16. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2013

Nachruf auf einen ganz, ganz Großen

von Werner Richter

Nein, nein, er lebt noch, vermute ich zumindest. Aber er verschied aus seiner, der jetzigen Gesellschaft lebensnotwendigen Funktion des überragenden zeitgenössischen Historikers, zumindest des ZDF. Ob er, vor allem mit seinen treuherzig blickenden Unschuldsaugen, die zugleich Allwissenheit befürchten ließen, gottähnlich, je zu ersetzen sein wird, ist ungewiss (Hat er vielleicht einen identischen Nachfolger zu Hause rumstehen?). Für den Fall, dass nicht ein Rücktritt vom Rücktritt kalkuliert ist, könnten jetzt ungeahnte Dividende seines Werkes, zwar nicht mehr live, aber in Aufzeichnungen mit höchster Effektivität eingefahren werden. Die lästige Arbeit für neue Sendungen entfiele. Das geschieht sowieso, spätestens, für den Fall des Nichtrücktritts vom Rücktritt, am ersten Jahrestag des Rücktrittes. Beide Fälle wären ein Gewinn, nur unterschieden vom konkreten Aufwand. Fragt sich allerdings, Gewinn für wen.
In mein Leben trat er vor vielen Jahren als medialer DDR-Versteher und Stasi-Inquisitor (nicht für, sondern gegen), als der er Gisela Oechselhaeuser die Wahrheit über die unmenschliche „zweiten deutschen Diktatur“ (auch Teil seines Werkes) Stück für Stück aus der Nase zog. Das war so authentisch und objektiv, kein Auge blieb trocken, auch meine nicht. Ich wusste, da steht, oder besser sitzt, eine Lichtgestalt der kommenden Geschichtsschreibung, die mir eines Tages erzählen würde, wie ich bisher gelebt hatte. Hatte ich bitter nötig. Diese Aufklärungsarbeit zog sich hin und hinner beziehungsweise höher, bis eines schönen, unschuldigen Tages die liebe Gisela, bis dahin Kronzeugin der finsteren Stasizeit, gemeiner Weise höchst selbst der Mittäterschaft in der Öffentlichkeit und ohne Guido zu fragen bezichtigt wurde. Das schöne Konzept implodierte und war seither von der Bildfläche verschwunden, meine Enttäuschung war grenzenlos (gehört auch zur Freiheit). Ich trauerte, denn auch im Westen wurden, so war mir schon klar, Banausen, die vom Gegner unbemerkt vergackeiert und regelrecht vorgeführt wurden, nein, nicht nach Nevada (Sibirien galt nach Knopp nur für Ossis), aber doch in die Wüste geschickt.
Dort aber kam Knopp nie an! Statt dessen und zu meiner Erleichterung und als wäre nichts passiert trat er wie die Jungfer aus der Asche putzmunter und mit tragischer Bekehrermine mit ZDF-History wieder in die Welt, auf dass sie weiter aufgeklärt werden würde, was bitter notwendig war, siehe oben. Er zog im Laufe von Jahren alle Register (seiner) Historiographie, die sich wesentlich vom bisher Üblichen der Geschichtsschreibung abhoben und nur windigen Zeitgenossen á la Däniken als ständige Werkzeuge dienten. Hierin liegt sein erstes historisches Verdienst. „ZDF-Geschichte“ konnte er seine Ergüsse nicht nennen, das wäre zu nahe an Wissenschaft gewesen, aber „ZDF-History“ ging, implizierte ein bisschen Hollywood, das Mekka der beliebigen Geschichtsdarstellung, klang unschuldig und mainstream-modern. Im Mainstream zu liegen war wichtig, wenn man ihn denn bilden wollte.
Er hatte sie zwar nicht erfunden, griff sie aber auf und entwickelte die personenbezogene und -abgeleitete Geschichtsdarstellung, die hervorragend zur zielorientierten Begründung taugt, zu einem umfassenden allseits anwendbaren System. Alle wichtigen historischen Personalien, von der Geschichte der Unterwäsche blaublütiger Herrscher über die Schweißfüße Stalins bis zur roten Nase Jelzins, ordnete er so, dass sie unumstößliche Belege der von ihm gewünschten Zielfunktion wurden. Diese Leistung befeuerte diverse Wissenschaftseinrichtungen derart, dass heute die zielorientierte Expertise zur Hauptmethode der Geldquellenerschließung in allen Wissenschaftsbereichen geworden ist. Dafür kann ihm die Menschheit zum Zweiten ewig danken.
Einen historischen Höhepunkt schuf sein Mammutwerk des nachträglichen Gewinns des aus dem kalten in den heißen Krieg der Blöcke spekulierten virtuellen Kriegsverlaufes. Mancher Dünnpfiff einer historischen Figur, nicht die Qualität und Quantität der potentiellen Kräfte und Mittel, wurde zum Beweis des NATO-Sieges. Knopp besiegte so letal allein das Reich des Bösen, seine Idee wurde zur materiellen Gewalt. Der Dank der NATO wird ihm ewig nachschleichen, seiner dritten Wohltat an der Menschheit jedoch nie gerecht werden können.
Nicht zu Unrecht mutierte er in den Medien langsam aber stetig zum „Geschichtslehrer der Nation“, an ein Sarcasticum zu Hans-Jochen Vogel anknüpfend, aber diesmal wohl tatsächlich so gemeint, wie immer bei solchen Parallelen feststellbar. Witz verliert nach einiger Zeit bei wiederholtem Gebrauch fast immer seinen Sinn. Guido Knopp schrieb in wahrer Titanenarbeit die ganze Geschichte um, denn die bisherigen Geschichtsleitsätze waren durch den ständigen Gebrauch so abgenutzt, dass sie nicht mehr zur täglichen Manipulation taugten. Er holte erbarmungslos die alten Leichen aus den Kellern der kapitalistischen Gesellschaft und ersetzte sie durch neue, demokratischer riechende. Die alten wurden einfach still entsorgt, einige neu angestrichen und parfümiert. Sein Werk ist jetzt vollendet, der Depp kann gehen.
Aber das Lied vom großen Knopp war noch nicht beendet, eine Strophe folgte noch. Die Huldigungstour der Medien schuf eine neue Potenz der Knoppschen Größe: Er wurde in den Würdigungen des ZDF, man entblödete sich nicht, zum „Chefhistoriker des ZDF“ gekürt. Das aber trifft ganz genau den Pudel auf den Kopf. Ein Chefhistoriker, wie jeder Chef, stellt seinen subalternen Historikern ein ganz bestimmtes Ziel als Aufgabe, das diese, immer Knopps Ziel im Auge habend, dann mit eigenen kreativen Gedanken erfüllen. Beim Militär hieß diese selbstverständliche Methode „selbständiges Denken im Rahmen der Befehle“. Darin liegt die eigentliche, der bisherigen Zählweise nach vierte historische Leistung des Guido Knopp. In ehrwürdiger Tradition eine Herrn Eugen Dühring wälzte er die Geschichtswissenschaft um und schuf eine neue Institution, die des Chefhistorikers.
Die Menschheit wird noch sehr lange damit zu tun haben.