz Dugins. „Unabhängig“ war und ist der sicherlich insofern, sich dieses und kein anderes Weltbild „gesucht“ zu haben. Alles, was er von sich gibt, folgt diesem Weltbild; es kann gar nicht anders sein! Eine Meldung, um auf den Anfang dieses Beitrages zurückzukommen, die sich auf den in „Opposition zu den USA“ stehenden Dugin beruft und die die USA zum Gegenstand hat, wird von all denen, die Dugins Weltsicht nicht teilen, mit gehöriger Skepsis zur Kenntnis genommen – völlig zu Recht: Als „glaubhafte Hintergrundinformation“ ist sie untauglich. Gleiches gilt – pars pro toto – für jede Meldung; es kommt immer darauf an, von wem sie stammt und wer sie liest!
Übrigens – zum 1. September ist Dugin aus der Universität geflogen.