15. Jahrgang | Nummer 25 | 10. Dezember 2012

Kennen Sie Schloss Chenonceau?

von Renate Hoffmann

Man geht, nein, man durchschreitet eine lange Platanen-Allee; himmelwärts zum gotischen Bogen aufschließend. An ihrem Ende zeigt sich ein festlicher, klarer Bau: Chateau de Chenonceau (südöstlich von Amboise, Departement Indre-et-Loire, Region Centre). Über zwei Brücken geleitet der Weg. Chenonceau ist ein Wasserschloss, umflossen vom Cher, der westlich von Tours in die Loire mündet.
Beiderseits der Auffahrt öffnen sich Gärten, bezaubernd in ihrer Einmaligkeit. Den einen schuf Diane de Poitiers (1499-1566), den anderen ließ Catharina von Medici (1519-1589) anlegen. Hier nämlich herrschten die Damen.
Der Reigen beginnt mit Catherine Briçonnet. Begütert, zudem verheiratet mit einem hohen Steuerbeamten der Normandie, Thomas Bohier. Er erwirbt beharrlich, Jahr für Jahr und Stück um Stück, die wehrhafte Anlage mit den dazugehörigen Ländereien vom verschuldeten Vorgänger; und lässt sie bis auf den Hauptturm im Jahr 1513 niederreißen. Bohier baut neu. Seine Stellung erfordert jedoch häufige Aufenthalte in Italien. Catherine führt inzwischen die Bauaufsicht. Es entsteht ein architektonisches Meisterwerk, das als Juwel unter den Schlössern im Loiretal gilt.
Diane de Poitiers heißt die nächste im weiblichen Spiel. Eine Dame von Rang und Namen und einflussreich in politischen Kreisen. Sie erhält Chateau Chenonceau auf ihren nachdrücklichen Wunsch hin als Geschenk vom königlichen Liebhaber Heinrich II. Nicht ganz legal, aber geschenkt bleibt geschenkt.
Man sagte ihr nach, sie sei von schier unvergänglicher Schönheit gewesen – und der König ihr hörig. Der Chronist berichtet von Diane: „Ich sah Madame la Duchesse de Valentinois – ein Titel, den ihr Henri II. gab – so lieblich, so frisch und attraktiv, als wäre sie dreißig Jahre alt.“ Madame war aber bereits über die Fünfzig hinaus; ritt gut, schwamm gut und verstand es zu organisieren. Sie verfügte über kommerzielles Gespür. Die Grundlage ihres Denkens und Handelns lautete: „Mehr ist besser.“
Philibert Delorme, Architekt des Königs, ließ nach Dianes Idee eine fünfbogige Brücke vom Schloss zum anderen Flussufer schlagen. Den Gartenfreuden huldigte sie mit der Gestaltung eines damals berühmten Tummelplatzes für Spiele inmitten seltener Nutz- und Ziergewächse. Er trägt nun ihren Namen.
Catharina von Medici – nicht so verführerisch wie die langjährige Geliebte ihres Mannes, aber intelligent, intrigant und als Regentin umsichtig und geschickt – holt sich als Witwe Heinrichs II. von ihrer Rivalin Schloss Chenonceau zurück. Sie hegt große Pläne zur Neugestaltung. Auf Dianes Brücke setzt Catharina eine zweigeschossige Galerie. Der raffinierte Anbau wirft sein Spiegelbild in die Fluten des Cher. Welch ein Anblick.
Die Königinwitwe übertrumpft mit eigener Gartenlust Dianes Lustgarten. Zwar kleiner, doch feiner als jener liegt er ausgebreitet wie ein buntes Seidentuch zur rechten des Schlossaufgangs.
Catharina arrangiert in Chenonceau Feste großen Stils, überquellend von Charme und Verschwendung. Sie ist Tafelfreuden nicht abgeneigt, bibliophil, diplomatisch, rücksichtslos, verständnisvoll – die „Florentinische Geschäftsfrau“, wie man sie hinter vorgehaltener Hand nannte.
Von ihr erbt Schwiegertochter Louise de Vaudémont, Herzogin von Lothringen (1553-1601) den Besitz. Vernarrt in ihren Gemahl Heinrich III., überzieht sie das sinnenfreudige Schloss mit dem Schleier der Trauer. Man hatte den König gemeuchelt (1589). Bevor er endgültig verstarb, schrieb er an Louise: „Geliebte Freundin, ich hoffe, dass ich genesen werde, bittet Gott für mich und verlasst das Schloss nicht.“ Sie leistete dem Folge, trug der Hofsitte gemäß weiße Trauerkleider und hieß fortan die „weiße Königin.“
Die Weltoffenheit kehrte zurück, als Claude Dupin, reicher Finanzexperte, 1733 das Anwesen von den königlichen Nachfahren erwarb. Madame Louise Dupin (1706-1799), der Aufklärung zugetan, Kunstliebhaberin, wissenschaftlich interessiert, literarisch tätig, gastfreundlich, großherzig, wandelte das Schloss in einen Treffpunkt der geistigen Elite Frankreichs. Voltaire traf ein, Montesquieu, der Romancier Marivaux, Fontenelle, der bedeutende Frühaufklärer. Jean Jacques Rousseau: „Im Jahr 1747 hatten wir vor, den Herbst auf Chenonceau zu verbringen … Dieser Ort bot so manches Vergnügen, wir wurden gut versorgt, und ich wurde dick wie ein Mönch.“ – Louise bewahrte in den Wirren der Revolution durch kluges Verhalten das Schloss vor Plünderung und Zerstörung.
