17. Jahrgang | Nummer 4 | 17. Februar 2014

The Germans to the front

von Wolfgang Geier

Am 21. Juni 1900 befahl der britische Admiral Edward R. Seymor dem Kommandeur eines aus Tsingtau kommenden Vorausbataillons der deutschen Interventionsstreitkräfte im chinesischen Boxeraufstand, Kapitän zur See von Usedom: „The Germans to the front!“ Die britischen Soldaten waren in Bedrängnis geraten und die deutschen sollten sie heraushauen.
Am 27. Juli 1900 hielt Kaiser Wilhelm II. bei der Einschiffung weiterer Truppen in Bremerhaven seine berüchtigte „Hunnenrede“. Der originale Text wurde trotz Bernhard von Bülows (seinerzeit Staatssekretär des Auswärtigen , später Reichskanzler) Retuschen bekannt, weil ein Lokalreporter der Nordwestdeutschen Zeitung die Rede mitstenographiert und in dieser Zeitung veröffentlicht hatte, entgegen dem für den Reichsanzeiger frisierten und freigegebenen Text.
Als das deutsche Hauptkontingent nach Wochen auf dem „Kriegsschauplatz“ eintraf, hatten die Alliierten „die Sache bereits bereinigt“, man kam jedoch noch zeitig genug, um an den folgenden Strafexpeditionen und Massenexekutionen teilzunehmen.
Vierzehn Jahre später kämpften Deutsche und Briten gegeneinander, die einen gegen „das perfide Albion“, die anderen gegen „the damned huns“.
Nun hat ein deutsches Staatsoberhaupt beklagt, dass sich Deutschland aus internationalen Konflikten herauszuhalten versuche und der Außenminister hat nachgelegt, indem er erklärte, „Deutschland sei zu groß, um abseits stehen zu können.“ Die Regierungschefin hat wie das Staatsoberhaupt betont, natürlich werde man alle Mittel der Konfliktbewältigung und der deutschen Beteiligung daran zunächst ausschöpfen – diplomatische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische et cetera –, ehe man schließlich zu militärischen greifen müsse.
Vor Jahrhunderten stand auf den Kanonenrohren Ultima ratio regis. Das konnte man nun verschieden übersetzen und verstehen. Ultima konnte „höchste, letzte“ bedeuten – bezogen auf die Mittel und die ratio (Vernunft) des regis (Königs), wenn ihm denn diese noch zugebilligt wurde. Wie auch immer: Die mit diesem Spruch geschmückten Kanonenrohre waren zum Schießen und nicht für Entwicklungshilfe, Ausbildungsprogramme oder Brunnenbau bestimmt.
Nun also kam unisono von den Spitzen deutscher Politik die Androhung einer ultima ratio.
Es ist jene fatale, penetrante Mixtur aus Arroganz und Ignoranz, begründet durch Inkompetenz, mit der hierzulande seit Jahren Regierungspolitik „gemacht“ wird. Ihre Repräsentanten haben offenbar nichts begriffen oder wollen dies nicht: „Am Hindukusch“ sollen deutsche Demokratie und Freiheit gegen Taliban-Warlords und andere „Einmischer“ verteidigt werden. Im zentralen Afrika liefern sich Clan-Chiefs mit rassistischen und pseudoreligiösen Parolen einen Vernichtungskrieg mit ungeheuerlichen Mitteln. Dass es sich in beiden Fällen – in Afghanistan wie in Afrika – um Kriege religiöser und tribaler Todfeinde handelt und nicht um irgendwelche „Befreiungskriege“ oder „Revolutionen“, ist bisher vermutlich weder im Bundespräsidial-, noch im Bundeskanzler- oder im Außenamt wahrgenommen worden.
So künden denn die obersten Verantwortungsträger an, auch künftig und dann mehr deutsche Soldaten in Konflikt- und Krisenherde schicken zu wollen, weil „man nicht abseits stehen könne“. The Germans to the front – am Hindukusch, in Zentralafrika und wo sonst noch demnächst. Dass es sich hier um „Kriegseinsätze“ und nicht um „Entwicklungshilfe“ handelt, in denen deutsche Soldaten auch „fallen“ und nicht beim Brunnenbau einen Unfall erleiden können, wurde erst nach langem verschleiernden Gerede widerwillig eingeräumt.
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden europäische Politiker und Intellektuelle, die noch nicht von chauvinistischen Attitüden befallen und entsprechenden Parolen erlegen waren, von „alldeutschen Ausschweifungen“ und deutschen Groß- und Weltmachtansprüchen erschreckt. Ein erklärtes Ziel dieses Gedröhnes bestand bekanntlich darin, sich mit flotten- und kolonialpolitischen Drohgebärden und -handlungen in alle möglichen Konflikt- und Krisenherde der Welt „friedensstiftend“ einzumischen, gemäß dem schrecklichen Fazit in Emanuel Geibels „Deutschlands Beruf“:
„Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen.“
Bisher waren großmachtpolitische Kraftmeiereien „Männersache“. Nun haben sich Frauen dieser Domäne bemächtigt: eine Regierungschefin und eine Verteidigungsministerin. Die eine hat schon früher mit „weltpolitischen Missionen“ geliebäugelt, die andere hat das gerade schnell gelernt. Das Staatsoberhaupt hat dazu seinen Segen gegeben, ein ostdeutscher früherer Pfarrer, dem – „Gott behüte“ – nichts anderes einfiel, als auf einer Tagung vor so genannten Sicherheitsexperten in München eben die ultima ratio zuschwören, „wenn denn alle anderen Mittel versagen und man nicht abseits stehen“ könne: So sinngemäß seine Predigt an die versammelte Gemeinde. Von Jesus ist in der Sache bekanntlich anderes überliefert: „Steck dein Schwert an seinen Ort! Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“ (Zürcher Bibel, Matthäus 26, 52)