16. Jahrgang | Nummer 8 | 15. April 2013

Braucht Europa neue nuklearfähige Träger?

von Katarzyna Kubiak

Der auf dem NATO-Gipfel im Mai 2012 verabschiedete Bericht über das künftige Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv betont die Entscheidung der Allianz, alle Elemente der kollektiven, nuklearen Abschreckung „zuverlässig, sicher und effektiv“ zu halten. Damit sind die in Europa stationierte amerikanische thermonukleare Gravitationsbombe vom Typ B61 und die Trägersysteme der einzelnen NATO-Mitglieder gemeint, welche eine Rolle in der nuklearen Abschreckungsstrategie spielen.
Schätzungsweise sind heute in Europa insgesamt 180-200 amerikanische Nuklearbomben in fünf nichtnuklearen NATO Staaten stationiert – in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und in der Türkei. Die technische Dimension der sogenannten nuklearen Teilhabe dieser Staaten besteht aus nationalen Flugzeugen und Piloten, welche den Einsatz von Nuklearwaffen üben. Die politische Dimension umfasst ein Mitspracherecht in der Nuklearstrategie, in Sachen Stationierung und Einsatzplanung.
Die B61 soll im Zuge einer Modernisierung (mit der Versionsbezeichnung B61-12), wie es im Expertenkreis genannt wird, oder einer Lebensdauerverlängerung, wie es die Offiziellen gerne nennen, bis 2050 weiterhin im Dienst bleiben (mehr dazu in Blättchen Nr. 17/2011). Die Verantwortlichkeit für die Bereitstellung von entsprechenden Trägersystemen liegt bei den Stationierungsstaaten.
Da laut dem NATO Bericht „das Dispositiv der nuklearen Kräfte des Bündnisses gegenwärtig die Kriterien eines wirksamen Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs“ erfüllt, sind jegliche Pläne zu dessen Modernisierung fragwürdig – auch der Kauf neuer und die Aufrüstung der heutzutage eingesetzten nuklearfähigen Trägersysteme.
Für die in Europa stationierten B61 werden derzeit drei Modelle taktischer Jagdbomber eingesetzt –F-15E Strike Eagle, F-16 Fighting Falcon und PA-200 Tornado. Die meisten dieser Jagdbomber sollen bald aus Altersgründen ersetzt werden.
Niederländische, belgische, türkische und die in Italien stationierten amerikanischen Piloten nutzen das Modell F-16. Die Niederlande und die Türkei wollen dieses zukünftig durch das nuklearfähige Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug F-35A Lightning Fighter (besser als Joint Strike Fighter, JSF, bekannt) in seiner konventionellen und nuklearen Rolle ersetzten. Keines der Länder hat jedoch bisher eine Festbestellung vorgenommen.
Der JSF kann rein technisch zur Ausweitung der Zielplanung der B61-12 beitragen. Er kann – versionsabhängig – viel tiefer in das gegnerische Hinterland eindringen und ist durch seine Tarnkappentechnik schwer zu orten. Das Flugzeug ist mit einem Stückpreis von ungefähr 130 Millionen Dollar kein Schnäppchen. Dazu kommt noch ein erheblicher Zeitverzug in der Entwicklung. Die Auslieferung war ursprünglich für 2007 vorgesehen. Der JSF wird jedoch mindestens bis 2016 in der Erprobungsphase sein. Wann die Auslieferung tatsächlich stattfindet ist bisher unklar.Dem Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten zufolge werden alle JSFs die nukleare Fähigkeit 2020 im Rahmen eines sogenannten Block IV Upgrade bekommen.
Die Verzögerung bei dem JSF könnte Konsequenzen für die nukleare Teilhabe haben. Bis der F-35 vom Fließband rollt, müssen die vorhandenen Jagdbomber der Alliierten durchhalten. Die B61-12 soll voraussichtlich ab 2022 in den fünf NATO Ländern eintreffen. Um die digitale B61-12 mit der analogen Elektronik der F-15 und F-16 kompatibel zu gestalten, müssen Lebensdauerverlängerungsprogramme und teilweise Umrüstung vorgenommen werden.
Die Türkei und die USA wollen ihre F-16 einer Überbrückungsaufrüstung unterziehen. Das gleiche Prozedere wäre wahrscheinlich auch für die niederländischen und belgischen F-16 erforderlich, doch haben sich die beiden Länder noch nicht dazu entschieden. Belgien hat als einziges Land noch nicht beschlossen, welches neue Modell gekauft werden soll. Seine F-16 laufen um 2020 aus.
Die Niederlande testet schon zwei F-35. Bis Ende 2013 soll sich das niederländische Verteidigungsministerium für eine neue Beschaffungsplanung entscheiden. Wenn man jedoch in Betracht zieht, dass der 2012 gewählte Außenminister Frans Timmermans noch in seinem Abgeordneten-Sessel kein Freund der nuklearen Teilhabe war und das niederländische Parlament im Dezember 2012 die Regierung aufgerufen hat, die Abschaffung der B61 aus den Niederlanden als „hartes Ziel“ voranzutreiben, steht die niederländische Beteiligung an der nuklearen Teilhabe in Frage. In Kürze sollten wir erfahren, ob und wie Timmermans seine anti-nukleare Haltung im Ministersessel fortführen möchte und ob er dafür eine entsprechende Unterstützung im Verteidigungsministerium hat.
