16. Jahrgang | Nummer 23 | 11. November 2013

Rheinsberg mit Tucholsky

von Thomas Zimmermann

Mit Rheinsberg fing alles an: Kurt Tucholskys literarischer Erfolg – bis 1933 erschien sein in dem märkischen Städtchen verortetes „Bilderbuch für Verliebte“ in 100.000 Exemplaren – so auflagenstark wie kein anderes Buch von „Tucho“. Der Zwiespalt, in den der adelsaffine  Republikaner geriet, wenn er in „Rheinsberg“ und zwanzig Jahre später in „Schloss Gripsholm“ altehrwürdige Aristokratensitze ganz selbstvergessen romantisierte. Der Zwiespalt auch, in dem sein Werk verharrt, das von der Masse so selektiv wahrgenommen wird, dass Tucholsky heute (im Allgemeinen, wohlgemerkt!) mehr als erotisierender Unterhaltungsschriftsteller denn als scharfzüngiger Satiriker gilt. „Rheinsberg“ vor den „Träumereien an preußischen Kaminen“, „Schloss Gripsholm“ vor „Lerne lachen ohne zu weinen“, Liebeslyrik vor den bissigen Couplets.
Und mit Rheinsberg endet es auch. Hier wird im deutschlandweit einzigen Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum der unbequeme Schriftsteller touristen- und massenkompatibel getrimmt. Oder umgedreht: Rheinsberg weiß sich trotz idyllischer Lage zwischen Ruppiner Schweiz und Mecklenburger Seenplatte mit seinem Preußenprinz Heinrich historisch so überschaubar und unspektakulär verortet, dass man hier nur zu gern – wie überall in Preußen – auf Heinrichs königlichen Bruder Friedrich II., – wie überall im Ruppiner Land – auf Fontane und eben Tucholsky zurückgreift: Tucholsky-Straße, Restaurant Tucholsky, Tucholsky-Buchhandlung – und ein Museum, das gut und gern in einem der kleineren Räume des hiesigen Schlosses Platz findet. Würde Tucholsky heute leben und Hartz IV beziehen, stünde ihm mehr Wohnfläche zu.
Im Eingangsbereich die Kasse: Bildung kostet, trotz einer Kurtaxe von täglich 90 Cent, die von einer halben Million Besucher alljährlich entrichtet wird und nicht zuletzt auch dem Museum zugutekommt. Bildung kostet in Rheinsberg also dreifach: Steuern, Taxe, Eintritt. Aber was soll’s? Ist es woanders anders? Auch hier dreht sich erst einmal alles um Preis und Käuflichkeit. So ist fast jedes erdenkliche Portrait von Tucholsky  als Postkarte zu haben (der Pfeife-Raucher von 1928 fehlt komischerweise), stets versehen mit einem allgemeingültigen und deshalb zeitlosen Sinnspruch aus Peter Panters oder Ignaz Wrobels Feder. „Rheinsberg“ liegt gleich in fünf Ausführungen aus, dazu der passende Wein, zweierlei Hörspiel – und der Rest von Tucholskys Werk – in der neuen, aber unglaublich unästhetischen Rowohlt-Ausgabe.
Dann der Ausstellungsraum selbst: Zeittafeln mit Fotografien unterlegt, eine namenlose Schreibmaschine hält ein Kästner(!)-Gedicht… Zusammenhangslos die zeitgenössischen Bücher, die gezeigt werden. Tucholskys Titel dabei alles andere als vollständig.
Insgesamt heißt es mehr: Wer, was, wann, wo als wieso, weshalb, warum. So tauchen Tucholskys Pseudonyme unvermittelt und ganz zufällig auf. Seine Frauen auch. Und der letzte Eintrag im nüchternen Zeitstrahl lautet schlicht: „Veronal?“ Das kann Wikipedia auch (im Satz und preiswerter).
Den sanften Höhepunkt der flachen Ausstellung bildet Tucholskys letzter Schreibtisch nebst drehbarem Bücherregal. Ob schon im schwedischen Exil seine Gesamtausgabe darin stand ist zumindest fraglich und trübt die Authentizität. Aber die Leere des Tischs wirkt. Vor allem auf jene, die um Tucholskys Schweigen wissen. Alle anderen dürfen raten und dumm aus der Wäsche staunen, denn das Museum springt nicht in die Bildungslücken ein.
Die finale Pointe bleibt aus. Nicht einmal die putzige Geschichte um den Schnapsladen, den Tucholsky extra für den Verkauf von „Rheinsberg“ eröffnete, wird hier erwähnt (Wir sind ja auch nur in Rheinsberg!). Auch nicht, dass dieser sein erster Roman einem Autokennzeichen gewidmet war, dass dahinter (natürlich) eine Dame versteckt wurde. Oder war das „Schloß Gripsholm“? Waren es drei Frauen bei „Rheinsberg“? Ja, ich denke schon … Das Museum schweigt dazu.
Eine andere Dame steht in dem kleinen Museumsshop zwischen Tucholsky-Wein und Postkartenständer. „Ich weiß gar nicht, was ich mitnehmen soll“, seufzt sie ihre Begleitung an.
Dasselbe ließe sich ganz treffend auch über die Ausstellung sagen.