17. Jahrgang | Nummer 2 | 20. Januar 2014

Märkische Bierspuren

von Andreas Dahms

Das Traditionsgetränk in Japan ist weltbekannt – Sake. Angenehm berauschend hielt Sake viele Jahrhunderte seine Vormachtstellung. Mitte des 17. Jahrhunderts bekamen die Japaner durch einen Holländer den ersten Kontakt zu einem ihnen unbekannten Getränk – Bier. Es war sehr bitter und so blieb der „Ruf des Bieres“ erst einmal schlecht. Der Siegeszug musste noch 200 Jahre auf sich warten lassen; aber dann! Anfang des 20. Jahrhunderts (in der frühen „Sho-wa-Zeit“) war der Sakekonsum nur noch ein Viertel im Vergleich zum japanischen Bierverbrauch. Spannende Frage: Was veränderte die Trinkgewohnheiten der traditionsbewussten Japaner? Und dazu eine überraschende Erklärung, warum eine brandenburgische Kleinstadt als eine wichtige Quelle für japanisches Bier gelten kann.
Das ist die Geschichte von Nakagawa Seibei (1848-1916), der die deutsche Braukunst aus dem brandenburgischen Fürstenwalde ins heimatliche Japan zu holen verstand. Das von Seibai seinerzeit gegründete Unternehmen „Sapporo Breweries“ gehört auch heute zu den „big four“ der wichtigsten Bierbrauereien in Japan.
Fürstenwalde, indessen über 730 Jahre alt, war ein vielschichtiger Industriestandort und hat seit dem Mittelalter große Biertradition. Eine Karte von 1723 zeigt an, dass 80 Prozent der Bevölkerung in Fürstenwalde Besitzer des Brauereirechts waren. Bei so viel Betätigung auf diesem Gebiet ließen Turbulenzen zwischen „Mitbewerbern“ nicht lange auf sich warten. So kam es zum Beispiel zu Überschneidungen bei der Interpretation der Belieferungszuständigkeiten. Im Zuge dessen wurde der Steinhöfler Gastwirt „gehangen“, weil er Fürstenwalder Bier ausschenkte, aber Müncheberger Bier hätte ausschenken müssen. Solche „Unruhen“ gehörten zum Alltag.
Ende des 19. Jahrhunderts zerstörte die sprunghafte Industrialisierung in Deutschland die so vielfältige Biertradition der Stadt. Sprich: Das Wolfsgesetz beim Siegeszug des Kapitalismus wirkte. So kauften die noch größeren Firmen Berlins die Fürstenwalder Firmen Stück um Stück auf. Bei der großen Berliner Braufirma „Tivoli“ wurde Fürstenwalde so eine kleine, aber nicht unbedeutende Dependance, die später durch die Geschichte unseres Japaners sogar eine „ weltumspannende“ Dimension bekam.
Im Stadtmuseum gibt es ein zeitgenössisches Porträtfoto von unserem jungen Japaner Nakagawa mit einem typisch preußischen Schnauzbart. Er ist Spross einer Kaufmannsfamilie aus dem Städtchen Yoita in der Präfektur Niigata. Als Achtzehnjähriger verlässt er seine Heimat und begibt sich nach Europa.
Die ersten Jahre verbringt er wahrscheinlich in England. 1872 reist er über Bremerhaven in Deutschland ein. Nakagawa kommt nach Berlin, wo ein Mitarbeiter der japanischen Botschaft ihn an die „TIVOLI-Brauereigesellschaft“ als Lehrling vermittelt. Diese für Japan später so wichtige Empfehlung sprach kein Geringerer als Aoki Shuzo (1844 bis 1914) aus, der spätere langjährige japanische Außenminister.