Das deutsche Mehrkampfflugzeug Tornado wird derzeit durch deutsche, wie auch italienische Piloten genutzt. Italien will den Tornado durch den JSF ersetzen. Deutschland ist bisher das einzige Land, auf dessen Boden amerikanische Atomwaffen stationiert sind, das sich nicht für das amerikanische Nachfolgemodell entschieden hat. Das heißt, wenn der Tornado außer Dienst gestellt wird, hätte Deutschland kein nuklearfähiges Kampfflugzeug und müsste aus der operativen nuklearen Teilhabe ausscheiden.
Laut Bundesluftwaffe könnte der Tornado mindestens bis 2025 eingesetzt werden. Der genaue Zeitpunkt einer Außerdienststellung wurde noch nicht festgelegt. Nach dem „Realisierungsplan für die Einnahme der Luftwaffenstruktur“ von Juni 2012 bleiben 44 PA-200 weiterhin auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel für die nukleare Teilhabe stationiert. Diese müssten für die digitale B61-12 angepasst werden, wenn Deutschland weiterhin aktiv an der operativen Mission partizipieren will. Theoretisch ist es möglich, in einer Generalüberholung ganze Baugruppen und Systeme auszutauschen, um die Lebensdauer eines Trägers zu verlängern. Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit zufolge wurde allerdings eine Nutzungsdauerverlängerung „bisher weder unter technischen noch unter Kostengesichtspunkten untersucht“.
Die restlichen Tornados der Bundesluftwaffe werden durch den Eurofigher Typhoon ersetzt, der nicht als nukleares Trägersystem konzipiert und zertifiziert wurde – unter anderem weil dies den USA ermöglicht hätte, Zugang zu den technischen Details des Flugzeuges zu erhalten. Das war aber nicht von allen Eurofighter-Partnerländern erwünscht.
In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD zur deutschen nuklearen Abrüstungspolitik von Februar 2012 hieß es, dass die Frage einer Zertifizierung neuer nuklearfähiger Trägersysteme sich derzeit nicht stelle. Der Eurofighter sei in keiner seiner Versionen als Träger von Nuklearwaffen ausgelegt.
Inzwischen versucht das Auswärtige Amt, Moskau in ein Gespräch über Maßnahmen der Vertrauens- und Sicherheitsbildung zu involvieren, welche „den Weg für deutliche Reduzierungen“ der vorwärts stationierten B61 ebnen könnten.
Die Frage ist nicht zuletzt, wie viel NATO Mitgliedstaaten für „eine politische Bombe“ und für deren Trägersysteme zahlen wollen. Laut einem Bericht des amerikanischen Rechnungshofes von Mai 2011 gibt es nämlich für die B61 keine identifizierten Zielobjekte. Und da es sich bei den Trägern um Mehrzweckflugzeuge handelt, sind diese für die Mitgliedstaaten zwar konventionell insgesamt unentbehrlich – aber für die nuklearwaffenfähigen Versionen gilt das nicht unbedingt.
Da sich die Allianz zugleich dazu bekennt, der Abrüstung eine „wichtige Rolle beim Erreichen der sicherheitspolitischen Ziele“ beizumessen, erscheint das gesamte Modernisierungsvorhaben fragwürdig. Es zementiert die Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe und unterläuft die erklärte Absicht, die Abrüstung zu fördern. Darüber hinaus steht es zu der Deklaration der Allianz, „die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen“, im Widerspruch.
Die Diskrepanz zwischen dem Modernisierungsvorhaben und den deklaratorischen Aussagen wird sich zweifellos auf das Image der Allianz auf der globalen Ebene negativ auswirken. NATO muss daher mit einem Verlust an internationaler Glaubwürdigkeit rechnen. Wenn die Allianz wirklich einen Abrüstungskurs ansteuern will, wäre dies der richtige Moment, eine solche Entscheidung politisch durchzusetzen und auf Modernisierungsvorhaben im Hinblick auf taktische Kernwaffen und ihre Trägersysteme zu verzichten. Ein Deutschland, das es bei dem nichtnuklearfähigen Eurofighter belassen würde, ohne den Tornado zu modernisieren, könnte ein nachahmungswürdiges Beispiel liefern.

Katarzyna Kubiak studierte Internationale Wirtschaftliche Beziehungen an der Universität Lodz in Polen und absolvierte den Postgraduiertenstudiengang Master of Peace and Security Studies der Universität Hamburg. Seit Februar 2011 ist sie Doktorandin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg (IFSH).