16. Jahrgang | Nummer 1 | 7. Januar 2013

Die Zukunft liegt in den Sternen! Oder?

von Dieter B. Herrmann

Das Jahr 2013 hat begonnen, und wer wüsste nicht gern, was es uns bringen wird? Dabei sind etliche der kommenden Ereignisse doch schon hinreichend sicher im Voraus bekannt. So kann man zum Beispiel jede Wette eingehen, dass die Sonne auf ihrer scheinbaren Bahn am 20. März um 12 Uhr 02 Minuten MEZ den Frühlingspunkt erreichen wird. Anderes, was uns möglicherweise viel mehr interessiert, wissen wir hingegen nicht: Wie geht die Bundestagswahl aus? Wann wird der neue Berliner Flughafen eröffnet? Wie wird das Wetter zu Ostern beschaffen sein? Das alles „steht in den Sternen“.
Doch die Zukunft kann auch aus den Sternen abgelesen werden. Das meinen zumindest die Astrologen. Zu ihren festen Überzeugungen zählt dabei die prägende Rolle des Tierkreiszeichens, in dem ein Mensch geboren ist. Es soll sowohl den Charakter als auch das künftige Schicksal weitgehend bestimmen. Da aber die Vielfalt menschlicher Lebensbahnen auf diese einfache Weise nicht widergespiegelt werden kann, umfasst das Gedankengebäude der Astrologie noch zahlreiche weitere Einflussgrößen. So soll auch die Stellung des Mondes und der Planeten eine Rolle spielen und natürlich der „Aszendent“, das im Geburtsmoment eines Menschen für seinen Geburtsort im Osten gerade aufsteigende Tierkreis-Segment. Ja, funktioniert denn das? Nun, es kommt darauf an, ob man daran glaubt. Die Anhänger der Astrologie sind durch nichts davon zu überzeugen, dass sie einer Irrlehre frönen. Lesen sie ihr Horoskop, so stellen sie fast immer fest, dass es auf sie zutrifft. Allerdings nutzen die Horoskopschreiber der „Vulgärastrologie“ im Allgemeinen auch stets den Barnum-Effekt geschickt aus, nach dem der US-amerikanische Zirkusdirektor Phineas Taylor Barnum (1810-1891) schon im 19. Jahrhundert seine erfolgreichen Zirkusprogramme zusammengestellt hatte. Sein Motto: „Für jeden etwas!“ Erkenntnisse von Psychologen versichern uns, dass es bestimmte Aussagen gibt, die von den meisten Menschen als auf sich zutreffend angesehen werden. So stimmten zum Beispiel in einer Studie mit 40 Probanden rund 90 Prozent (!) folgenden Aussagen zu: „Sie haben zuweilen ernsthafte Zweifel, ob Sie die richtige Entscheidung getroffen haben“, „Sie haben entdeckt, dass es unklug ist, sich anderen allzu frei zu offenbaren“ oder „Sie neigen zur Selbstkritik“. Ein Horoskop also, das zum Beispiel solche oder ähnliche Aussagen enthält, kann der Zustimmung seiner Leser schon sicher sein. Hinzu kommt, dass Astrologiegläubige dazu neigen, offenbar gar nicht auf sie Zutreffendes „auszublenden“. Diese „selektive Wahrnehmung“, auch als „Bestätigungsfehler“ bezeichnet, ist der Kognitionspsychologie wohl bekannt. Es handelt sich um eine allgemeine menschliche Eigenschaft, die keineswegs nur auf Astrologiegläubige zutrifft. Sogar in den exakten Wissenschaften neigen Forscher unbewusst dazu, alle Fakten, die ihre Hypothesen bestätigen, stärker wahrzunehmen als etwa falsifizierende Tatsachen. Schon gar nicht würden sie nach Falsifikationen suchen. So ist der Mensch, da sollte man sich keine Illusionen machen.
Aber, so wird mancher fragen, lässt sich denn das Gedankengebäude der Astrologie nicht nach den Kriterien der Wissenschaft selbst widerlegen? Das ist natürlich versucht worden. Ganz einfach jedoch ist ein solches Unterfangen nicht. Schon allein, weil sich der „aus den Sternen ablesbare“ Charakter eines Menschen schwierig in objektive Kriterien kleiden lässt. Selbst, wenn die Wissenschaft sie formuliert, muss doch der jeweilige Einzelne seinen eigenen Charakter schildern. Dabei kommen natürlich diverse Verzerrungen ins Spiel, die mit „Objektivität“ wenig zu tun haben. Von „Selbstbild“ und „Fremdbild“ sprechen die Psychologen in diesem Fall.
Eine der großen zusammenfassenden Analysen zum Wahrheitsgehalt astrologischer Aussagen hat der deutsch-britische Psychologe Hans Jürgen Eysenck (1916-1997) gemeinsam mit seinem Kollegen David Nias erarbeitet. Unter dem Titel „Astrologie – Wissenschaft oder Aberglaube?“ kommen sie in ihrem Buch zu einem ernüchternden Resultat: die Behauptungen der Astrologie seinen „bestenfalls unbewiesen“. Das ist sehr höflich ausgedrückt.
Erst in jüngerer Zeit wurde eine neue umfangreiche Studie vorgelegt, als deren Verfasser Gunter Sachs (1932-2011) genannt ist. Dieses Buch „Die Akte Astrologie“ (München 1997) will – laut Klappentext – „Schritt für Schritt“ den Beweis führen, dass die Astrologie kein Mythos sei, sondern auf „messbaren Grundlagen“ beruht. Schon die Behauptung des angeblichen Astrologieforschers Sachs, dass bisher „weder Cent noch Kopeke“ je in eine „mathematisch-statistisch fundierte Astrologie-Studie gesteckt“ worden seien, zeugt allerdings mit Blick auf die anderen zahlreichen diesbezüglichen Untersuchungen von erschreckender Unkenntnis.
