17. Jahrgang | Nummer 11 | 26. Mai 2014

Duftsteine – Der Fall Honka

von Frank-Rainer Schurich

„Wer ins Feuer sieht, dem ist das andre dunkel“, schrieb Bettina von Arnim einmal. Wenn das Feuer dann erloschen ist, wird das andre wieder hell – was einem Serienmörder zum Verhängnis wurde.
Es begann in der Nacht vom 16. zum 17. Juli 1975 damit, dass einem Bewohner in der Zeißstraße 74 im Hamburger Stadtteil Altona der Strom abgestellt wurde. Er zündete eine Kerze an, die aber nicht nur spärliches Licht abgab, sondern die ganze Wohnung in Brand setzte. Die Feuerwehr rückte schnell an. Hohe Flammen schlugen aus den Fenstern im zweiten Stock. Darüber lag die Dachgeschosswohnung des 39 Jahre alten Nachtwächters Fritz Honka, der aber nicht zu Hause war. Um die Wohnungen und das Haus zu schützen, verschafften sich die Feuerwehrmänner auch Einlass in die Honkasche Wohnung, um nach Brandnestern zu suchen.
Ob sie Brandnester fanden, ist nicht überliefert. Aber ihnen fiel trotz des Qualmes ein übler Verwesungsgeruch auf, und sie machten grausige Entdeckungen. In Verschlägen fanden sie verweste Frauenleichen, die teilweise auch zerstückelt und mumifiziert waren. Als Fritz Honka am 17. Juli 1975 gegen 8.00 Uhr von seiner Arbeit nach Hause kam, wurde er als Tatverdächtiger umgehend festgenommen. Vier Frauen hatte er zwischen 1970 und 1975 in seiner Wohnung erwürgt oder erdrosselt. Die verstümmelten und teilweise mumifizierten Leichen verbreiteten einen entsetzlichen Verwesungsgestank, den er offenbar erfolgreich mit zahlreichen Duftsteinen bekämpfte. Denn keinem Hausbewohner war in der Zeißstraße 74 jemals ein unangenehmer Geruch aus Honkas Mansardenwohnung aufgefallen.
Der 1934 in Leipzig geborene Fritz Honka hatte als Kind und als Jugendlicher von seinen Eltern weder Liebe noch Zuneigung erfahren. Nach dem Tod seines alkoholkranken Vaters musste er ins Heim, in dem ihn die Gleichaltrigen aufgrund seines Aussehens quälten; er soll auch geschlagen und vergewaltigt worden sein. Mit 16 Jahren floh er aus der DDR nach Hamburg und hatte nach mehreren Hilfsarbeiterjobs auf dem Arbeitsmarkt großes Glück. Er verdingte sich als Hafenarbeiter und verdiente für damalige Verhältnisse recht gut. Zwei Ehen scheiterten, weil er dem Alkohol übermäßig zusprach. Als er schließlich eine Arbeitsstelle bei einer Sicherheitsfirma gefunden hatte und in die Zeißstraße gezogen war, begann seine eigentliche Geschichte.
Denn mit den Frauen hatte der sehr kleine Mann überhaupt kein Glück. Das durch einen Fahrradunfall entstellte Gesicht und sein Schielen schreckten das andere Geschlecht ab, so dass sich Fritz Honka in Kaschemmen, zum Beispiel in der Kneipe „Zum goldenen Handschuh“ nahe der Reeperbahn, herumtrieb und Prostituierte mit nach Hause nahm. Auch arme Seelen, die für fünf Mark und jede Menge Schnaps und Bier zu jeder Dienstleistung bereit waren.
Aber viele lehnten den kleinwüchsigen Mann mit den riesig großen Händen von vornherein ab, und auch die, die letztlich mit ihm gegangen waren, spotteten über ihn, vor allen Dingen dann, wenn es mit dem Sex nicht ganz klappte. Daraufhin rastete er aus und tötete die Frauen. In den polizeilichen Vernehmungen erzählte er freimütig, dass ihn die Frauen wegen seines Aussehens und seines Schielens ausgelacht hätten: „Sie haben mich beleidigt, da habe ich sie totgemacht.“
In der Gerichtsverhandlung im November 1976 gab er vor, sich an nichts erinnern zu können, und widerrief sein bei der Kriminalpolizei abgelegtes Geständnis. Anfang 1977 wurde Fritz Honka vor dem Schwurgericht Hamburg zur Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt verurteilt. Nach 15 Jahren kam er wieder frei; er wohnte unter einem anderen Namen in einem Seniorenheim an der Ostsee. Dort lebte er sehr zurückgezogen und hatte kaum Kontakt zu anderen Heimbewohnern. 1998 musste er jedoch aufgrund einer erneuten Erkrankung in die psychiatrische Klinik eingeliefert werden.
Am 19. Oktober 1998 starb der vierfache Frauenmörder Fritz Honka geistig umnachtet im Krankenhaus „Ochsenzoll“ in Hamburg, in dem er auch schon inhaftiert war, im Alter von 63 Jahren. „Ochsenzoll“ war früher die Landesirrenanstalt, und dieser Begriff wird von den Hamburgern heute noch als Synonym für „Irrenhaus“ verwendet. Mit dem Haus 18 verfügt die psychiatrische Klinik auch über einen Hochsicherheitstrakt, in dem heute noch der „Heidemörder“ Thomas Holst untergebracht ist. Der äußerlich sehr charmante Holst war, dies sei angemerkt, 1995 mit Hilfe seiner Therapeutin aus der „geschlossenen“ Psychiatrie „Ochsenzoll“ ausgebrochen. Nach drei Monaten auf der Flucht stellte sich der dreifache Mörder am 30. Dezember 1995 den Behörden.
Aber die Frage, die die Hamburger im Fall Honka damals bewegte, war: Wie lange wäre sein Morden fortgesetzt worden, wenn der Mieter unter ihm die Stromrechnung bezahlt hätte? Der Umkehrschluss ist zwar gewagt, aber er stimmt: Das Nichtbezahlen von Stromrechnungen, aus welchen Gründen auch immer, kann in hohem Maße kriminalpräventiv wirken und Menschenleben retten.