Dann kam Marguerite Pelouze (1836, Todesdatum unbekannt), die es im 19. Jahrhundert unternahm, das geschichtsträchtige Bauwerk und die Gärten nach Jahren des Niedergangs wieder in den Zustand der Zeit Diane Poitiers’ zu versetzen. Sie investierte großzügig.
Neugierig und vom Flair der Vergangenheit gefangen, betrete ich das festliche Haus in dem der Geist der Renaissance webt. Im Vestibül hinterließ Thomas Bohier seinen Sinnspruch: „Wenn es vollendet ist, wird es an mich erinnern.“ Sie behielten Recht, Monsieur Bohier!
Die Wände des Wachsaales, einst der königlichen Leibgarde vorbehalten, schmücken flämische Tapisserien aus dem 16. Jahrhundert. Sie gehören zum reichen Schatz an kostbaren Wandteppichen des Hauses. In der Kapelle ließ Madame Dupin in den Revolutionstagen Brennholz bis zur Decke stapeln, um den christlichen Charakter des Raumes zu verbergen. Es gelang. –
Obwohl als Gemach der Diane Poitiers  bezeichnet, ist hier Catharina von Medici allgegenwärtig. Ihr großes Porträt über dem Kamin verdrängt die ehemalige Nebenbuhlerin. An sie erinnert nur eine kleine Büste. Das schönste jedoch ist ein blausamtenes Himmelbett. Wie überhaupt in den Gemächern und Salons prächtige Schlafgelegenheiten stehen. Man möchte sich in sie hineinlegen, die Vorhänge zuziehen und seinen Gedanken nachhängen, wie es Gustave Flaubert tat, als er 1847 Chenonceau besuchte und über Dianes Bett philosophierte.
Im Grünen Kabinett, zweckmäßig und intim, versah Catherina die Regierungsgeschäfte, wenn sie im Schloss wohnte. Sie schätzte den Ort. Der Amtsgeschäfte leidig, begab sie sich in die anschließende Bibliothek und genoss den Blick auf Fluss, Garten und Wälder.
Von der Arbeitsatmosphäre in den Bankettsaal der Galerie. 60 Meter lang, 6 Meter breit, lichtdurchflutet, zu Tanz und Tafel ladend. Catharina verstand sich darauf, Schloss und Park in eine grandiose Szenerie zu verwandeln. Über ihre Feste sprach man. Triumphale Aufzüge durch die Schlossallee, Seeschlachten auf dem Cher, Feuerwerk, kostspielige Kostümierungen und üppige Tafelgenüsse mit erotischen Einlagen.
Den Kontrapunkt hierzu setzte im 20. Jahrhundert die Familie Menier, nunmehrige Eigentümerin von Chenonceau. Die Meniers richteten im ersten Weltkrieg auf eigene Kosten im großen Festsaal ein Lazarett ein, in dem mehr als 2.000 Verwundete gepflegt wurden. Im zweiten Weltkrieg verlief die Demarkationslinie von 1940 bis 1942 in der Flussmitte des Cher und damit quer durch die Galerie. Die Courage der Familie rettete damals auf diesem ungewöhnlichen Fluchtweg viele Verfolgte. Am Haupttor – deutscher Eingang; durch die Hintertür der Galerie – französischer Ausgang.
Im Salon Franz I., der sich öfter in Chenonceau aufhielt, sehe ich die schöne Diane. Porträtiert als Göttin der Jagd, wie es ihr Name nahe legt. Kühl, mit ebenmäßigen Zügen und makellos von Kopf bis Fuß. Histörchen: Sie soll Vater Franz und Sohn Heinrich – sowohl als auch und gleichermaßen…
Madame Louise-Marie Madeleine Dupin begegne ich im Gemach Ludwigs XIV. Ihr Abbild ist voller Anmut, zart, zierlich und mit großen aufmerksamen Augen. Man verglich Louise mit einer Sèvres-Figur und benannte später eine Rosensorte nach ihr (ob sie rosafarben blüht?). Jean-Marc Nattier malte Madame in duftigem Kleid und mit einem koketten Schmuckbändchen um den Hals. Welcher Gegensatz zum Prunkporträt des Sonnenkönigs vis-a-vis.
Die Gemälde im Haus tragen überwiegend große Namen. Rubens, Tintoretto, Correggio, van Dyck, Murillo. Der Kunstsinn lag über Jahrhunderte hinweg auf diesem Schloss.
Nach einem Spaziergang am Flussufer und durch die Gärten, überlasse ich einer Dame das Schlusswort. Laure Menier, Kuratorin von Chenonceau: „Der Name des Ortes erweckt Musik. Schönheit, Ausgewogenheit und Architektur haben eine reine und einfache Harmonie geschaffen.“