16. Jahrgang | Nummer 17 | 19. August 2013

„… sauft euch satt in Blut!“

von Wolfgang Brauer

Ende August brechen für die sächsischen und brandenburgischen Rehe und Hasen bis Mitte Oktober unruhige Zeiten an. Auf Stoppelfeldern und Brachen werden sich hunderte bunt uniformierte Mittfünfziger tummeln und unter der martialischen Begleitung von Trommeln und Pfeifen und Hörnern wild in der Gegend herumballern: mit original nachgebauten Vorderladern und echten nachgebauten Kanonen und Mörsern. Tagsüber wird man ein gutes Dutzend echter Schlachten nachstellen. Wie damals in der Heldenzeit kocht das Ganze langsam hoch – bis es dann vom 16. bis zum 19. Oktober in Leipzig zum showdown kommen wird. Das große Gemetzel der Völkerschlacht wird gebührend gewürdigt werden.
Gemetzel: In jenen vier Tagen des Herbstes 1813 verloren etwa 126.000, nach manchen Quellen 163.600 Soldaten ihr Leben oder wurden verwundet, was angesichts der damaligen Zustände in der Militärmedizin in der Mehrzahl der Fälle den Tod bedeutete. All das nun wird gebührend gefeiert werden mit Schlachtenspiel und Biwak. Und am Abend, wenn die Biwakfeuer lodern und das Bier in Strömen fließt, wird man fröhlich sein und singen. Und unter Garantie wird ein Lied des sächsischen Komponisten Carl Maria von Weber erschallen – wohlgemerkt, Sachsen war mit Napoleon verbündet; die sächsischen Truppen liefen erst während der Leipziger Schlacht zu den Verbündeten über und ihr König wanderte anschließend in die preußische Kriegsgefangenschaft, allerdings recht komfortabel in das Schloss Friedrichsfelde bei Berlin: „Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein? / Hör’s näher und näher brausen. / Es zieht sich herunter in düsteren Reih’n / Und gellende Hörner schallen darein / Und erfüllen die Seele mit Grausen. / Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: / Das ist Lützows wilde verwegene Jagd.“
Sie kennen die Weise, sie kennen den Text. Der martialische, dank Webers kongenialer Vertonung, äußerst wirkungsvolle Sechs-Strophen-Gesang gehört seit fast 200 Jahren zum Standardrepertoire deutscher Männerchöre. Die meisten werden den Verfasser nicht mehr kennen. Es wurde vor ebenfalls 200 Jahren von einem jungen Mann namens Theodor Körner geschrieben. Der starb mit 22 Jahren am 26. August 1813 in der Nähe von Gadebusch. Körner gehörte zu den „schwarzen Gesellen“. Im März 1813 trat er in das Freikorps des Majors Adolf von Lützow ein, dessen Aufgabe es war, gemeinsam mit russischen Kosakeneinheiten gleichsam „hinter den Linien“ für Verwirrung unter den napoleonischen Truppen zu sorgen, deren Nachschub zu schädigen und analog dem gescheiterten Beispiel Ferdinand von Schills den Volksaufstand anzustacheln: „Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen!“ Unter Historikern ist der militärische Nutzen der marodierenden Truppe von Lützows umstritten. Immerhin gelang es Körner, der rasch zum Adjutanten des Chefs avancierte, im Frühjahr 1813 dem Gestüt Wendelstein bei Memleben an der Unstrut die Pferde zu rauben. Für das Gestüt bedeutete es das Ende. Pferdeliebhaber bedauern dies heute noch.
Als Theodor Körners in das Lützowsche Korps eintrat, war er schon ein recht bekannter Dichter und Hausautor am Wiener Burgtheater. Der Vater Christian Gottfried war sächsischer Konsistorialrat und Freund und Förderer Friedrich Schillers. Körner senior haben wir Schillers Lied „An die Freude“ zu verdanken. Körner junior verdankte Schiller das Pathos seiner Gedichte und Stücke. „Stirb, wackres Volk, für Gott und Vaterland!“ – mit dieser Aufforderung stürzt sich sein Dramentitelheld Zriny (1812) in den Tod, und dessen Gattin Eva jagt mittels brennender Fackel die ungarische Festung Sigeth in die Luft, um sie nicht dem Barbaren Soliman, in dem unschwer der „Wütrich“ (Körner) Napoleon zu erkennen ist, zu überlassen. Dann lieber der Opfertod: „der Tod heißt ewig leben!“ Dieser Grundton einer fast pathologischen Todessehnsucht bestimmt auch die Gedichte, die Körner in der Zeit seines Jäger-Daseins schrieb. Der sollte im 20. Jahrhundert noch einmal in Mode kommen. Gottfried Körner gab die Gedichte postum 1814 in der Nicolaischen Buchhandlung zu Berlin unter dem Titel „Leyer und Schwerdt“ heraus.
