15. Jahrgang | Nummer 26 | 24. Dezember 2012

Christbaumfrevel

von Frank-Rainer Schurich

Untersuchungen in Frankreich, Deutschland, England und anderswo ergaben übereinstimmend, schrieb 1951 Ernst Seelig im „Lehrbuch der Kriminologie“, dass die Delikte gegen das Vermögen, besonders Diebstahl und Betrug, ihre Höchstzahl in der kalten Jahreszeit erreichen. Was auch heißt: In der Vorweihnachtszeit wird alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest ist und was man irgendwie zum Fest benötigt.
Zum Beispiel Weihnachtsbäume. Über die Forstkriminalität sind ganze Bücher verfasst worden, und Kurioses und Tragisches weht zu uns aus gar nicht so alten Zeiten herüber.
Keinesfalls auf dem Holzwege war im Jahre 1951 ein bayerisch-staatlicher Revierförster, der kurz vor dem Weihnachtsfest den Christbaumdiebstahl unterbinden wollte. Im Dezember ließ er sich von der Gemeindeverwaltung einer als Forstfrevlerdorf verschrienen Ansiedlung mit 900 Seelen eine vollständige Aufstellung aller ansässigen Haushalte geben. Dann verstreute er das Gerücht im Dorf, er wolle nachprüfen, welcher Haushalt sich keinen Weihnachtsbaum kaufen wird, sich ihn also anderweitig beschafft. Mit Tränen in den Augen nahm der Revierförster den verblüffenden Erfolg seiner Aktion auf. Während ein Jahr zuvor nur 15 Bäume abgesetzt werden konnten, wurden 1951 95 verkauft.
Nicht ganz so friedlich ging es im Berlin der 70er Jahre zu. Ein Forstmann ertappte gerade den Familienvater, der in finsterer Absicht samt Sohn und Hund in den Wald gezogen war. Nach dem ersten Axthieb, dem das Bäumchen widerstand, hörte der Missetäter die barsche Frage: „Was machen Sie denn da?“ Das Väterchen zuckte in Richtung der Stimme, erblickte – o Schreck! – den Förster mit einem Jagdgewehr im Anschlag und stammelte:
„Der Hund, der Hund ist krank. Ich wollte ihn hier erschlagen. Sie müssen verstehen…“
„Aber doch nicht mit der Axt“, mahnte der Grünrock und erschoss den Hund.
Der schwedische Waldbesitzer Roger Sällberg wendete 1995 beim vorweihnachtlichen Kampf gegen den Tannenbaum-Klau gleichfalls ein übles, allerdings nicht-kriminelles Mittel an. Er begoss in einer Fernsehsendung alle für Diebe interessanten Nadelbäume mit einer Gießkanne voller Jauche – von der Spitze bis zur Wurzel. Er wolle, kriminalpräventiv, wie er nun einmal sei, den Dieben mittels des sich erst in der guten Stube entfaltenden Gestankes live das Verwerfliche ihres Tuns vor Augen und vor allem in die Nase führen. „Den Betroffenen wünsche ich dennoch frohe Weihnachten“, meinte der Waldbesitzer.
Ähnlich verfahren rheinische Förster: Mit dem so genannten Franzosen-Öl präparieren sie Tannen, Fichten und Kiefern. Das Öl bewirke, dass die Bäume bei Zimmertemperatur einen starken Geruch nach „einer Mischung aus faulen Matratzen und Hühnergülle“ entwickelten, hieß es Ende 2002 aus der Münstereifeler Revierförsterei. Fachleute hatten geschätzt, dass in rheinischen Wohnzimmern jeder zehnte Christbaum gestohlen ist.
Auch in Tschechien bestreicht man – besonders nahe der deutschen Grenze – potenzielle Beutestücke zur Abschreckung mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die bei Zimmertemperatur zu stinken beginnt. Der nordböhmische Förster Jan Miska hatte vor gut zehn Jahren stolz der Presse über diese sehr wirksame Methode berichtet. Die Diebe werden aber immer dreister: Mit schwerer Technik fällen sie fast ganze Schonungen kahl und transportieren die Bäume auf Lastwagen ab. Es war sogar im Gespräch, per Gesetz eine 4.600 Mann starke bewaffnete „Waldwache“ ins Leben zu rufen, die illegales Abholzen und Wildern verhindern soll. Jan Miska lässt im Übrigen bei den Deutschen keine mildernden Umstände gelten. „Deutschland hat zwar wesentlich zur Aufforstung beigetragen, da es in der Vergangenheit aus Steuergeldern etwa 80 Millionen Mark zur Modernisierung tschechischer Heizkraftwerke zur Verfügung stellte. Trotzdem sollten Deutsche das Klauen von Bäumen in tschechischen Wäldern nicht als eine Art ‚Steuerrückvergütung‘ sehen, sondern es schlicht unterlassen“, mahnte der Förster.
Auch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbänden klagt seit Jahren über eine sich ausweitende Selbstbedienungsmentalität in heimischen Wäldern.
Weihnachtsbäume werden jedoch nicht nur gestohlen, sondern aus Protest gegen das kaufrauschartige Weihnachtsgeschäft zuweilen auch beschädigt. Die Polizei in Steinen (Baden-Württemberg) wurde Ende 2003 zu einem solchen Tatort gerufen. Ein Unbekannter hatte im Tannengehege in einer nächtlichen Wutattacke 100 Weihnachtsbäume „geköpft“. „Die Spitzen wurden aber nicht mitgenommen“, teilte die Polizeibehörde mit.
Damit solche Protestaktionen nicht wieder aufflammen, sollten wir es mit Erich Kästner halten, der in seinem „Brief an den Weihnachtsmann“ schon 1930 das Problem auf einfachste Weise löste:

In den Straßen knallen Schüsse.
Irgendwer hat uns verhext.
Lass den Christbaum und die Nüsse
diesmal, wo der Pfeffer wächst.