Um das Handwerk der Malzerei und Brauerei zu erlernen, wird Nakagawa an die renommierte Zweigniederlassung der „TIVOLI-Brauereigesellschaft“ geschickt – ihre Brauerei in Fürstenwalde. Bier, das bei „Tivoli“ Fürstenwalde entsteht, ist „Exportmeister“. Im Jahr 1876 erhält das Tivolibier bei der Weltausstellung in Philadelphia die große Preismedaille. Am 1. Mai 1875 wurde dem Brauereilehrling, der sich als eine Art Zauberlehrling erwies, sein Meisterbrief mit folgendem Text übergeben: „ … sich in der Zeit vom 7. März 1873 bis heute mit lebhaftem Interesse, Eifer und Fleiß dem Studium der Brauerei und Mälzerei gewidmet und sich nach allen Richtungen hin ausgezeichnete Kenntnisse erworben, so daß er das Ziel, welches er mit seiner Reise nach Europa erstrebte, im vollsten Maße erreicht hat …“
Den Sommer 1875 verbrachte Seibei noch in Berlin. Der nun als solcher ausgewiesene Brauereimeister bekam ein karriereträchtiges Angebot von „TIVOLI“, aber er lehnte ab, um zurückzukehren. Zum Abschied in der japanischen Botschaft erhielt er vom oben genannten späteren japanischen Außenminister ein Empfehlungsschreiben für das Entwicklungsamt in Hokkaido: „Künftig werden auch die Japaner gern Bier trinken. Bier ist nahrhafter als Sake, daher sind Brauereiunternehmen, die der Volksgesundheit nutzen und überdies ein Mittel sind zur Ausschaltung alkoholischer Getränke wie Sake, die einem den Verstand verwirren, zu fördern.“
In Hokkaido gibt es bereits Pläne zur Modernisierung und zum Ausbau der Landwirtschaft. Seibei Nakagawa gründet dort 1876 eine „Bierbraustätte des Entwicklungsamtes Hokkaido“. Begünstigend sind die natürlichen Bedingungen, die nördliche Lage ist nicht nur für den Reisanbau ideal, sondern auch für Weizen, Roggen und Gerste. Es gibt auf Hokkaido selbst wilden Hopfen. Damit hat Nakagawa Seibei alles beisammen, um aus landeseigenen Rohstoffen ein gutes Bier zu brauen.
Und genau das macht er dann auch. Unter dem Markenzeichen des fünfzackigen Nordsterns, einem Symbol Hokkaidos, braut er ein untergäriges Bier nach deutscher Brauweise. Sein Bier tritt seinen Siegeszug bis nach Tokyo an, wo es bereits 1877 vertrieben wird. Nur zwei Jahre sind seit dem Weggang Seibeis aus Fürstenwalde vergangen. Eine schnelle Entwicklung, die ihren vorläufigen Höhepunkt 1886 findet. Es wird das staatliche Unternehmen „Sapporo Brauerei Aktiengesellschaft“ gegründet.
Noch fünf Jahre arbeitet Seibei im Unternehmen; als Dreiundvierzigjähriger scheidet er dann aber aus und zieht sich in die Hafenstadt Otaru zurück, wo er bis 1898 einen Gasthof betreibt. Seinen Lebensabend verbringt er bei seinem ältesten Sohn Makoto in Nagoya. Auch wenn Seibei Nakagawa offenbar ins Abseits gedrängt wurde: Seine Verdienste bleiben. Nach seiner Braukunst entstehen bedeutende Brauereistandorte in Tokyo, Yokohama, Osaka und Kyoto.
Und dabei hat also deutsche Braukunst der japanischen Antrieb, zugleich auch eine andere Geschmacksrichtung gegeben. Die im Märkischen angeeigneten Kenntnisse von Seibei Nakagawa haben dazu beigetragen, die Hauptgeschmacksrichtung der japanischen Biere dem Pilsenertyp anzunähern; die zunächst vorherrschende angloamerikanische Geschmacksrichtung wurde zurückgedrängt. Und damit – aufgepasst, Deutschland, noch ein Grund mehr auf uns stolz zu sein –: „Fürstenwalde ist dabei gewesen!“