Diese schmale Sammlung ist es auch, die zu des Autoren Nachwirkung und zum Entstehen des Mythos’ „Lützower Jäger“ (die in der Mehrzahl aus Infanterie bestanden…) den entscheidenden Beitrag leistete. Die Gedichte sind von ergreifender Schlichtheit. Körner beherrschte perfekt das Handwerk, Lieder mit eingängigem Versmaß und leicht einprägsamen Bildern zu schmieden. Viele entstanden im Parodieverfahren. Das „Lied der schwarzen Jäger“ (das ist nicht die „wilde verwegene Jagd“!) schrieb er auf die damals bekannte Weise „Am Rhein, am Rhein“. Die Texte konnten also, mehrfach abgeschrieben, noch am Abend ihrer Entstehung am Biwakfeuer gesungen werden: „Gebt kein Pardon! Könnt ihr das Schwert nicht heben, / So würgt sie ohne Scheu, / Und hoch verkauft den letzten Tropfen Leben! / Der Tod macht alle frei. // Noch trauern wir im schwarzen Rächerkleide / Um den gestorbenen Mut. / Doch fragt man euch, was dieses Rot bedeute: Das deutet Frankenblut.“ Pardon wird nicht gegeben heißt: Gefangene werden nicht gemacht. Das kennen wir doch…
Das „schwarze Rächerkleid“ hatte allerdings eine entschieden ideologiefreiere Ursache: Die zusammengestotterten oder aus Beutetuch geschneiderten Uniformteile des Freikorps ließen sich am einfachsten durch Schwarzfärbung auf eine einheitliche „Waffenfarbe“ bringen. Das mit dem Rot allerdings, das trifft es. Das war nicht der Zeitgeist, das war der Geist, den fanatische Poeten und Universitätsprofessoren wie Fichte und Arndt der deutschen Jugend einzubläuen suchten. Ernst Moritz Arndt prägte das böse Wort vom „Franzosenungeziefer“ in seinem „Letztes Wort an die Deutschen, gesprochen im Herbst 1808“. Zum poetischen Ausfluss dieses Ungeistes nur zwei Beispiele. 1809 verfasste Heinrich von Kleist das Gedicht „Germania an ihre Kinder“: „Alles, was ihr Fuß betreten, / Färbt mit ihren Knochen weiß, / Welchen Rab und Fuchs verschmähten, / Gebet ihn den Fischen preis, / Dämmt den Rhein mit ihren Leichen, / Laßt, gestäuft von ihrem Bein, / Ihn um Pfalz und Trier weichen, / Und ihn dann die Grenze sein!“
Arndt selbst schmetterte 1813: „Das ist des Deutschen Vaterland, / Wo Zorn vertilgt den welschen Tand, / Wo jeder Franzmann heißet Feind, / Wo jeder Deutsche heißet Freund – / Das soll es sein! / Das ganze Deutschland soll es sein!“ In dieses Horn blies auch Theodor Körner. Und er toppte das noch. Selbst Vater Gottfried muss stellenweise darüber erschrocken gewesen sein, was Junior da verzapft hatte. Das „Lied von der Rache“ nahm er nicht in „Leyer und Schwerdt“ auf. In der von der Mutter betreuten Werkausgabe findet es sich: „Sühnt Blut mit Blut! – Was Waffen trägt, schlagt nieder! / ’s ist alles Schurkenbrut! / Denkt unsres Schwurs, denkt der verratnen Brüder /Und sauft euch satt in Blut! […] Gott ist mit uns! – Der Hölle Nebel weichen; / Hinauf, du Stern, hinauf! / Wir türmen dir die Hügel ihrer Leichen / Zur Pyramide auf. // Dann brennt sie an! – und streut es in die Lüfte, / Was nicht die Flamme fraß, / Damit kein Grab das deutsche Land vergifte / Mit überrhein’schem Aas!“
Das muss man nicht kommentieren. Mit diesem Poeten – nicht auszudenken, wozu Kleist noch fähig gewesen wäre, hätte er sich nicht erschossen – hielt der Völkerhass Einzug in die deutsche Poesie. Er steht am Anfang einer Dichtung, die die Nation als identitätsstiftenden Wert an sich, nur durch rigorose Abgrenzung zu anderen definiert, postulierte. Es ist nur ein schwacher Trost, dass Theodor Körner nicht der Einzige war, der dieser Krankheit verfallen war. Er war der am nachhaltigsten Wirkende, weit in das 20. Jahrhundert hinein. Durch Veit Harlans Durchhaltefilm „Kolberg“ (1945) zieht sich leitmotivisch der Anfangsvers von Körners „Männer und Buben“: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los.“ Der Volkssturm sozusagen. Ein Blick auf diverse rechtsextreme Internetseiten zeigt, dass nicht nur dieser Geist noch fruchtbar ist, auch diese Art Poesie scheint durchaus noch wirkungsträchtig zu sein. Es sind nicht nur fröhlich-unbedarfte Uniformnarren, die sich im Spätsommer auf den im wahrsten Sinne des Wortes einst blutgetränkten Feldern tummeln werden: „Du Schwert an meiner Linken, / Was soll dein heitres Blinken? / Schaust mich so freundlich an, / Hab’ meine Freude dran, / Hurra!“
Es ging selbst damals anders. Auch Johann Gottlieb Seume verlangten patriotische Freunde Lieder gegen Bonaparte ab. Seume billigte dem durchaus „böse Absichten“ zu. Aber: „Wo man den Landmann als Halbsklaven und den kleinen Bürger als Lasttier ansieht und behandelt, da habe ich weder etwas zu sprechen noch zu singen.“ Blutsauger blieb für ihn Blutsauger – egal, ob deutscher oder „fränkischer“ Zunge. Für so etwas trägt man seine Haut nicht zu Markte.