Viel betrüblicher, möglicherweise aber auch bezeichnend, ist allerdings die Tatsache, dass die Mitarbeiter des Statistischen Instituts der Universität München, die mit den konkreten Auswertungen des Materials befasst waren, sich später weigerten, zu begründeten Kritiken an der Studie Stellung zu nehmen! Und ausgerechnet der langjährige Vorsitzende des Deutschen Astrologen-Verbandes, Peter Niehenke, erklärte sogar, die Studie sei für die Astrologie völlig irrelevant. Somit ist auch dieser jüngste Versuch, die Astrologie zu „beweisen“ offenbar fehlgeschlagen. Es sieht also sehr danach aus, dass Theodor W. Adorno Recht hatte, als er schon vor Jahrzehnten über die Astrologie schrieb: „Ihr Reich ist die Beziehung des Beziehungslosen als Mysterium“. Adorno war es übrigens auch, der schon 1957 in einer tiefgründigen Analyse erkannte, dass nicht nur die Astrologie, sondern auch andere esoterische Tröstungssysteme stets dann Konjunktur haben, wenn die allgemeine wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage besonders krisenhaft verlaufen. So erscheint die Astrologie als eine Projektion allgemeiner Unsicherheit und „lokalisiert … frei schwebende Ängste in einer fest umrissenen Symbolik, gibt aber auch vagen und unbestimmten Trost, indem sie dem Sinnlosen irgendeinen verborgenen und grandiosen Sinn verleiht.“ Damit verbunden ist für die Anhänger der Astrologie eine verstärkte Bereitschaft, das Gegebene anzunehmen und „lähmt den Willen, die objektiven Bedingungen in irgendeiner Weise zu ändern“.
Noch vor wenigen Jahren waren sowohl Astronomen als auch Pädagogen in Ost und West davon überzeugt, dass man dem Phänomen Astrologie mit Bildung beikommen könnte. Hier bot die „Wende“ von 1989 eine interessante Überprüfungsmöglichkeit. Ich leitete damals das 1987 eröffnete Zeiss-Großplanetarium Berlin und entschloss mich 1993, gemeinsam mit dem Heidelberger Soziologen Edgar Wunder eine soziologisch fundierte Befragung zur Astrologiegläubigkeit unter den Besuchern durchzuführen, weil wir ja gerade in Berlin beachtliche Besucherzahlen aus beiden „Welten“ verzeichnen konnten. Dabei wurde präzise unterschieden zwischen jenen Besuchern, die in den Schulen der DDR regelmäßigen Astronomieunterricht erhalten hatten und jenen aus dem Westteil Berlins oder den alten Bundesländern, bei denen das nicht der Fall gewesen war. Der Fragespiegel und die wesentlichsten Ergebnisse sind im Internet unter http://www2.hu-berlin.de/leibniz-sozietaet/archiv%20sb/020/020_4.pdf nachzulesen. Das Gesamtresultat war überraschend: Es ließen sich nämlich keine signifikanten Unterschiede zwischen den ost- und westdeutschen Befragten mehr feststellen, obwohl dies um die Wendezeit herum noch anders gewesen war. Im Lichte der Adornoschen Deutung ist das Ergebnis allerdings verständlich, weil eben der Mensch ein Mensch ist. Die weitgehende Unabhängigkeit der Astrologiegläubigkeit vom Bildungsstand der Befragten machte außerdem deutlich, dass Kenntnisse (etwa über die Astronomie) keinen dauerhaften Immunisierungseffekt nach sich ziehen.
Die mitunter eifernden Astrologiegegner unter den Forschern mahnt das Ergebnis zu größerer Gelassenheit, weil eben rationale Argumente gegen die Astrologie, die sich seit Jahrtausenden behauptet hat, wenig auszurichten vermögen. Tröstlich ist immerhin die Erkenntnis, dass 26 Prozent der Befragten unserer Studie die Astrologie strikt ablehnen, während nur 4 Prozent als blindgläubige Anhänger bezeichnet werden können. Dazwischen gibt es jedoch ein breites Übergangsfeld.
Da offenbar soziale Prozesse der Gesellschaft die eigentliche Ursache für Astrologiegläubigkeit und andere Erscheinungsformen des Okkultismus darstellen, werden wohl erst durchgreifende gesellschaftliche Veränderungen solche Überzeugungssysteme irgendwann weiter eindämmen können, ohne sie vermutlich gänzlich zu beseitigen.
Die Astrologen sind zurzeit übrigens wieder sehr aktiv, denn sie verteilen gerade ihre Jahresprognosen für 2013 an die Printmedien. Edgar Wunder sammelt solche Vorhersagen und überprüft sie jeweils zum Jahresende auf ihre Richtigkeit. Solche Vorhersagen wie zum Beispiel „Der kommende Sommer wird wärmer als der Winter“, lässt er allerdings aus. Das Ergebnis der Überprüfung von 1.264 Prognosen der Jahre 1990 bis 2001 ergab eine Trefferquote von 4 Prozent. Mit diesem empirischen Resultat im Gepäck fällt einem dann eine eigene Prognose für die Trefferquote der aktuellen Prognosen 2013 auch ohne Zuhilfenahme von Kaffeesatz nicht schwer.

Der Autor, Physiker und Astronom, war langjähriger Direktor der Berliner Archenhold-Sternwarte und des Zeiss-Großplanetariums. Er lebt in Berlin.