17. Jahrgang | Nummer 8 | 14. April 2014

Das Hotel Fahrenheit

von Dieter Naumann

Ein Erinnerungs- (oder Freudscher?) Fehler soll Theodor Fontane nach einer nur sieben Tage dauernden Rügen-Reise dazu verleitet haben, in „Effie Briest“ das erste größere Hotel in Sassnitz „Hotel Fahrenheit“ zu nennen – statt richtig „Zum Fahr(e)nberg“. Die Verwechslung mit der Temperatureinheit erlaubte Baron von Innstetten in dem Roman zwar das Bonmot „Die Preise hoffentlich nach Reaumur“, aber Fontane soll sich angeblich nachträglich maßlos geärgert haben.
Das so in der Literatur verewigte Hotel und die ihm später nachfolgenden Gebäude haben eine interessante Geschichte: Das Hotel „Zum Fahr(e)nberg“ entstand 1869 aus dem Eichenholz der Ladung und des Schiffskörpers einer vor Sassnitz aufgelaufenen holländischen Bark, das der clevere Bergener Malermeister Theodor Paulsdorff aufkaufte und zum Hotelbau einsetzte.
Bereits im Jahre 1872 soll das Haus über 1.000 Gäste beherbergt haben. 1880 und 1882 wurde es „durch angebaute Logierhäuser vergrößert“, berichtete Edwin Müller in seinem Führer für Badegäste und Touristen von 1886. Später kam auch eine neue Terrasse hinzu. 1884 logierte Theodor Fontane im Haus, zuvor (Juni bis August 1876) hatte Johannes Brahms dort gespeist und teilweise auch konzertiert, gewohnt hatte er dort allerdings nicht, sondern für fünfeinhalb Taler die Woche bei Zimmermeister Wagner.
In H. Dunkers Die Insel Rügen. Neuester Führer von 1888 wird das Hotel bereits als das „altrenommirte, geräumige Hôtel Fahrnberg in günstigster Lage am Walde, bestehend aus drei grossen Logirhäusern“ gepriesen, und es annoncierte im Anzeigenteil als „Paulsdorff´s Hôtel zum Fahrnberg, Besitzer H. & A. Bussian“. Jetzt sind es bereits mehr als 4.000 Gäste, die hier im Jahr logieren.
H. & A. Bussian inserieren 1889 ganzseitig in Seelig´s Führer Rügen und verweisen darauf, dass für länger bleibende Gäste „Pension eingerichtet (ist). Dieselbe besteht aus Logis und Licht und vollständiger Beköstigung, d. h. Morgens 1 Port. Caffee oder Thee mit Gebäck und Butter, zum Frühstück belegte Butterbrode, Mittags table d´hôte, eine Tasse Caffee und Abends eine beliebige Portion nach der Speisekarte“. Sonstige Getränke waren von der Pension ausgeschlossen, „das Serviren auf den Logirzimmern kostet Mittags 50 und Abends 25 Reichspfennige extra pro Couvert“. Die Pensionspreise betrugen ab 50 Mark pro Woche bei einer Person im Zimmer auf der Seeseite.
Dem Rügenschen Kreis- und Anzeigeblatt war es am 23. April 1904 – die Besitzer hatten inzwischen mehrfach gewechselt – einen Bericht wert, dass in dem großen Speisesaal des Hotels „die lebensgroßen Porträts des Kaisers und des Prinzen Heinrich von Preußen demnächst angebracht werden“. Porträtmaler H. Iser aus Stettin hatte das erste Gemälde bereits fertiggestellt, die Zeitung feierte es „infolge seiner künstlerischen Ausführung und naturgetreuen Auffassung als eine neue hervorragende künstlerische Leistung seines Schöpfers“.
Im Dampfschiffs-Fahrplan der Braeunlich-Reederei An die Ostsee via Stettin von 1910 wird die Kapazität der zwei Dependancen mit „60 Zimmern und Salons und über 100 Betten“ angegeben, bald, so auch in Prospekten und Reiseführern von 1927 und 1931, werden nur noch 34 Betten ausgewiesen. Bereits in Geuters Führer Insel Rügen … von 1923/24 findet sich der Hinweis: „Dr. Krauthammers Kindersanatorium, im früheren Hotel Fahrenberg.“ Die Hochzeit des Hotels war offenbar vorüber.
Der Grieben Reiseführer Rügen von 1935 führt das Hotel nicht mehr auf, es soll abgebrannt sein, andere Quellen berichten von Abriss oder radikalem Umbau. An seiner Stelle wird 1935/36 die Landesführerschule der NSDAP, auch Reichsschulungsburg ‚Saßnitz‘ der Deutschen Arbeitsfront (DAF) genannt, erbaut. Christian, Absolvent der Reichsschulungsburg, schreibt auf einer im März 1938 abgeschickten Karte: „Heute haben wir einen Gepäckmarsch gemacht nach Stubbenkammer. Auf dem Felsen haben wir gestanden und außen fuhr gravitätisch Panzerschiff ‚Deutschland‘ vorbei. Es war ein großartiger Anblick. Überhaupt die ganze Steilküste.“
Ab 1942 fungiert das Gebäude als Reservelazarett für Rehabilitanden, ab Mitte 1944 als Kriegs- und ab Herbst des gleichen Jahres als Schwerstkriegslazarett.
Nach dem Krieg, beginnend ab August 1945, beherbergt das Gebäude das Krankenhaus von Sassnitz, auf einer 1956 gedruckten Ansichtskarte wird es als Chirurgisch-Poliklinische Ambulanz bezeichnet.
1996 wird das Gebäude abgerissen, an seinen Standort (oberhalb der heutigen Hauptstraße) erinnern nur noch die Stützmauern des ehemaligen Plateaus. Eine 1976 angebrachte Tafel, die an den Aufenthalt von Brahms im Hotel Fahrnberg erinnerte, ist seit dieser Zeit verschwunden. Eine Tafel zur Erinnerung an den Aufenthalt Theodor Fontanes hat es wohl nie gegeben, und das ist sicher ganz im Sinne des Meisters. Wer möchte schon gern an seine Fehler erinnert werden…